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Das goldene Haus

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Im Brahmssaal des Musikvereins hielt der Präsident der Gesellschaft der Musikfreunds- gewissermaßen als Ouvertüre zu den während der Wiener Pestwochen stattfindenden Jubiläumsveranstaltungen der traditionsreichen Gesellschaft, einen ebenso fundierten wie umfassenden Vortrag. Von dem in vier Teile gegliederten Referat (Die Gründung. Die Beziehung der Gesellschaft zu den großen Tonheroen. Die Sammlungen. Das goldene Haus) bringen wir den letzten Abschnitt nachfolgend im Wortlaut. „Die Furche“

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Im Brahmssaal des Musikvereins hielt der Präsident der Gesellschaft der Musikfreunds- gewissermaßen als Ouvertüre zu den während der Wiener Pestwochen stattfindenden Jubiläumsveranstaltungen der traditionsreichen Gesellschaft, einen ebenso fundierten wie umfassenden Vortrag. Von dem in vier Teile gegliederten Referat (Die Gründung. Die Beziehung der Gesellschaft zu den großen Tonheroen. Die Sammlungen. Das goldene Haus) bringen wir den letzten Abschnitt nachfolgend im Wortlaut. „Die Furche“

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Bald nach dem Ankauf und Umbau des Hauses“ „Zum roten Igel“ auf der Tuchlauben war man sich klargeworden, daß die also geschaffenen Räume auf die Dauer nicht ausreichen würden, um dem rapid anwachsenden Konservatorium Genüge zu tun, gleichzeitig aber auch die reich einströmenden musealen, archivalen und bibliothekarischen Schätze gehörig unterzubringen und schließlich den Konzertbetrieb zu bewältigen. Nahezu ein Jahrzehnt hindurch war daher die Frage des Erwerbes eines geeigneten Bauplatzes nicht von der Tagesordnung der Direktionssitzungen gewichen.

Da brachte das Ende der fünfziger Jahre einen von außen kommenden Impuls: Kaiser Franz Joseph hatte endlich die längst geplante Stadterweiterung, die Schleifung der Fortifikations-mauern und der Stadtgräben bewilligt. „Wenn jemals“ — so rief der Direktionsreferent mit Pathos aus —, „so ist jetzt der günstige Augenblick gekommen, die ganz unwürdigen, niedcrdrückenden Fesseln zu sprengen, die ein wohl gutgemeinter, aber unglücklicher Bauplan uns angelegt hat.“ Der Präsident Fürst Schönburg dagegen warnte aufs dringendste, „der Gesellschaft unerfüllbare Pflichten aufzuerlegen, die zu einer Katastrophe führen könnten“. Wieder einmal erwies sich die Richtigkeit des Spruches: „Dem Mutigen gehört die Welt“. Die Direktionsmitglieder waren in ihrer übergroßen Mehrzahl mutig, beschlossen den Bau — und behielten am Schluß recht

Aber erst am 27. Feber 1863 kam es zu der kaiserlichen Entschließung, wonach der Gesellschaft ein Bauplatz von 790 Quadratklafter links vom Wienfluß geschenkweise übereignet und der halbe Ertrag zweier Staatslotterien ihr zugesichert wurde. Trotz größter Anstrengungen vergingen noch drei Jahre, bis der Bauauftrag erteilt werden konnte, und zwar an den damals in Wien wirkenden, hochberühmten dänischen Architekten Theophil Freiherr von Hansen, von dem bekanntlich auch das Parlament, die Börse, die Akademie der bildenden Künste, der ehemalige Heinrichshof und viele andere hervorragende Gebäude stammen. Ungesäumt wurde mit den Erdarbeiten, den Kanalbauten und Mauerungen trotz der Warnungen des Präsidenten Fürst Schönburg begonnen.

Man mag wohl nachträglich dieser Warnungen gedacht haben, als das Erträgnis der Staatslotterien gar weit hinter den Erwartungen zurückblieb, während der Kostenvoranschlag für das Haus auf rund 500.000 Gulden emporgeklettert war. Wieder schien man am Rande eines Abgrundes zu stehen, aber noch einm .1 bewährte sich der Mut eines Funktionärs unserer Gesellschaft, aber auch das Mäzenatentum und die Opferbereitschaft der alten Kaiserstadt.

