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TRADITION AUF DER BÜHNE

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„MAN HOFFT, DASS SELBST DIE ERSTEN MITGLIEDER mit Vergnügen sich herbeylassen werden, zuweilen in den Schatten zu treten, um ihren jüngeren Kunstgenossen die Stellung im Hauptlichte zu vergönnen. Man glaubt bei Vertheilung der Rollen auf übertriebene und unbescheidene Meinungen vom eigenen Talente keine Rücksicht nehmen zu dürfen.”

Die „Gesetze und Anordnungen für das Schauspiel und die Oper des k. k. privilegierten Theaters an der Wien” aus dem Jahre 1808, in denen diese nach eineinhalb Jahrhunderten unverändert gültigen Sätze wörtlich nachgelesen werden können, sind noch ganz und gar vom Geist einer patriarchalischen Ordnung getragen, und den Belobigungen und Belohnungen für besondere Leistungen wird darin die gleiche Wichtigkeit beigemessen wie den vielfältig abgestuften Strafen für Disziplinlosigkeit.

Kaum ein halbes Jahrhundert später, in den Satzungen aus dem Jahr 1850, ist der väterliche Geist dem obrigkeitlichen gewichen. Belobigungen sind nicht mehr so wichtig, dafür ist von allfälliger „Widersetzlichkeit gegen die Direktion oder ihre Organe” ausführlich die Rede.

Welcher Geist im traditionsreichen Theaterhaus an der Wien morgen herrschen wird, ist noch offen. Jedenfalls soll am Eröffnungstag der Wiener Festwochen 1962 ein neues Kapitel in der Geschichte des Theaters an der Wien aufgeschlagen werden.

HUNDERTSECHZIG JAHRE ALT wird es heuer am 13. Juni, aber dieser Tag wird kein festlich gekleidetes Publikum in den Sitzreihen und Logen des Theaters an der Wien erblicken, sondern Maurer, Tischler, Bauhilfsarbeiter, und ratternde Maschinen werden die Musik dazu machen.

Nach Jahren der Unsicherheit, in denen dem Haus, das zehn Nachkriegsjahre lang die Heimstätte der Staatsoper war, mehr als einmal die Spitzhacke sicher schien, wurde nun im Auftrag der Gemeinde, die das Theater weiterführen wird, endgültig mit Umbau und Renovierung begonnen.

Eine schwierige Arbeit, wobei die Renovierung des Zuschauerraumes noch das leichteste ist. Die Fußbodenbretter sind bereits zum Teil weggerissen, der Warmluftstrom aus der Heizanlage, der bisher beträchtliche Mengen Staub in den Zuschauerraum emporwirbelte, wird von nun an durch saubere Blechkanäle geleitet.

Im Hintergrund steht einstweilen der Bagger bereit, der den Boden unter dem Bühnenraum, der nur drei Meter tief unterkellert ist, bis in eine Tiefe von neun Metern ausheben soll. Schikaneder ahnte ja noch nichts von der modernen Zylinderdrehbühne, die hier Platz finden soll, um das Theater an der Wien mit allem auszurüsten, was die moderne Bühnentechnik zu bieten hat. Zuvor allerdings müssen die Mauern, auf denen das Bühnenhaus ruht, auf neue Betonfundamente gestellt werden.

Heute ist dasy.Theater JĮJĮ, įetr eine, jrjfete Statt , die wenig vom Glanz der Ereignisse ahnen läßt, derCfl Schauplatz sie einst war. Bald jedoch rderf” Lichtfluten aus modernen Scheipwerfern, technische Einrichtungen, von denen Raimund nichts ahnte, Effekte ermöglichen, angesichts derer die Autoren der einst so beliebten Zauberpossen und Ausstattungsstücke vor Neid erblassen würden. Hoffen wir, daß auch der Geist Schritt hält und im Theater an der Wien heimisch bleibt.

ALLERHAND KUNSTGRIFFE SIND HEUTE NÖTIG, um Verwendung für einen alten Theaterbau zu finden und ihn vor dem Abbruch zu bewahren. Damals, als das Theater an der Wien, vorest als Freihaus-Theater, eröffnet wurde, war es anders. Wien, um 1780 eine Stadt mit 250.000 Einwohnern und nur zwei ständigen Bühnen, hatte einen immensen Theaterbedarf. 1781 entsteht das Leopoldstädter Theater, l SV Schikaneders Frei- haus-Theater, 1788 das Theater in der Josefstadt. Aber Schikaneders kleines Theater im Freihaus-Hof, von dem nicht einmal eine Außenansicht erhalten ist, muß angeblich wegen Brandgefahr abgerissen werden. Schikaneder ist’s nur recht: Er hat bereits genug Geld verdient, um ihm eine neue Bleibe zu geben, und baut das Theater an der Wien. Ein Haus mit 700 Sitz- und 1400 Stehplätzen, das von Baumeister Jäger und Hofarchitekt Rosenstängl errichtet und am 13. Juni 1801 mit dem Gelegenheitsstück „Thespis’ Traum” und dem von Schikaneder verfaßten dramatischen Gedicht „Alexander” eröffnet wird ni :sfq?usita? SrisTtrL išbėki gmnriüHuA isnsiW WER AUCH NUR DIE WICHTIGSTEN KÜNSTLER, die hier gewirkt, die bedeutendsten Ereignisse, die hier stättgefunden haben, aufzählen wollte, müßte eine seitenlange Liste füllen. 1802 wird hier die „Zauberflöte” gespielt, 1804 erlebt der „Fidelio” („Leonore”) seine Uraufführung, aber es wird kein Erfolg — die Franzosen sind in der Stadt, die Reichen und der Adel geflohen, und die Besatzungsoffiziere andere Musik gewöhnt. Schikaneder hat zu dieser Zeit, von seiner maßlosen Verschwendungssucht zum Ruin gebracht, sein Theater längst an den reichen Kaufmann Zitterbart verkauft, und auch der hat es nicht behalten, sondern um eine Million Gulden weitergegeben.

