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Kunst und Staatsgedanke

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Bei dem Kongreß des Österreichinstituts über die Kulturkrise wurden von Psychiatern einige Bemerkungen gemacht, welche festgehalten werden sollen. Einer der Herren bemerkte, daß dem Nachkriegsmenschen ein gewisser Fatalismus anlastet, der sich in der resignierten Bemerkung äußert: „Was sollen wir machen? Uber uns entscheiden die Großen Vier.“ — Der Arzt stellte fest, daß es sich hiebei um eine Kriegsfolge handelt, um eine Schädigung des Nervensystems, dessen Widerstandskraft herabgesetzt wurde. Man muß wieder zu einem Lebenswillen gelangen, zu einer positiven Einstellung zum Leben und vor allem zu dessen stärksten Äußerung, zum Staat.

Unabhängig hievon stellte in einem anderen Vortrag ein anderer Arzt fest, daß auf einer Wiener Klinik diese Uber-müdungserscheinung mit Erfolg durch

Beschäftigung mit der Kunst behandelt wird. Ein ganz neuer Gesichtspunkt, der sich hier bietet und genützt zu werden verdient.

Tatsächlich scheint Kunst und Staatsbewußtsein in einem innigen Zusammenhang zueinander zu stehen. Ich gebe ein Beispiel: In einer Provinzstadt wird derzeit eine neue Schule gebaut. Die Künstlerschaft wendet sich an den Gemeinderat und erbittet die Ausschmückung der Schule. Der Gemeinderat zeigt sich schließlich dem Wunsche geneigt, wenn man einen geeigneten Vorschlag machen könne. Nun gerät die Aktion ins Stocken. Niemand weiß ein geeignetes Thema für eine Plastik oder ein Fresko. Und doch lebten in jener Stadt drei Künstler internationalen und drei Künstler nationalen Ranges, welche noch kein Denkmal besitzen. So wenig liegen bei uns die eigenen Künstler, die eigenen nationalen

Leistungen im Blickfeld des Volkes. — Es ist dies das Ergebnis eines sehr schwachen Staatsgedankens. Das ist leider nicht neu. Schon die erste österreichische Republik zeigte diesen Mangel an Staatsbewußtsein. Hatte damals die Öffentlichkeit, die private Hand, Gelder zur Verfügung gestellt, um die heimischen Staatsmänner von internationalem Rang der letzten 30 Jahre durch ein Denkmal auszuzeichnen? Hat man etwa Dr. Seipel ein Denkmal gesetzt?

Man kann in die fernere und nähere Vergangenheit zurückgehen und wird immer dasselbe finden. Wer kümmert sich beispielsweise um unsere, Helden? Im Laudon-Schloß zu Hadersdorf wurde während des Türkenkrieges 1683 das gesamte dorthin geflüchtete Volk niedergemetzelt. Kein Denkzeichen erinnert an diesen Schrecken. Wäre dies nicht vielleicht die beste Friedenspropaganda, wenn man an allen Orten an die Schrek-ken des Krieges erinnerte? Wie viele Opfer forderte der letzte Krieg, die Widerstandsbewegung? Ist es einem Betrieb eingefallen, durch die Spende einer einzigen Arbeitsstunde, mehr ist bei einem größeren Betrieb nicht notwendig, die Opfer der Widerstandsbewegung zu ehren?

Kriegerdenkmäler zu errichten, ist nicht angezeigt, aber Heimkehrerdenkmäler zu errichten, wäre zeitgemäß. Ein Heimkehrerdenkmal wäre ja besonders geeignet, den vaterländischen Gedanken zu fördern!

Das ist im Ausland anders! An allen Plätzen der Städte, in den entlegensten Dörfern findet man Erinnerungsmale an die Helden der Kriege, besonders der letzten, welche von den verschiedensten Komitees errichtet wurden. Diese Länder haben ein Staatsbewußtsein, das durch diese Denkmäler wieder gehörig gefestigt wird.

Wie es den österreidiischen Staatsmännern erging, erging es und geht es auch den österreichischen Künstlern.