Kaiserin Elisabeth und fünf Erzherzoge stellten sich an die Spitze einer Stifterliste, der Hochadel folgte, und auch das Großbürgertum — Industrie, Handel und Finanz — blieb nicht zurück. Es mag von Interesse sein, hier einige dieser Stifter zu nennen, deren Namen uns auch heute noch geläufig sind. Aus dem Hochadel: Fürst August v. Loburg, Graf Czernin, Fürst Hohenlohe, Fürst Kinsky, Fürst Liechtenstein, Markgraf Pallavicini, Prinz Reuß, Graf Schönborn, Fürst Schwarzenberg, Fürst Lobkowitz und viele andere; aus den Kreisen des Großbürgertums: Heinrich Dräsche, Philipp Haas & Sohn, Jonas v. Königswarter, Anselm v. Rothschild, Friedrich v. Schey, Ludwig Lobmeier, Karoline v. Gomperz, vor allem aber die Erste österreichische Sparkasse.

Zwölf Jahre waren verflossen, seit der Beschluß zur Erbauung des Hauses von der Direktion gefaßt worden war, weitere zehn Jahre hatten die Vorbereitungsarbeiten in Anspruch genommen, der Bau selbst nur knappe drei Jahre gedauert. Die Gesamtkosten beliefen sich auf 733.567 Gulden — und nun konnte man endlich an die feierliche Schlußsteinlegung schreiten.

Punkt zwölf Uhr mittags des 5. Jänner 1870 erschien Kaiser Franz Joseph, von mehreren Erzherzögen und einer glänzenden Suite begleitet, im neuen Gebäude und nahm die feierliche Schlußsteinlegung vor.

Hansens Prachtbau verdichtete nicht allein die musikalische Wirksamkeit der Gesellschaft, er wurde gleichzeitig ein historisches Wahrzeichen der damaligen Wiener Bauperiode, die mit dem Namen Schmidt, van der Null, Siccardsburg, Hasenauer und Ferstel ruhmreich verknüpft ist. Die goldglänzenden und farbenfrohen Räume, deren antikisierende Formen die bewegte, durch Jahrhunderte eilende Tonkunst aller Zeiten mit gleicher Liebe umfassen, stehen in einem harmonischen Verhältnis zu jenem Schönheitskult, dem die Wiener Musikfreunde damals wie auch heute noch auf allen Gebieten der Kunst so recht huldigen. .

Das „goldene Haus“ wurde ebenso zum Mittelpunkt ernsten Konzertlebens wie rauschender und prunkvoller Feste. Sein Konservatorium sandte begabte, junge Talente in alle Welt und fing die Strahlen dieser zur Meisterschaft gereiften Künstler wieder ein. Von unserem Konservatorium nahm das Hofopernorchester den jungen Nachwuchs entgegen1, gar mancher ehemalige Konservatorist wurde Philharmoniker und kehrte als Lehrer an die Stätte zurück, an der er als Schüler die ersten musikalischen Weihen empfangen hatte. Ein Strom künstlerischen Lebens kreiste dergestalt im „goldenen Haus“, das befruchtete und selbst befruchtet wurde. Der Bevölkerung Wiens, ja ganz Österreichs hat unsere Gesellschaft eine Schule ästhetischen Genießens erschlossen, in der Geschlecht um Geschlecht das Verständnis für die großen Meister der Tonkunst von der frühesten primitiven Empfindung bis zur reifen Erkenntnis entgegennahm.

Doch sollte Immer wieder ein ungebetener Gast, „Frau Sorge“, die Entwicklung unserer Gesellschaft begleiten und bedrohen. Bereits wenige Tage nach der feierlichen Eröffnung brachte ein Brand den Betrieb auf längere Zeit zum Stillstand. Gar bald erwiesen sich auch die Garderoben und Ventilationseinrichtungen als ungenügend und mußten umgebaut werden, alles neue, unvorhergesehene Ausgaben! Der Verkauf des alten Hauses auf der Tuchlauben reichte zur Deckung der Schulden nicht aus, und so war die Gesellschaft neuerdings auf eine großherzige Hilfe angewiesen, die ihr diesmal von Kaiser Franz Joseph selbst und von Fürst Liechtenstein und wieder von der Ersten österreichischen Sparkasse zuteil wurde.

