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Das stille Palais

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Die Zahl der Wiener, die von diesem Museum Kenntnis hat, dürfte nicht allzu groß sein, und die wenigsten Passanten, die an dem ehemaligen Gartenschloß des Reichsvizekanzlers Friedrich Carl Graf von Schönborn vorbeigehen, mögen ahnen, daß sich hinter der heiter verspielten Fassade dieses Gebäudes, dem Johann Lucas von Hildebrandt sein Gepräge gab, nicht nur eine reichhaltige museale Sammlung verbirgt, sondern auch eine nach modernsten Prinzipien aufgebaute wissenschaftliche Arbeitsstätte.

Und doch sind es nun schon vier Jahrzehnte, daß die Sammlungen des Vereines für Volkskunde hier Unterkunft gefunden haben. Der Verein selbst konstituierte sich bereits 1894, begann sogleich — rein auf Privatinteresse aufgebaut — intensiv zu sammeln, zeigte seine ersten Schätze schon ein Jahr später in einer großen Volkskunstausstellung im heutigen „Österreichischen Museum für angewandte Kunst“, und konnte im Jahre 1897 im Börsengebäude am Ring mit bereits über 6000 Nummern das „Museum für Österreichische Volkskunde“ errichten.

Es war dies die Tat weniger Männer, vor allem Michael Haberlandts, des größten Volksforschers Österreichs, des feinsinnigen Kulturmenschen und Freundes Hugo Wolfs, der heuer hundert Jahre alt geworden wäre. Haberlandts Büste, von Franz Seifert hervorragend gestaltet, empfängt den heutigen Museumbesucher in der Eingangshalle.

Mitten in den Wirren des ersten Weltkrieges war es Haberlandt gelungen, das ehemalige Gartenpalais Schönborn von der Stadt Wien zur Verfügung gestellt zu bekommen, und mitten in diesen Wirren wurden die immens anwachsenden Sammlungen, buchstäblich mit der Straßenbahn, nach Dienstschluß (Haberlandt stand bis 1917 dem Naturhistorischen Museum als Kustos zur Verfügung), mit Hilfe weniger Freunde in das neue Haus übersiedelt. Das Jähr 1918 markiert dann bereits über 37.000 Objekte.

Michael Haberlandt sah die Sarrjfjiiung ursprünglich als Museum der alten Kulturen der vierzehn Länder der Monarchie. Doch diese Idee brach mit dem Reith zusammen, die Fiktion eines österreichischen Völkermuseums war zerrissen.

So geschah die'Neuaufstellung, die dem Publikum 1920 zugänglich gemacht wurde, unter dem Gedanken des Monumentes einer vergangenen Staatsidee. Die ursprünglich Orientierung hatte überaus fruchtbar auf die Sammeltätigkeit gewirkt, welche sich während der Kriegszeit, 1914 bis 1918, fast ausschließlich auf den Balkan konzentrierte. Dabei wurde in letzter Minute geborgen, was unwiderruflich dem Verfall und der Überwuchemng preisgegeben war. Eben jetzt zeigt uns eine Sonderausstellung, „Volkskunst der Ostkirche“, welche Schätze dem Museum in dieser Zeit eingebracht wurden. Wertmäßig betrachtet bildet die Südostsammlung wohl einen der bedeutendsten Bestände des Museums. Mit ihren etwa 10.000 Qbjekten hat sie in Ost- und Südosteuropa kaum ihresgleichen. Da es der gegenwärtigen Museumsleitung nicht möglich ist, im Rahmen des überaus beschränkten Raumes die ganze Südostabteilung zur Aufstellung zu bringen, kann sie dem Publikum im Laufe der Zeit einzig und allein in Form von Sonderausstellungen einen orientierenden Überblick geben.

Die räumliche Bedrängnis, dem Museum seit seinem Bestehen hinderlich, hatte in den Jahren zwischen beiden Kriegen keine rechte Möglichkeit zu moderner Aufstellung und wissenschaftlicher Durcharbeitung des ständig noch wachsenden Materials gegeben. Erst der letzte Krieg brachte durch Bergung, Sicherstellung und Verlagerung der Objekte die Möglichkeit einer radikalen Umstellung und Reorganisierung des Museums mit sich.