Einer unserer bedeutendsten Barockmaler, der Kremser Schmidt, hat weder in dem reichen Krems noch in dem wohlhabenden Stein ein Denkmal, und der Versuch für ein solches zu werben, welches etwa anläßlich des bevorstehenden Jubiläums dieses Künstlers enthüllt werden könnte, ist bisher kläglich gescheitert. Der am meisten gespielte deutsche Dramatiker der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, Kamare, fiel der Befreiung zum Opfer. Man hat bisher nicht die Mittel aufgebracht, diesem Menschen, welcher dem Staate so viele Devisen gebracht hat, eine einfache Gedenktafel zu setzen. Stifter, Hebbel, Bittner, Pfitzner, Richard Strauß, Hofmannsthal, Schönherr, Wildgans haben keine Denkmäler. Ich möchte jetzt keine Listen jener Persönlichkeiten aufstellen, welche durch . ein Denkmal, es muß nicht überlebensgroß, es muß auch nicht von Stein sein, auszuzeichnen wären. Ich möchte nur Beispiele geben. Ich gebe sie noch für die Gelehrten. Wels hat kein Eiseisberg-Denkmai, obwohl dieser Arzt dort geboren wurde. Das danebenliegende Bad Hall wertet zwar diesen Mann propagandistisch aus, aber ohne dem Arzt ein Denkmal zu setzen. Um bei den Ärzten zu bleiben: Kein Nobelpreisträger der Medizin hat ein öffentliches Denkmal, wenn man vielleicht von einem kleinen Gedenkstein in der Aula irgendeiner Universität absieht. Von einem der großen Revolutionäre der Medizin, dem Entdecker der Blutgruppen Landsteiner, weiß man bei uns kaum den Namen. Was von den Ärzten gilt, gilt von den Angehörigen aller anderen Stände.

Man wird fragen, wo sollen wir diese Denkmäler errichten? Dafür gebe ich wieder ein Beispiell In Niederösterreich sind allein 300 Schulen neu zu bauen oder gründlich zu restaurieren. Hat der zuständige Referent schon gedacht, daß man diese Schulen mit Fresken, Plastiken, Gedenktafeln schmücken könnte, um den vaterländischen Gedanken, das Staatsbewußtsein bei der Jugend zu fördern? Ein Gleiches gilt für das Burgenland und die Steiermark, und wenn auch im geringeren Maße für die übrigen Bundesländer. Die Gemeinde Wien bewilligt 1 Prozent der Bausumme ihrer Bauten für künstlerische Ausgestaltung. Linz folgte diesem Beispiel. Die übrigen Bundeshauptstädte fehlen ebenso wie die Bundesländer. Eine Beamtenschaft, welche ihre Verpflichtung kennt, könnte da sehr viel leisten, indem sie die Verbindung zwischen Staatsgedanken und Kunst herstellt, auch indem sie die Organisation solcher Denkmälerkomitees in die Hände nimmt. Der zuständige politische Referent im Landtag könnte durch Beistellung einiger Geldmittel den notwendigen Antrieb geben. — Den Staatsgedanken zu fördern, gibt es noch viele Möglichkeiten!

Ein Mittel, auf billige Weise die Kunst zu fördern und damit dem Staatsbewußtsein zu dienen, ist die Vermietung der Wegweiser auf den Autostraßen zu Werbezwecken, wobei gleichzeitig für die in der Nähe befindlichen Sehenswürdigkeiten geworben werden kann. Auf gleiche Weise könnte auf historisch bedeutende Persönlichkeiten durch Wegweiser und Ortstafeln hingewiesen werden.

Man muß aber nicht immer an die hohe Kunst denken, um den Staatsgedanken zu stärken. Auch in der bescheidenen Ebene des Durchschnitts gibt es reichlich Möglichkeiten, zum Beispiel bei der Wiener Mode. Auch sie ist während des Krieges stark in den Hintergrund gedrängt worden. Auch in der Bekleidung des jungen Mädchens, der Frau ist der Kitsch an Stelle der einstigen feinen Modekunst getreten. Wie wäre es, wenn man die Wiener Mode wieder modern machte? Wie wäre es, wenn sich unsere Gewerbetreibenden und Fabrikanten mit unseren Modekünstlerinnen zusammentäten, um in ganz „gewöhnlichen“ Modeausstellungen eine neue Wiener Mode dadurch zu schaffen, daß man den Geschmack durch Zeigen ausgewählter Stücke der Konfektion, ausgewählter Stoffe, ausgewählter Modezeichnungen hebt? Das wären Ausstellungen, welche gut besucht würden, wenn man sie nur praktisch gestaltet und dadurch bewiese, daß man zum selben Preis gut oder schlecht gekleidet sein kann.

Es gibt also viele Möglichkeiten, die Kunst in den Dienst des Staatsbewußtseins zu stellen, auch solche, welche großen Organisationen, wie es die politischen Parteien sind, erlaubten, sie auszuwerten, auch solche, welche nicht Geld kosten, sondern Geld bringen.

Eine lohnenswerte Aufgabe, wer aber wird sie lösen?

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