Und abermals meldete sich einige Jahrzehnte später eine andere, noch viel größere Sorge an, die der Chronist in seiner etwas blumenreichen Sprache wie folgt beschreibt: „Als Hansen das Haus erbaute“ — so schrieb er —„.waren die Menschen innerlich ruhiger und duldsamer. Man ging sinnend und ohne Eile und Hast zu und aus den Konzerten, und nach den Enthüllungen geistiger Geheimnisse hastete man nicht nach den Hüllen der Leiblichkeit.“ Nüchtern und prosaisch ausgedrückt: Das Problem der Stiegen und der Garderoben drängte gebieterisch zu einer zeitgemäßen Lösung. Aber erst 1911, als der notwendige Raum frei wurde, konnte der Umbau vorgenommen werden, der neuerdings 500.000 Friedenskronen verschlang.

Um die Geschichte des „goldenen Hauses“ abzurunden und zu beschließen, ist noch folgendes zu berichten: Im Mai 1913 mußte der altberühmte Bösendorfersaal in der Herrengasse seine Pforten schließen. Es galt einen Ersatz zu schaffen, und so ging man noch im gleichen Jahr daran, den „Kleinen Musikvereinssaal“ — die Umbenennung in „Brahmssaal“ erfolgte ja erst 1933 — zu adaptieren. Leider ermangelte die damalige Zeit jeglicher Pietät gegenüber dem großen Erbauer Hansen und ließ auch den sonst für Wien sprichwörtlich guten Geschmack vermissen. Es war daher die erste Tat der 1946 neueingesetzten Direktion, dem Saal wieder den Charakter einer altgriechischen. Säulenhalle zu gejben, wie ihn der große Erbauet Wieop1nil Hansen empfunden haben mag. Auch wurde darauf geachtet, daß nur Echtes und Schönes zur Dekoration verwendet werde, so stammen z. B. die Glasschalen aus Murano, die Appliken selbst stellen künstlerische Handschnitzereien dar, die mit echtem Gold belegt sind,-kurz, es wurde darauf gesehen, dem ausgesprochenen Schönheitssinn des kultivierten Wieners Rechnung zu tragen.

Damit sind wir mitten in der Gegenwart. Wir haben es als eine unserer vernehmlichsten Aufgaben betrachtet, dieses seit Jahrzehnten arg vernachlässigte und vom Krieg schwer mitgenommene Haus systematisch und von Grund aus zu erneuern und instand zu setzen. Insbesondere betraf dies den großen Saal, der allerdings vorerst von jenen Zutaten und Improvisationen befreit werden mußte, die eine Zeit schlechten Geschmacks angebracht hatte und die geradezu beleidigend wirkten. Ob uns diese Restaurierungsarbeiten im Geiste Hansens geglückt sind, das zu entscheiden, möchte ich dem Wiener Publikum und unseren auswärtigen Gästen überlassen. Das alte Gebäude in neuem, ja vermehrtem Glanz erstrahlen zu lassen, war das Ziel unserer Bestrebungen, und dies zu erreichen, haben wir weder Mühe noch Kosten gescheut, Kosten, deren Summierung seit 1945 immerhin eine achtstellige Zahl erreichte.

Mit Dank und Genugtuung kann ich feststellen, daß das Mäzenatentum der alten Kaiserstadt sich auch in der Hauptstadt der kleinen Republik bewährt hat, denn Wiener Mäzene aus Kreisen der Industrie und der Finanz waren es, die in den ersten Nachkriegsjahren durch hochherzige Spenden den Beginn unserer Aufbauarbeiten ermöglichten, bis in den Folgejahren das Unterrichtsministerium und die Stadt Wien die Mäzenatenrolle übernahmen.

In gleicher Weise gilt mein Dank all den vielen Künstlern, die sich uns in den ersten Aufbaujahren in selbstloser Weise zur Verfügung stellten, in erster Linie Herrn Prof. Krips, der ja auch das Eröffnungskonzert (7. Bruckner) leitete. Besonderer Dank gebührt unserem Generalsekretär Prof. Rudolf Gamsjäger, der sein ganzes großes Wissen und Können in den Dienst unserer Gesellschaft stellte, es aber vor allem verstanden hat, den Idealismus, der ihn selbst beseelt, auf sein ganzes künstlerisches und administratives Team zu übertragen. Es wäre wohl müßig, über das künstlerische Ergebnis dieses Teamworks seit 1945 zu sprechen, denn die musikalische Öffentlichkeit hat es ja selbst erlebt und sich ihr Urteil gebildet...

