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Theater zwischen barockem Zauber und Holzgerüsten

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Ein jahrzehntelanges Tauziehen hat endlich ein Ende gefunden: Die 1922 gegründete Theatersammlung der österreichischen Nationalbibliothek hat nach mehr als 50jährigem Provisorium endlich Räume bekommen, um einen Querschnitt durch ihre weltberühmten Schätze präsentieren zu können. Nach immer wieder verschleppten Verhandlungen um die Adaptierung von verschiedenen Ringstraßenpalais, des Semper-Staatstheater-depots und anderer Gebäude als Theatermuseum, hat man sich nun zur billigsten Lösung entschlossen: Im ehemaligen Verwaltungspalast Erzherzog Friedrichs, der heute den. Bundestheaterverband beherbergt, wurden mit rund einer Million Schilling Aufwand zehn Räume mit Depots und Arbeitszimmern um- und ausgebaut, die. jetzt die erste soeben .eröffnete Ausstellung des „österreichischen Theatermuseums“ beherbergen.

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Ein jahrzehntelanges Tauziehen hat endlich ein Ende gefunden: Die 1922 gegründete Theatersammlung der österreichischen Nationalbibliothek hat nach mehr als 50jährigem Provisorium endlich Räume bekommen, um einen Querschnitt durch ihre weltberühmten Schätze präsentieren zu können. Nach immer wieder verschleppten Verhandlungen um die Adaptierung von verschiedenen Ringstraßenpalais, des Semper-Staatstheater-depots und anderer Gebäude als Theatermuseum, hat man sich nun zur billigsten Lösung entschlossen: Im ehemaligen Verwaltungspalast Erzherzog Friedrichs, der heute den. Bundestheaterverband beherbergt, wurden mit rund einer Million Schilling Aufwand zehn Räume mit Depots und Arbeitszimmern um- und ausgebaut, die. jetzt die erste soeben .eröffnete Ausstellung des „österreichischen Theatermuseums“ beherbergen.

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Zwar werden sich hier, in den eher engen Raumverhältnissen kaum Möglichkeiten bieten, Originalbühnenbilder (etwa Kokoschkas berühmte Raimund-Ausstattungen für die „Burg“, die Wotruba-Dekors zum Antiken-Zyklus usw.) und Originalkostüme aufzustellen, wie man dies etwa im prachtvollen weiträumigen Palais Erzherzog Ludwig Viktors am Schwarzenbergplatz oder im Semper-Depot hätte tun können; aber man muß schon froh sein, daß es Oberhaupt endlich zur Verwirklichung des Projekts gekommen ist. Denn bis jetzt ruhten da über eine Million Objekte in den Kellern, auf den Dachböden und in den Depotkammern der Theatersammlung, Schätze, um die alle Theatermuseen der Welt Wien beneiden, die aber allzu selten, wenn nicht gar nicht zu sehen waren.

Daß die Wiener Theatersammlung heute so reichhaltig mit Rarissima bestückt ist, verdankt sie vor allem ein paar Theaterliebhabern: dem Schriftsteller Franz Ignaz Castelli (1781 bis 1862), dessen Sammlung von etwa 12.000 Objekten und zahlreichen Porträts noch von der kaiserlichen Hofbibliothek angekauft wurde; dann dem Schauspieler Hugo Thimig (1854 bis 1944), dessen Sammlung seit 1922 den Grundstock der Theatersammlung der Nationalbibliothek bildet; dem Sammler-Schauspieler Hubert Marischka (1882 bis 1959) und schließlich dem Dichter Stefan Zweig (1881 bis 1942), der seine bedeutende Sammlung von Dichterhandschriften der Theatersammlung widmete. Als Bundestheatermuseum wurde diese Sammlung ab 1932 von Joseph Gregor geführt. 1938 wurden die Bestände verpackt und verlagert.

Jedenfalls besitzt Wien heute die größte Theatersammlung: über 5000 Theaterhandschriften, 64.000 Autographen, 250.000 Einblattdrucke, an die 400.000 Zeitungsausschnitte, 88.000 Handzeichnungen, fast 300.000 Photos, 800 Theatermodelle, darunter vor allem barocke Kostbarkelten, 230 Ölgemälde, 55.000 Druckschriften usw., eine Kollektion, die in Wien zu zeigen, viele Jahre in Anspruch neh-

men wird. Daß Wiens Theaterpublikum in Hinkunft aber so gut wie möglich informiert werden soll, dafür wird der Organisator des Theatermuseums Hofrat Josef Mayerhö-fer sorgen: So kündigt er bereits eine Reihe von Ausstellungen zu aktuellen Anlässen und Themen an: zum Burg-Jubiläum 1976, über Österreichs Festspiele, über die Wiener Hofoper und das Hofopernbal-lett, über Avantgarde im Wiener Kellertheater, über Wiener Volkstheater ... Vor allem auch die historischen und gegenwärtigen Theaterleistungen in den Bundesländern sollen endlich gewürdigt werden. (Dazu Wissenschaftsminister Doktor Firnberg: „Wir wollen ein gesamtösterreichisches Theatermuseum!“): Man denke nur an die berühmten Gastspiele englischer Schauspielertruppen im frühbarocken Graz, an die Opern- und Theaterleistungen des fürsterzbischöflichen Salzburg, an das Theaterleben im höfischen Innsbruck, an das bürgerliche Theaterleben so kleiner Städte, wie Grein, an „Masques“, Komödien, Balletti und Opernaufführungen im Ester-häzyschen Eisenstadt und so weiter. Vorerst bedeutet dieses „Öterreichi-che Theatenmuseum“ mit seinen zehn Räumen freilich auch eine Beschränkung: Internationale Bestände in Wiens Sammlung können konsequent kaum berücksichtigt werden; aber sobald sich eine Möglichkeit bietet, das Museum zu erweitern, das heißt, sobald ein weiteres Stockwerk dazuzubekommen ist, will Doktor Mayerhöfer auch den Schritt zum internationalen Theatermuseum also die Dokumentation des Welttheaters wagen. Jedenfalls soll 1976 bereits' der internationale Verband der Theatermuseen und Theaterbibliotheken in Wien tagen.

