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Zum zwölften Mal...

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Zwei Jahre nach den glanzvollen Jubiläumsfestwochen 1960, als die zehnjährige Wiederkehr dieser Kulturmanifestation gefeiert wurde, wird ganz Wien wieder zur Bühne und zum Zentrum künstlerischer Ausstrahlungskraft in die Welt. Auch die Festwochen 1961 mit dem 10. Internationalen Musikfest, dem Richard-Strauß-Zyklus, der „Jakobsleiter“, dem Europagespräch über die „voraussehbare Zukunft“ sind noch in allgemeiner Erinnerung. Die Erwartungen, die daher in die Festwochen 1962 gesetzt werden, sind allerorts hoch und fordern den vollen Einsatz aller daran Beteiligten.

Zwei besondere Ereignisse charakterisieren die diesjährige Veranstaltungsfolge: Am 28. Mai wurde das erneuerte Theater an der Wien mit einem Festakt wiedereröffnet, und einen Tag früher fand im Großen Saal des Musikvereinsgebäudes das Eröffnungskonzert der Wiener Festwochen statt, womit gleichzeitig der Auftakt zum Jubiläumsfest der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien gegeben wurde.

Mit dem Ankauf und der Renovierung des Theaters an der Wien hat die Stadtverwaltung in der Bühnengeschichte der österreichischen Bundeshauptstadt eine bedeutende Zäsur gesetzt. Das Schicksal dieses Hauses gleicht der Entwicklung des Theaterwesens überhaupt, denn seit 1801 haben sich dort alle Aspekte dargeboten, die zu Glück und Tragik einer derartigen Einrichtung gehören. Großartige Erfolge von Autoren und Darstellern wechselten mit künstlerischem Verfall und finanzieller Not, Menschenschicksale waren damit aufs innigste verknüpft. Es würde hier zu weit führen, die Geschichte des Theaters an der Wien, die mit der Übersiedlung Schikaneders in das von Joseph Reymond erbaute Haus am 13. Juni 1801 begann, zu skizzieren. Vielmehr mag der Hinweis genügen, daß dieses Haus mit seinem weithin auf das Glacis sichtbaren Papagenotor einst nicht nur für Beethoven und seine urtsterblichen Werke Heimstatt bedeutet hat, sondern auch für Entwicklung und Triumph der Wiener Vorstadtkomödie und Schauspielkunst bestimmend war. Hier strahlte die „Goldene“ und „Silberne“ Operettenzeit von den Brettern, die die Welt bedeuten, ihre faszinierende Anziehungskraft aus — und der gleiche Ort wurde Schauplatz finanzieller Katastrophen mit Schließung und Verfall des Gebäudes.

In der 2. Republik Österreich begann der Spielbetrieb bereits am 6. Oktober 1945 und endete mit der Rückkehr der Staatsoper in das wiederaufgebaute Haus am Ring. 1960 erwarb die Stadtverwaltung den bereits vom Einsturz bedrohten Gebäudekomplex, ließ das Theater nach den Plänen von Prof. Otto Niedermoser instand setzen und mit allen notwendigen technischen Neuerungen versehen. Bei der vorgenommenen Restaurierung des aus der Ära Franz I. stammenden Gebäudes ist am Grundriß, an der Fassade und an der Gesamtsilhouette mit Bedacht auf die Denkmalpflege nichts geändert worden. Im Innern des Hauses aber wurde nicht nur dem technischen Fortschritt, dem Anspruch auf Komfort und ästhetischen Erwägungen Rechnung getragen, sondern das vor 160 Jahren errichtete und seither nur stückweise verbesserte Haus mußte den baupolizeilichen Vorschriften und den Forderungen des Theatergesetzes angepaßt werden.