Wir wollten unsere altehrwürdige Gesellschaft stets jung, künstlerisch aktiv und publikumsnahe halten, dabei aber immer breitere Schichten der Bevölkerung in den Kreis der Musikfreunde einbeziehen. Daß uns dies gelungen ist, zeigt der große Erfolg unserer Gewerkschafts- und Jugendkonzerte, der uns mit tiefer Befriedigung erfüllt.

Wir wollten aber auch in der Förderung junger Kunsttalente nicht hinter der Vergangenheit zurückstehen. In den Konzerten der Internationalen Gesellschaft für zeitgenössische Musik, aber auch in so manchen Konzerten unserer großen Zyklen, ja in mehreren selbständigen Aufführungen von Oratorien kommen lebende Komponisten in einem wohlbedachten, aber immerhin sehr repräsentativen Umfang zu Gehör, während eine Vielzahl junger Dirigenten und Solisten, die heute schon international anerkannt sind, sich ihre Sporen in unseren Gesellschaftskonzerten verdient haben.

Schließlich haben wir eine völlige Neuordnung unseres Archivs und unseres Museums in die Wege geleitet.

Man sieht also, daß wir die Hauptpunkte des Aktionsprogrammes, das unsere Gründer vor 150 Jahren erstellten, zwar der Zeit angepaßt, aber im Prinzip unverändert weiterführen. Es ist ein weiter Bogen, der sich von jenem 1. Gesellschaftskonzert 1812 bis zu unserer Festveranstaltung im Juni 1962 spannt. Zehn Staaten von Europa und von Übersee entsenden ihre Orchester und Chöre, ihre hervorragendsten Dirigenten und Solisten, ihre Kammermusikvereinigungen und ihre Universitäts-Ensembles nach Wien, um unserer Gesellschaft zu huldigen. Wenn mir unlängst ein maßgebender Kritiker sagte: Die Feier der Gesellschaft der Musikfreunde sei die größte, aber auch die großartigste musikkünstlerische Leistungsschau, die es je gegeben hat, so mag er mit dieser Beurteilung wohl recht haben! Aber auch diese Veranstaltung dient unserem 150jährigen Leitsatz: „Zweck der Gesellschaft ist die Emporbringung der Musik in allen ihren Zweigen“, sie dient aber auch dem Gedanken der völkerverbindenden Musik, ein Gedanke, der — wenn je — so gerade heute besonders gepflegt werden sollte!

Das also ist die Geschichte des „goldenen Hauses“. Ein großes, halb Europa umspannendes 52-Millionen-Reich, mit allen seinen Talenten und Genies, seinen schier unbegrenzten finanziellen Möglichkeiten stand ein Jahrhundert lang hinter der Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates, hinter ihrem Konservatorium, Archiv und Museum, Hunderttausende von Musikfreunden aller Nationen der österreichisch-ungarischen Monarchie nahmen tätigen Anteil an ihrem Konzertbetrieb — einer kleinen Republik von 7 Millionen aber ist es beschieden, das übernommene hohe geistige Erbe getreulich zu verwalten und zu mehren. Man muß wohl nicht gerade ein Romantiker oder ein weltfremder Idealist sein, um aus dieser Geschichte des „goldenen Hauses“ den Gedanken zu übernehmen, welch hohe Mission uns Nachfahren jener mutigen Direktionsmitglieder übertragen wurde, die Jahre und Jahrzehnte ihres Lebens, ihre besten Gedanken, reichsten Erfahrungen, Zeit, Geld und Gut für unsere Gesellschaft geopfert haben.

Wir aber haben diese Mission übernommen und werden sie getreulich erfüllen, damit jener Weihespruch, der seit der Schlußsteinlegung durch Kaiser Franz Joseph am 5. Jänner 1870, also seit 90 Jahren, in den Mauern dieses Hauses ruht, auch in ferner Zukunft gelte.

„Dies Haus, der Tonkunst in Schule und Meisterschaft geweiht, soll sein und bleiben ein Kunstwerk an sich, eine Heimat der Musik, eine Zierde der Stadt und unseres Landes Österreich.“

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