Die erste Ausstellung des Theatermuseums, die Montag eröffnet wurde, versucht einen gerüsthaften Überblick über das „Wiener Theater — Vom Barock zur Gegenwart“ zu bieten: eine Materialzusammenstellung, die bei den prächtigen Barockstichen von Opernaufführungen

beginnt und mit Wiens Kellertheaterleben nach dem Zweiten Weltkrieg endet, mit der Rückkehr zu Aspekten des Alt-Wiener Volkstheaters (im Pawlatschentheater der Wiener Festwochen 1959 bis 1967), zum Theater auf dem Holzgerüst, im Zelt, auf der Straße... Und da fehlt es natürlich nicht an Kostbarkeiten: Burnacini etwa ist mit seinem ersten „zu hoff erpauten Theatrum“ und der Eröffnungsvorstellung „La Gara“ (Die vier Kontinente huldigen der spanischen Erbtochter) vertreten; auch sein 1653 für den Regensburger Fürstentag konstruiertes, 1659 unter Leopold I. „auf dem Thummelplatz“ (heute Josefsplatz) aufgestelltes Holztheater wird gezeigt.

Seit damals blüht in Wien die Pracht des barocken Theaters: Opern, Ballette, Komödien, Bälle, Aufzüge, Schlittenfahrten für den Fasching, Oratorien für die Fastenzeit, Sacre Rappresentatione für den Karfreitag in der Hofkapelle, Freilichtaufführungen im Frühling in Laxenburg, Opern, Wasserspiele, Ballette in der „Favorita“ (heute Theresianum), Oper und Commedia dell'Arte zwischen Oktober und Advent in der Hofburg und dann ab Weihnachten wie auch zu Geburtstagen, Namenstagen, Krönungen, Hochzeiten, wieder festliches Leben: Theater, Feuerwerke, Wasserspiele, Pferdeballette ... Das Leben ein gigantisches Theater...! Repräsentation der barocken Kaiser, der Casa d'Austria. Märchenhafte Bühnenkünste der Familie Galli-Bibiena für Karl VI., daneben schon die Wiener Volkskomödie mit dem salzburgischen Hans Wurst, der 1713 sogar ins Kärntnertortheater einzieht. Dann die Gründung des Burgtheaters im alten Hofballhaus, das ab 1741 täglich bespielt wurde und 1776 von Kaiser Josef II. als „Teutsches Nationaltheater“ in seine Obhut übernommen wurde. Dann die glanzvolle Wiener Theaterepoche zwischen 1800 und Nestroys Tod 1860, eine Epoche, in der in den Theatern an der Wien, in der Leopoldstadt und in der Josefstadt Nestroy, Raimund, Pokorny, Carl einen eigenen Wiener Theaterstil schaffen, den nach 1860 Carl Treumann weiterpflegt.

Der Reichtum des Wiener Theaterlebens läßt sich kaum in einen Rahmen bringen: Dieses Gefühl hat man angesichts der reichen Schätze. Zum Beispiel, wenn man den Adolf Bäu-erles Theaterzeitung gewidmeten Raum mit den vielen großartigen

Blättern sieht: Auch graphischkünstlerisch Großartiges ist darunter, wie die Darstellungen zu Herolds Oper „Zampa oder die Marmorbraut“, zu Lemberts Zauberspiel „Fortunats Abenteuer zu Wässer und Land“ mit der köstlichen Konversationsszene im Bauch des Jonas-Wals... Es ist das Theater der Gründerzeit: Die Wolter , von Klimt-Kollegen Franz Matsch porträtiert, steht hier stellvertretend für eine Umschichtung — erstmals wird der Schauspielerstar zum Zentrum des Interesses. Diesem neuen Superstar-Typ begegnen wir in Hinkunft immer öfter: Der Wolter', der Bahr-» Mildenburg, der Maderna usw.

Und daneben versucht die Ausstellung auch den Entwicklungsbogen der Wiener Operette, das Theater der Jahrhundertwende, die neuen Wiener Theater zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die Aufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg, ja sogar das Thema Wien und die großen Theateraufstellungen von 1892, 1924, 1936 und 1955 miteinzubeziehen. Und es fällt einem schwer zu sagen, welche dieser Objekte die schönsten und kostbarsten sind: Rottonaras spätbarockillusionistische Ballettdekorationen, Rollers Ausstattungen zur „Frau ohne Schatten“ und zum „Rosenkavalier“, die luftig hingepinselten Aquarelle Oskar Laskes für Reinhardts „Diener zweier Herren“-Inszenierung, Geylings leuchtende „Peer-Gynt-Bühnenbilder oder Ko-lo Mosers geometrisch-strenge Her-mann-Bahr-Ausstattung zu „Das Prinzip“.

Eine Ausstellung, die Wiens Theaterpublikum hoffentlich auf den Geschmack bringen wird, sich im Österreichischen Theatermuseum jenes Wissen und jene Kennerschaft anzueignen, die uns das Theater der Gegenwart erst wirklich verstehen läßt.

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