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Aus Trümmern wiedererstanden

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ist uonnerstag, uer zi. ixovemoer 1963, kurz vor 18 Uhr. In weitem Umkreis ist der Münchner Max-Joseph-Platz gesperrt, zwischen dem Königsplatz und der Maximilianstraße verkehren Omnibusse für die Ehrengäste der bayrischen Staatsregierung, die Jupiterlampen der Fernsehstationen lassen ihr blendendes Licht zur Auffahrt der Prominenz hinübergleiten. Wagen um Wagen fährt vor das neuerstandene Münchner Nationaltheater. Herren der Bundesregierung, des bayrischen Staates, der Stadt München, konsularische Vertreter aller Erdteile, Weltstars aus Politik, Wissenschaft und Kunst — sie alle wollen dabei sein bei der Galavorstellung der „Frau ohne Schatten“ des Münchners Richard Strauss. Wie eine Kulisse wächst die prachtvolle Fassade aus einem sternenklaren Novemberabend, und die zierlichen Gaslaternen verbreiten einen gefälligen, höfischen Schein. Inzwischen hat sich der repräsentative Innenraum bis zum letzten Platz gefüllt. Eine kaum zu schildernde Spannung ist spürbar, dann betritt der Chefdirigent des Hauses, Professor Joseph Keilberth, den Orchesterraum, begrüßt von einem Sturm enthusiastischer Ovationen. Der Vorhang hebt sich, das erste Bühnenbild des vor einigen Wochen erst verstorbenen Chefausstatters Helmut Jürgens wird sichtbar, die Szene ist frei für die erste Neuinszenierung des Staatsintendanten und Hausherrn des neuen Theaters, Professor Rudolf Hartmann.

Als am Vormittag dieses 21. November Hans Knappertsbusch anläßlich des Festaktes der bayrischen Staatsregierung in diesem Raum den Taktstock zu Beethovens „Die Weihe des Hauses“ hob, Ministerpräsident Alfons Goppel die Festansprache hielt und Robert Heger Chöre aus dem „Messias“ von Händel dirigierte, fanden die Festwochen zur Wiedereröffnung des Münchner Nationaltheaters, die sich bis zum 31. Dezember erstrecken, ihren feierlichen Anfang. Die Geschichte dieses würdigen Hauses, in dem der Weltruhm der bayrischen Staatsoper begründet liegt und das nun in farbigem Glanz schöner denn je erstrahlt, geht bis zum Jahr 1811 zurück. König Max I. von Bayern beauftragte den genialen Architekten Carl von Fischer mit den Plänen und Entwürfen. Am 12. Oktober 1811 nahm Kronprinz Lud

wig dįe Grundsteinlegung vor. Genau sieben Jahre später, am Namenstag des Königs, leiteten Kanonendonner unc Marschmusik einen Tag ein, der füi Münchens Bevölkerung eine Art Volksfesl werden sollte. Tausende zogen zum Max Joseph-Platz und bestaunten den präch tigen Musentempel mit seinem ein drucksvoll-pathetischen Porticus, den jo nischen und dorischen Hallen und dei klassizistischen Ornamentik des Zu schauerraumes. Aber nicht lange hielt die Freude über dieses Theater an. Am 14. November 1823 brach nach einei Vorstellung ein Brand aus und verwarn delte das Haus in Schutt und Asche.

Das bayrische Herrscherhaus und die Münchner Bürgerschaft zögerten nicht einen Augenblick, in gemeinsamen Anstrengungen ihr Hof- und Nationaltheatei wiederaufzubauen. Diesmal war es Lee von Klenze, der den Bau — mit neuen Verbesserungen versehen — plante und errichtete. Der berühmt gewordene „Bierpfennig“ war der Beitrag dei Münchner Bevölkerung zu dem großen Werk, Idas am 2. Jänner 1825 vollendet war. Nun begann dieses Haus eine unaufhaltsame Kometenbahn am Himmel künstlerischen Erfolges zu ziehen. Durch die enge Freundschaft zwischen König Ludwig II. und Richard Wagner begün stigt, erklangen hier die Uraufführungen von „Tristan und Isolde“, „Rheingold“ „Walküre“ und „Die Meistersinger von Nürnberg“. Lachner, v. Bülow, Mottl Bruno Walter, Knappertsbusch und Cie mens Krauß bestimmten das musikalische Niveau, und erst in jener grauenvollen Bombennacht vom 2. zum 3. Oktober 1943 wiederholte sich die Zerstörung in gespenstischer Weise.