Rund 10.000 Kubikmeter neuer Raum wurde durch Unterkellerung für die Zylinderbühne, das Kesselhaus, die Klimazentrale und für Magazine und Garderoben geschaffen, nachdem die geologische Beschaffenheit des Terrains geprüft und die 150 Zentimeter dicken Außenmauern entsprechend unterfangen worden waren. Seit dem Beginn der Renovierungsarbeiten am 4. September 1960 wurden 1500 Kubikmeter Beton und 65.000 Kilogramm Bewehrungsstahl bei einem Erdaushub von fast 7000 Kubikmeter eingebracht. Trotz dieser umfangreichen Veränderungen spürt der Besucher beim Betreten des Zuschauerraumes kaum stärkere Eingriffe. Die Bemalung, Bespannung und Bestuhlung wurde unter Bedachtnahme auf den ursprünglichen Charakter durchgeführt, desgleichen die Drapierungen über der Bühne, die architektonische Andeutung jener Stelle, an der bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts die 4. Galerie bestand. Auch die geringe Höhe der Logen wurde aus demselben Grund beibehalten. Daher wirkt das Theater, den ästhetischen Anschauungen des Biedermeier gemäß, bei sitzendem Publikum am besten, da auch dann keine Längsverzerrung der Baudimensionen beobachtet werden kann. Im gleichen Sinn erfolgten die Erneuerung der Zuschauerraumdecke und die Wiederverwendung des alten ,,Zauberflöte“-Vorhangs.

Die Gäste, die in diesen Wochen das Theater besuchen, werden, wie früher, das an der Wienzeile gelegene Vorderhaus durchschreiten. Nur für die repräsentativen Logen kann nun der Eingang durch das Papagenotor oder von der Lehär-gasse aus gewählt werden. Das Theater ist nämlich in der ersten Zeit nach seiner Erbauung, die zwischen einem herrschaftlich gestalteten Haus der josefinischen Epoche an der heutigen Lehär-gasse und einem Gebäude aus dem Spätbarock unweit des Wienufers erfolgte, durch das Papagenotor betreten worden. Diesem Eingang war das Glacis vorgelagert, und damit ergab sich, wie schon erwähnt, die besondere Wirkung des erst später mit Holztoren versehenen Portals. Allerdings gelangte man durch das Papagenotor, ohne Publikumsräume, Garderoben usw. vor-' zufinden, direkt in den Zuschauerraum. Das diesbezügliche Bedürfnis führte in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts zur Einbeziehung der Parterreräumlichkeiten des Hauses an der heutigen Wienzeile in den Theaterbetrieb, wo auch ein neuer Eingang entstand. Während das Haus an der Lehärgasse seinerzeit ohne größere Stilveränderungen als Direktionsgebäude übernommen und adaptiert worden ist, hat man das der Wien zugekehrte Gebäude im Biedermeier abgerissen und als Mietwohnungshaus neu errichtet. Anfangs des 20. Jahrhunderts folgte der neuerliche Abbruch und Bau eines der damals üblichen Zinshäuser.

Bei der Erneuerung des Theaters an der Wien um 1962, die in vielen Fällen zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes geführt hat und sich im Gesamtergebnis durch besondere Diskretion des Geschaffenen auszeichnet, wurde der Haupteingang von der Wienzeile her trotz Reaktivierung des Papagenotores aus genannten Gründen nicht veränderte Im Innenbereich des Hauses an der Wienzeile verbessern nunmehr Kunst und Architektur zeitgenössischer Auffassung den Gesamteindruck.

Die Festwochenspielzeit des Theaters an der Wien gliedert sich mit den „Zauberflöte“-Auf-führungen, der Erstaufführungsreihe von Alban Bergs „Lulu“, den vier Sonderkonzerten der Wiener Philharmoniker sowie mit Solistenkonzerten und Kammermusikabenden in das kulturelle Geschehen Wiens während des Juni 1962 sinnvoll ein.

Die Feierlichkeiten anläßlich der 150. Wiederkehr des Gründungsjahres der Gesellschaft der Musikfreunde gipfeln neben den Orchesterkonzerten, bei denen vor allem Bachs, Beethovens und Bruckners gedacht wird, im Brahms-Zyklus und in Darbietungen internationaler Chöre.

