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Schauspiel ohne Schauspielhaus

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Während die meisten deutschen und österreichischen Theater dem Krieg zum Opfer gefallen waren, hatte Graz das große Glück, daß sein altes Schauspielhaus, schon als Gebäude eine kleine Kostbarkeit und durch seine vorzügliche Akustik berühmt, unversehrt geblieben war. Als es die Engländer, die es als Kino benützt hatten, freigaben, bedeutete dies einen besonderen Festtag für die kunstfreudige Stadt. Um so unerklärlicher war es, als wenige Jahre darauf das Haus aus baupolizeilichen Gründen geschlossen und keine Anstalten zu einer Wiedereröffnung gemacht wurden. Während in anderen Städten neben den Trümmern der alten Häuser neue, moderne Theaterbauten entstehen, ist Graz — 1958 — die einzige österreichische Landeshauptstadt ohne Schauspielhaus. Das muß an und für sich zu denken geben, auch wenn man von dem merkwürdigen budgetären Tauziehen der verantwortlichen Stellen um die Kosten einer Renovierung nichts weiß.

Dabei unterhält Graz nach Wien das größte Schauspielensemble Oesterreichs und steht mit seiner Premierenzahl fast an der Spitze aller österreichischen Theater. Als Provisorium dient der an sich hübsche Rittersaal des Landhauses, der aber technisch für ein Theater überhaupt nicht geeignet ist. Lediglich vier Schauspielpremieren können jährlich im Opernhaus stattfinden. Diese Raummisere greift aber, was nach

außen gar nicht bekannt ist, bis in den internen Betrieb hinein, da durch den Ausfall eines ganzen Gebäudes nur sehr behelfsmäßige Probenräume für die tägliche Arbeit zur Verfügung stehen. Diese Raumnot ist es, die vor allem den Aufbau eines Ensembles, die Gestaltung des Spielplans und die Stimmung des Publikums beeinträchtigt.

In einer Zeit, da es aus finanziellen Gründen für ein österreichisches Theater mehr als schwer ist, gute Kräfte zu engagieren oder auch nur zu halten — die wirtschaftliche Konkurrenz auch der kleineren deutschen und schweizerischen Bühnen ist viel zu stark —, würde der Reiz eines schönen Hauses als Attraktion wirken. So gibt es viele Darsteller, die nicht nach Graz kommen oder es bald verlassen, da sie in einem wirklichen Haus und nicht auf einer Behelfsbühne spielen wollen. 13 Jahre nach Kriegsende ist dies durchaus einzusehen.

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Daß eine große Zahl von wichtigen Stücken im kleinen Haus nicht gegeben werden kann, liegt auf der Hand. Die Zeit des bewußten Improvisierens ist aber — zumindest für ein Stadttheater — vorüber. So muß man entweder in der Spielplangestaltung oder in der Form der Inszenierungen Kompromißlösungen wählen. — Das Publikum fühlt sich in dem für einen festlichen Theaterbesuch vollkommen ungeeigneten Ritter-

Photo Eckart Schuster

Szenenbild von der Grazer Erstaufführung

saal nicht wohl, und es ist nur dem echten Theaterenthusiasmus der Grazer und ihrer Schauspieler zu danken, daß die Vorstellungen' trotzdem gut besucht sind.

So konnten wir mit ganz besonderer Freude feststellen, daß ein fast durchweg „literarischer“ Spielplan sehr starken Widerhall findet. Besucher aus anderen Städten und besonders aus dem Ausland sind immer wieder von seinem Niveau angetan. Gerade hiermit aber löst das Grazer Theater die Verpflichtungen ein, die es durch die Subventionen aus den Steuergeldern eingegangen ist. Denn: platte oder alltägliche Unterhaltung aus der öffentlichen Hand zu unterstützen, wäre, auch wenn es sich um das bessere Geschäft handelte, ein Nonsens. — So wurden in der heurigen Saison unter der Direktion Andre Diehls wieder das Hauptaugenmerk auf die Aufführung klassischer Meisterwerke und moderner Problemstücke gerichtet.