Aber die Münchner hielten auch ir den düsteren Tagen der Nachkriegszeit ihrem National theater die Treue. Di Bayrische Staatsoper fand zunächst eint würdige Unterkunft im erhalten gebliebe nen Prinzregententheater. Nach kürzet Zeit schon schlossen sich tatkräftig Münchner Bürger als „Freunde de Nationaltheaters“ zusammen und machtet sich durch Sammlungen, Planungen unc Spenden an die problemreiche Aufbau arbeit. Immer wieder traten Meinungs

lederner Opernbau erstellt werden oder n alten Stil wiederaufgebaut werden ill. Aus den verschiedenen Wettbewer- en führender Architekten ging Professor lerhard Graubner siegreich hervor. Die fünchner wollten ihr Nationaltheater in Iter Pracht aus den Trümmern wieder- rstehen lassen, in ihm sollte sich — uch architektonisch sichtbar — das luidum einstellen, das allein einer glor- sichen Tradition erwächst. Nach unge- öhnlichen Anstrengungen und gegen unsahnte Widerstände enthüllt sich nun as vollkommene Produkt eines unbeirr- aren Wiederaufbauwillens. Staat, Stadt, läzene aus aller Welt, zahllose Organisa- onen, Vereine, Verbände, Industrie und andel und nicht zuletzt jeder einzelne ünchner Bürger — sie alle haben ihr eil zu diesem außergewöhnlichen Werk eigetragen.

In 200.000 Kubikmeter umbauten aums empfängt den Besucher ein früh- lassizistischer Prachtbau mit einem kkord von Bordeauxrot, Weiß, Stahlblau ad Gold unter einem Kristallüster mit 30 Kerzen und einem Durchmesser von ichs Metern. Von rund 2100 Sitzplätzen is bietet dieses — von Genien und Ka- atiden geschmückte — Rangtheater nen Blick auf eine sichtbare Bühnen

höhe von 13,5 Metern, die ausgestrahlt wird von 272 Scheinwerfern und Scheinwerfergruppen, 144 Horizontleuchten und 20 Xenonlampen, und die prunkvolle Königsloge erinnert an den Aufstieg Bayerns in den Herrscherjahren des Hauses Wittelsbach.

Mit gutem Grund hat Staatsintendant Rudolf Hartmann „Die Frau ohne Schatten“ an den Beginn der Festvorstellungen gestellt. Nicht nur, daß Richard Strauss gerade dem Nationaltheater als Komponist und Dirigent zeitlebens eng verbunden war, auch der Regisseur Hartmann ist ein Strauss-Spezialist par excellence, und dieses Werk ist wohl überhaupt die genialste Strauss-Partitur, die wir haben. Zusammen mit Joseph Keilberth, der das Bayrische Staatsorchester zu klanglichem Erblühen brachte (und von der hervorragenden Akustik des Hauses überzeugen konnte), kam es zu einer bemerkenswerten Wiedergabe, die auf der Bühne von Spitzenkräften, wie etwa Ingrid Bjoner, Inge Borkh, Martha Modi, Ingeborg Hallstein, Herta Töpper, Dietrich Fischer-Dieskau, Hanns Hotter und Jess Thomas realisiert wurde. Der triumphale Erfolg dieser ersten Inszenierung ist ein gutes Omen, und es besteht berechtigte Hoffnung, daß sich die hohen Wünsche und Ansprüche — die man mit Recht und Nachdruck an die Adresse der Bayrischen Staatsoper richtet — erfüllen werden.

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