Über das Musikvereinsgebäude hinaus greift der Zyklus „Von Barock bis Frühklassik“, der nicht nur in diesem Hause, sondern auch im Bel-vedere, im Palais Schwarzenberg, im Konzerthaus und in der Hofburgkapelle zu Gehör gebracht wird. Nahezu selbstverständlich ist bereits der Beitrag des Musikvereins auf dem Gebiet der Kammermusik und mit Solistenabenden bei den Wiener Festwochen geworden. Ein einmaliges Ereignis bildet heuer das Konzert der Sammlung alter Musikinstrumente des Kunsthistorischen Museums und berühmter Instrumente aus dem Besitz der Gesellschaft der Musikfreunde.

Das Wiener Konzerthaus hat seiner Veran-staltungsfolge das festliche Kindersingen vorangestellt, bei dem tausend Kinder der Kindersing-schule der Stadt Wien, begleitet von den Wiener Symphonikern unter dem Dirigenten Franz Burkhart, einen Querschnitt durch die musikalische Erziehung unserer Jüngsten geben. Die Orchesterkonzerte in diesem Haus werden durch den Strawinsky-Zyklus und den Alban-Berg-Zyklus . bereichert. Der musikalische Schwerpunkt der Festwochenzeit bleibt jedoch nicht auf das Theater an der Wien, den Musikverein und das Konzerthaus beschränkt. Im St.-Ste-phans-Dom gelangen Orgelkonzerte, festliche Messen und das Mozart-Requiem zur Aufführung. Die übrigen Kirchen der Innenstadt schließen sich in ähnlicher Art an, der Heiligenkreuzerhof, die Burg Kreuzenstein und die Säle der Wiener Hofburg, wo ein Schubert-Festkonzert besondere Erwähnung verdient, bilden die Szenerie zu erlesenen musikalischen Darbietungen.

Darüber hinaus dürfen jene Abende in kleineren Konzertsälen, in Parks und Höfen nicht vergessen werden, wo populäre Kapellen, Quartette und Sänger ihr Bestes zur Verbreitung des Festspielgedankens im ganzen Stadtgebiet geben. Zumeist handelt es sich um jene 300 Bezirksveranstaltungen, die alljährlich die Voraussetzung für die Teilnahme aller Wiener am großen kulturellen Fest des Jahres bilden. Ein eigenes Programmheft füllen die zahlreichen Ausstellungen in den Bezirksmuseen, die Vorträge der Heimatforscher, die Hausmusikabende und Dichterlesungen diesseits und jenseits des Gürtels. Damit wird einem Leitgedanken der Wiener Festwochen Rechnung getragen, demzufolge kein von der Umgebung isoliertes Kunstphänomen geschaffen, sondern breite Bevölkerungskreise zur Anteilnahme und damit zur Weiterentwicklung der Festwochenidee bewogen werden sollen.

Anläßlich der 100. Wiederkehr des Todestages von Johann Nestroy stehen die Wiener Sprechbühnen während der Festwochen 1962 im Zeichen dieses satirischen Volksdichters. Im Zyklus „Meisterwerke des Volkstheaters“ erbringen die bewährten Ensembles der Wiener Schauspielkunst den Beweis, daß die Gestalten Nestroys ihre Ursprünglichkeit und Frische bis heute bewahrt haben. Hiebei schließt sich der Kreis mit Aufführungen des Burgtheaters im Theater an der Wien und den Darbietungen des Pawlatschen-Theaters, also jener Bühne, die jeweils zur Festwochenzeit aufgeschlagen wird und damit eine alte Theatertradition dieser Stadt weiterführt. Im Pötzleinsdorfer Schloßpark, im Heiligenkreuzerhof und in einem Seitenhof des Schlosses Schönbrunn wird diesmal „Nagerl und Handschuh“ auf der Pawlatschen gespielt.

Dem 100. Geburtstag Arthur Schnitzlers tragen das Theater an der Wien mit einem Schnitzler-Gedenkabend und das Theater in der Josefstadt mit der Aufführung des Schauspiels „Der einsame Weg“ Rechnung. Zur Feier des 100. Geburtstages von Gerhart Hauptmann bringt das Burgtheater sein Drama „Die Ratten“ heraus. Der Antike-Zyklus dieses Hauses wird durch „Elektra“ von Sophokles bereichert, an den sich die größten Erfolge der jüngst vergangenen Burgtheater-Saison reihen.