1813 übernimmt Graf Palffy das Theater an der Wien als Alleinbesitzer und leitet damit eine Glanzperiode in der Geschichte der Bühne ein. Der „Messias” von Händel wird in dieser Zeit hier zum erstenmal öffentlich, das „Käthchen” von Kleist uraufgeführt, Fanny Elßler ist Mitglied des Balletts. 1817 geht Grillparzers „Ahnfrau” zum erstenmal in Szene, mit einem unerhörten Erfolg beim Publikum. Im gleichen Jahr gibt Raimund ein erfolgreiches Gastspiel.

Das Theater ist voll, aber die Kassen sind trotzdem leer: Die Ausstattung der Stücke verschlingt einfach zuviel Geld. Palffy veranstaltet „Theaterbälle” und verlangt dafür horrendes Eintrittsgeld, die Leute kommen und zahlen — es ist alles zuwenig. Palffy entschließt sich zu einem originellen Schritt. Er veranstaltet eine große Lotterie. Ein Los kostet 20 Gulden.

DER ERSTE PREIS 1ST DAS THE sįj - QER WIfiN y reicher Weinhändler gewinnt s, wills’ aoer nicht haben, laßt es sich um 100.000 Gulden ablösen — Palffy bleibt Direktor. Und läßt schließlich sogar Kunstreiter und Seiltänzer im Theater an der Wien ihre Künste zeigen — aber er kann es trotzdem nicht halten. Mit der Uraufführung von „König Ottokars Glück und Ende” feiert er seinen Abgang.

Carl wird Pächter, kauft von Raimund um 1200 Gulden „Moisasurs Zauberfluch” und bringt die Bühne wieder in die Höhe. Auch der Beginn der Nestroy-Ära fällt in seine Direktionszeit, als erstes Stück wird „Der gefühlvolle Kerkermeister oder Adelheid, die verfolgte Wittib” gespielt. Carl kann das Theater sogar renovieren und einen neuen Vorhang anschaffen.

Aber er macht einen Fehler. Er hat um 170.000 Gulden das Leopoldstädter Theater gekauft und möchte auch das Theater an der Wien ganz erwerben, aber die geforderten 145.000 Gulden nicht zahlefl; er hofft, es billiger zu bekommen. Das Theater an der Wien wird versteigert. Carl ist so sicher, daß sich kein Liebhaber dafür finden wird, daß er nicht einmal zur Auktion geht. Am nächsten Tag wacht er auf und ist nicht mehr Direktor: Franz Pokorny, der Besitzer des Theaters in der Josef stadt, hat 199.000 Gulden bezahlt.

Pokorny will an der Wien hauptsächlich die Oper pflegen, daneben auch die beliebte Posse — schließlich möchte er nicht seiner eigenen Bühne Konkurrenz machen, sondern dem benachbarten Kärntnertor-Theater. 1850 veranstaltet er noch eine große Feier zum 50jährigen Bestand des Theaters an der Wien, das Gelegenheitsstück „Papageno und der Zeitgeist” wird gegeben — zehn Jahre später ist er bankrott und im Mai 1862 geht er in den Konkurs.

EIN HUNDERTFÜNFZIGJÄHRIGES AUF UND AB, ein ewiger Wechsel zwischen Glanzperioden und schweren Krisen, ein ununterbrochenes Kommen und Gehen der Besitzer, das ist die Geschichte des Theaters an der Wien. In unserem Jahrhundert ist es vor allem der Journalist und Dramatiker Karczag, der sich mit Mut und Geld ins Theatergeschäft stürzt und an der Wien Theatergeschichte macht. Ohne besonderen Optimismus nimmt Karczag ein Werk von Viktor Leon und Leo Stein, läßt Lehar schnell eine Musik dazu schreiben. Nach zehn Tagen Probenarbeit ist Premiere — und das Haus rast und ein Erfolgsstück nimmt seinen Weg rund um die Welt: „Die lustige Witwe”. Das ist 1901. Erst fast ein Vierteljahrhundert später kann Karczag diesen Riesenerfolg wenigstens annähernd noch einmal erzielen — mit der „Gräfin Mariza”.

DIE ZEHN JAHRE STAATSOPER AN DER WIEN sind heute auch schon Geschichte. Aber noch vor wenigen Wochen stand das Theater so da, wie es die Philharmoniker und die Staatsopernsänger verlassen hatten. Jetzt sind die Bauarbeiter und die Maschinen an der Reihe. Die Tradition wird fortgesetzt.

Tradition? In einem halben Jahrhundert werden die Theaterereignisse von morgen Geschichte sein und als Tradition, die angeblich verpflichtet, reklamiert werden.

Heute aber ist alles offen.

Und das bedeutet Verantwortung.

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