VOLKSKUNDE ALS GEISTESWISSENSCHAFT Die Situation der Volkskunde hatte sich entscheidend gewandelt. Die Disziplin selbst hatte den letzten Schritt getan auf ihrem Weg zur Anerkennung der Tatsache, sich aus anthropologischen und ethnologischen Anfängen zu einer geisteswissenschaftlichen Grundwissenschaft durchgerungen zu haben. Zudem hatte die Forschung die Erkenntnis gebracht, daß gerade die österreichische Volkskunde Eigenart und Selbständigkeit für sich beanspruchen kann. Dieser Entwicklung wurde dann vor allem von Univ.-Prof. Dr. Leopold Schmidt Rechnung getragen, der dem Museum seit 1946 beziehungsweise 1952 als Leiter vorsteht.

Der Anfang war nicht leicht gewesen. Leidet doch die Volkskunde bis heute unter der Diskriminierung, die ihr dilettantischer Ge- und Mißbrauch, vor allem in der nationalsozialistischen Ära, zugefügt hat. Heute noch mißbrauchen Unternehmen und Vereine, die sich unter den unverbindlichen Flaggen von Volksbildung, Volkspflege, Volkstumsschulung zu etablieren und Geltung zu gewinnen suchen, den Namen einer wissenschaftlichen Disziplin, die nicht die Möglichkeit hat, sich genügend zur Wehr zu setzen, da sie selbst noch zuwenig Fachkräfte besitzt, um den haarsträubendsten Fehlurteilen über sie zu begegnen. (Dies ist immer wieder auch bei der Kritik zu merken, die, ungeschult an volkskundlicher Anschauungsweise, völlig falsche Maßstäbe — meist ästhetischer Qualitäten und Wertungen — an Ausstellungen und Arbeiten legt. Dabei sind die Bemühungen des Museums, hier aufklärend zu wirken, nicht gering. Jede Sonderausstellung wird stets vom Leiter des Museums selbst eingeführt, und es wäre nur die Mühe aufzubringen, zum Eröffnungstermin zu erscheinen).

WAS ERWARTET DEN BESUCHER? Eine volkskundliche Sammlung ist nicht mit Besuchermaßstäben anderer Museen zu messen. Sucht die Volkskunde doch, nicht allein die künstlerische Seite des Lebens darzustellen, sondern dieses Leben selbst, soweit es sich in überlieferten Ordnungen, also Normen gestaltet und sichtbar wird. Daß diese Sichtbarmachung in oft bewunderungswürdiger Weise geschehen kann, macht gewiß den Reiz der Sammlungen aus, gibt aber nicht das Wesentliche wieder. Ebensowenig dürfen romantische Erwägungen — nicht immer seligen Angedenkens —, die mit allen Mitteln ein Schwinden volkstümlichen Wesens zu verhindern beziehungsweise die letzten Zeugen dessen, was dafür gehalten wird, museal zu erhalten suchen, eine Rolle spielen. Volkstümliche Lebens- und Verhaltensweise schwinden nicht, sie wandeln sich nur. Dem hat die Volkskunde Rechnung zu tragen, und somit heißt für sie ErweitennTg ihres Gebietes nicht nur historische Ersehne- ' ßung, sondern auch Neuerfassung gesellschaftlicher Strukturen, wie sie uns etwa in der Großstadt und ihrer Bevölkerung entgegentreten. Die Schauobjekte zeigen ohnehin, dem ästhetischen Bedürfnis entgegenkommend, im allgemeinen die Lebenswelt des 18. und 19. Jahrhunderts.

Dies soll aber nicht dazu verleiten, die Ausstellungsstücke in ihrem spezifischen Eigenwert zu betrachten. Es geht hier nicht um die Schaubarmachung einzelner Objekte, sondern um die Repräsentanz von Objektgruppen. Auf die allein kommt es an, und diese werden erst aufschlußreich im Zusammenhang mit typischer und landschaftlicher Einordnung. So nehmen Landkarte und bildliche Darstellung einen entscheidenden Platz in der modernen Aufstellung ein. Das Objekt wird seinem Typus nach konfrontiert mit seiner Verbreitung, seiner geographischen Eingliederung und seiner historischen Entwicklung. Zusammenhänge wollen erschlossen werden.

Gewiß, das ist nicht einfach und nicht einfach zu lesen. Die Schule bereitet nicht oder kaum darauf vor; an den Hochschulen Österreichs lehren wohl Professoren die Disziplin, doch hat man bisher verabsäumt, Institute für sie zu schaffen. Und dies, obwohl schon aus dem sprunghaften Ansteigen der volkskundlichen Publikationen ihre Bedeutung zu ersehen wäre, obwohl immense Sachwerte in Form von Objektsammlungen vorliegen, obwohl heute die wissenschaftliche Arbeit am stillen Haus in der Laudongasse europäische Anerkennung gefunden hat und in vielem vorbildlich geworden ist.