Im Burgtheater gastiert das Bayrische Staatsschauspiel mit Lampells „Die Mauer“ und im Theater in der Josefstadt die Compagnie du theätre de Roger Planchon mit Molieres „Georges Dandin“.

Das Volkstheater konnte schon In der abgelaufenen Spielzeit große Aufführungserfolge verzeichnen, die dem Hause am Weghuberpark besondere Zukunftsperspektiven eröffnen. Seine Neuinszenierungen zur Festwochenzeit berücksichtigen Ibsen und Hauptmann, während das Raimundtheater, das Ateliertheater am Naschmarkt und das Theater „Die Tribüne“ in ähnlichem Bemühen vereint sind.

Auf dem Ausstellungssektor muß auf „Phantastische Malerei der Gegenwart“ und die Kollü1 Jii>V.

lektion „Sonja Henie—Nils Onstad“ (Künstlerhaus) verwiesen werden, wobei die Graphikausstellung der Wiener Sezession den schon genannten Expositionen würdig zur Seite steht. Über der „Europäischen Kunst um 1400“ im Kunst-historischen Museum dürfen die Nestroy-Gedenkausstellung im Historischen Museum der Stadt Wien und die Arthur-Schnitzler-Ausstel-lung in der Akademie der bildenden Künste nicht vergessen werden. Die kleineren Galerien bieten nicht minder Sehenswertes und die Aktion „Wien — eine Stadt stellt sich vor“ macht auch heuer wieder durch Fahnen und Hinweistafeln das Häusefmeer der Donaumetropole zu einem Freiluftmuseum.

In die Festwochen 1962 gehört wie jedes Jähr das Europa-Gespräch, das in der Volkshalle des Rathauses unter dem Motto: „Europa in den Augen der anderen“ veranstaltet wird. „Reichtum nur für die westlichen Völker“ oder „Europäische Aufklärung — unerwünschter Import!“, dies sind nur zwei Fragenkomplexe, die aus der Fülle der Referate und Diskussionsthemen beispielhaft herausgegriffen seien. Die Begegnung im Rathaus, bei der die Stellungnahmen und Wünsche der afro-asiatischen Länder dem alten Kontinent gegenüber vorgetragen werden, vereinigt eine stattliche Zahl bekannter Wissenschaftler und Politiker aus Afrika und Asien mit ihren europäischen Kollegen. Das Europagespräch 1962, das vom 19. bis 22. Juni stattfindet, ist die 5. Veranstaltung dieser Art und dürfte auch diesmal die österreichische Bundeshauptstadt als Ort internationaler Aussprachen großen Formats ins Licht rücken.

Alle diese Ereignisse, zu denen noch das bekannte Anbot der Staatsoper und Volksoper, die Vorführungen der Spanischen Reitschule, der Kunstsammlungen und Gedenkstätten kommt, stellen eine stolze Bilanz des österreichischen Wiederaufstieges dar.

Am Beginn der Wiener Festwochenära im Jahre 1951 befand sich Wien in einer schwierigen Situation, deren Dauer kaum abzusehen war. Die Bundeshauptstadt Österreichs mußte damals die Welt in demonstrativer Form auf den ungebrochenen Lebensmut und die kulturelle Leistungsfähigkeit ihrer Bewohner aufmerksam machen. Seit 1951 hat sich die Lage von Jahr zu Jahr gebessert, und die Wiener Festwochen haben damit Schritt gehalten. Strahlende Höhen wurden beim Bachfest 1950, im Mozartjahr 1956, beim Haydnjahr 1959 und bei den lubiläums-festwochen 1960 erreicht. Ein Fest der Wiener ist zu einem Fest der gesamten Kulturwelt geworden, und diese Verpflichtung soll auch heuer wieder in ihrer ganzen Tragweite erfaßt und in die kulturelle Tat umgesetzt werden.

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