Klassiker sind in Graz seit eh und je kein Risiko, Wie auch jetzt wieder die Aufführungsziffern beweisen. Unerwartet war der große Erfolg von „Das Tagebuch der Anne Frank“, und der Mut, es zu spielen — der leider heute noch immer dazugehört — wurde besonders durch die Anteilnahme der Jugend vollauf belohnt. In Graz fand auch die österreichische Erstaufführung der Komödie „Kennen Sie die Milchstraße?“ des jungen deutschen Autors Karl Wittlinger statt. Als erster Lorca wurde für Graz „Bernarda Albas Haus“ gegeben. Wilders „Alkestiade“ war bereits das dritte Stück des großen amerikanischen Dichters, das die Vereinigten Bühnen herausbrachten. Für die nächste Zeit sind Becketts „Warten auf Godot“ als erster Versuch, das neue, antiillusionistische Theater auch in Graz bekanntzumachen, und die „Verkündigung“ von P. Claudel angesetzt. Hiermit wird, abgesehen von dem Oratorium „Johanna auf dem Scheiterhaufen“, zum ersten Male ein Werk des großen katholischen Dramatikers in Graz gezeigt werden. Von weiteren Plänen sind unter anderem noch „Undine“ von Giraudoux, und Pirandellos „So ist es — ist es so?“, als österreichische Erstaufführung Saroyans „Die Höhlenbewohner“ und anläßlich der Sommerspiele eine Freilichtaufführung von Max Mells „Schutzengelspiel“ zu nennen.

Dieser Ueberblick läßt die „obligate“ Uraufführung eines österreichischen Werkes vermissen, doch wollen wir nicht in den heute so modischen Fehler verfallen, eine Uraufführung nur um der Uraufführung willen herauszubringen. Das heißt freilich nicht, daß wir nicht trotzdem bemüht sind, das Werk eines-Oesterreichers zu entdecken, und es ist der besondere Wunsch der Direktion, daß dies noch in der heurigen Spielzeit gelinge. Die verhältnismäßig geringe Zahl an österreichischen Erstaufführungen ist'darauf zurückzuführen, daß die großen Wiener Theater alle bedeutenden Stücke des Auslandes schon bei den Verlagen mit ihrem Erstaufführungsrecht okkupieren, auch wenn diese Erstaufführungen erst Jahre später stattfinden können — ein Umstand, der. den Länderbühnen schon oft zum Aergernis geworden ist.

Trotz der geschilderten ungünstigen Verhältnisse darf das Grazer Schauspielhaus aber mit Stolz behaupten, seinem schon zur Tradition gewordenen Ruf, der nach Wien besten österreichischen Bühne die Treue gehalten zu haben und auch heute noch das berühmte Sprungbrett an die ersten Theater der Bundeshauptstadt zu sein. Darüber hinaus aber darf sein Spielplan als der anspruchsvollste der österreichischen Länderbühnen gelten.

Die Spielzeit in den vereinigten Bühnen Klagenfurts unter der Direktion Philipp Zeskas brachte aus dem klassischen Repertoire Grillpar-zers Trauerspiel „Ein Bruderzwist in Habsburg“ im Stadttheater. Das Stück wurde bisher bereits zwölfmal wiederholt. Aus der neueren Literatur wurde am 17. Jänner die Komödie „Der Biberpelz“ von Gerhart Hauptmann aufgeführt. Die Moderne war in den Kammerspielen mit zwei vielbeachteten Premieren zu Worte gekommen. Zunächst war das Lustspiel durch „Simone, der Hummer und die Oelsardine“ von Jacques Deval vertreten, dem das Drama „Ein Mond für die BeladenerAvon Eugene O'Neill folgte. Dem Lustspiel von Deval war ein recht freundlicher Publikumserfolg beschieden. O'Neills Drama, das bei einer Spieldauer von nahezu drei Stunden inhaltlich und darstellerisch bedeutende Anforderungen stellt, hat — wie die Stimmen der Presse unterstreichen — trotz der schwierigen Sprache durch die Hingabe der Schauspieler und eine recht beachtliche Regieführung das Publikum sehr ergriffen. Die Sparte des Lustspiels hatte vor allem anläßlich des 250. Geburtstages von Carlo Goldoni mit dessen Stück „Liebeshändel in Chiossa“ einen Erfolg. Dieses in kräftig südlichen Farben gehaltene Stück, in dem es dankbare Rollen zu verkörpern gibt, verfehlte bei der zahlreich erschienenen Zuhörerschaft denn auch nicht seine amüsante Wirkung. Beifall fand auch die Farce „Der eingebildete Doktor“ von Hans Weigel.

In den Kammerspielen wurde die heitere Linie mit dem Lustspiel „Burnerang“ von Karin Jacobson fortgesetzt. Die Premiere eines leicht gefügten Schwankes von Anita Hart und Maurice Bradell mit dem Titel „Baby Hamilton“, welcher der deutsch-amerikanische Bearbeiter des Stückes, C. E. Freybe, beiwohnte, wurde ein richtiggehender Heiterkeitserfolg. Bisher gingen acht gutbesuchte Aufführungen über die Szene, weitere sind vorgesehen. In der Silvesteraufführung von Nestroys „Lumpacivagabundus“ spielten sich die künstlerischen Kräfte des Stadttheaters Klagenfurt und der Kammerspiele vom alten ins neue Jahr.

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Klassisches und modernes Repertoire in Graz '“5|

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