... -HINTdEJUDER VERTRÄUMTEN FASSADE

Di? ..Österreichische Zeitschrift für Volkskunde“, geleitet von Leopold Schmidt, die seit 1896 ununterbrochen Zeugnis für die wissenschaftliche Arbeit ablegt, hat in den letzten Jahren viele deutschsprachige, einschlägige Publikationen überflügelt; eine eigene Publikationsreihe zeugt nicht nur von dieser Tätigkeit, sondern auch — und das besonders — von der Initiative, ihr Verbreitung zu sichern. Der Besucher wisse es nur: Hinter all diesen für ihn sichtbaren Objekten steht unermüdliche wissenschaftliche Tätigkeit, die sich nicht allein in der systematischen Aufarbeitung erschöpft, sondern, die immer wieder neue Zielsetzungen aufgreift. So ist unter anderem von Wien aus die Gerätevolkskunde entscheidend vorgetrieben worden und hat bereits überall in Europa ergänzende Arbeiten gezeitigt. Das Bestreben der volkskundlich wissenschaftlichen Arbeit am Museum zielt heute nicht mehr auf den Zufallskauf, die Zufallsschenkung, sondern auf systematische Erfassung der einzelnen Gebiete.

SCHAUSAMMLUNG, BIBLIOTHEK

Die letzten Jahre brachten im Zusammenhang damit ein gewaltiges Anschwellen der Photo-thek. Hand in Hand damit geht der Ausbau der Bibliothek, die mit ihren rund 15.000 Nummern als eine der größten Fachbibliotheken überhaupt gilt.

Das Museum hat bei der jetzigen Neuaufstellung — sie berücksichtigt vor allem das Gebiet des heutigen Österreich in seiner Einbettung gegen die Nachbarländer — die Chance wahrgenommen, die der Umbau ihm gegeben hat. Leider ist der Raum immer noch beengt, wären Pläne zu einer Erweiterung dringend nötig. (So ließen* sich' etwa für die im Depot ruhenden Großgeräte ohne Schwierigkeit lichte Glashallen im Park errichten.) Möge diese Chance auch der Besucher wahrnehmen. Es ist bedauerlich, daß seine Einstellung und Beziehung zu den Gegenständen vorwiegend modischen Strömungen.unterworfen ist und sich im allgemeinen auf Anregungen zu meist barbarischer, eigener Sammeltätigkeit beschränken. So wird es dann notwendig, die Votivbilder in den Kirchen anzunageln, um nur ein Beispiel zu geben. Immer wieder wird nur das Einzelobjekt gesehen, und das wieder ausschließlich in ästhetischer Wertung. Der Zusammenhang hat das Interesse verloren, nicht zuletzt aus dem Unwissen jeder geographischen Gegebenheit gegenüber. Geographische Kenntnisse aber, der der heutigen Grenzen und der der Monarchie, sind eine der Voraussetzungen zum Verständnis des Gebotenen. Gerade die Sonderausstellungen wollen dem Besucher hier helfen, an Hand gewisser Objektgruppen mit den Dingen und Problemen vertraut zu werden. Im Museum für Volkskunde muß man nicht nur schauen, hier kann, soll, muß man auch denken. Und keiner braucht Angst zu haben — wie noch vielfach die Meinung geht —, die Lederhosen und Trachten an Wärtern und Beamten statt in den Vitrinen betrachten zu müssen.

So lächerlich es scheint, es muß doch gesagt werden: das Österreichische Museum für Volkskunde ist mit keiner Schützengilde zu verwechseln, mit keinem Volksbildungswerk, keinem Trachten-, Heimat-, Volkstum- oder gar Blut-und-Boden-Verein; es ist eine wissenschaftliche Arbeitsstätte und eine Schausammlung, die das Schauen lohnt und Anerkennung verdient.

Leopold Schmidt schreibt in seinem Buch „Geliebte Stadt, Briefe an Wien, 1947“, dem auch der Titel zu unserem Artikel entnommen ist: „Wer suchen will, der wird finden, wer anklopfen wird, dem wird in der Laudongasse aufgetan werden, und vor allem: wer finden will, der wird dort suchen müssen. Es geht bei vielem Großen in der Welt so, warum nicht auch hier.“

Gegenwärtige Sonderausstellungen im Museum für Volkskunde:

• Volkskunst der Ostkirche,

• Votivbilder aus Österreich.

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