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„Wer ko, der ko!“

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In der ganzen Welt findet man kein zweites so großes, berühmtes und bekanntes Volksfest wie das Münchner Oktöberfest. Heuer begeht es seinen 165. Geburtstag..Freilich knüpft es noch an die viel älteren traditionellen Herbstfeste und Viehmärkte Oberbayerns an, aber das Ur- und Stammfest der großen Münchner Gaudi begann eigentlich im Jahre 1810, und zwar mit einem überaus glanzvollen Auftakt: mit der Vermählung des Kronprinzen Ludwig (des späteren bayrischen Königs Ludwig'Ii') mit der Prinzessin Therese von Sä^hsenrHiidbürghausen. Diese Hochzeit fand genau am 12. Oktober 1810 statt.

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In der ganzen Welt findet man kein zweites so großes, berühmtes und bekanntes Volksfest wie das Münchner Oktöberfest. Heuer begeht es seinen 165. Geburtstag..Freilich knüpft es noch an die viel älteren traditionellen Herbstfeste und Viehmärkte Oberbayerns an, aber das Ur- und Stammfest der großen Münchner Gaudi begann eigentlich im Jahre 1810, und zwar mit einem überaus glanzvollen Auftakt: mit der Vermählung des Kronprinzen Ludwig (des späteren bayrischen Königs Ludwig'Ii') mit der Prinzessin Therese von Sä^hsenrHiidbürghausen. Diese Hochzeit fand genau am 12. Oktober 1810 statt.

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Was aber eine rechte Feier sein soll, bedarf seit jeher mehrerer Tage voll der Festivitäten, und dazu noch einer Nachfeier. Damals entschloß man sich, die Festtage durch ein Pferderennen auf der weiten Wiese vor dem Sendlinger Tor abzuschließen. Es war ein Vorschlag, der eine uralte bayrische Tradition Wiederaufleben lassen sollte, und stammte vom Unteroffizier Franz Baumgartner, dem bürgerlichen Lohnkutscher und Gastwirt „Zum Spanner“, der bei seiner Nationalgarde III. Klasse, die für die Vermählungsvorbereitungen zuständig war, diese Idee unterbreitete. Dem Kommandanten der bürgerlichen Nationalgarde, Major Andreas dall' Armi, gefiel die Idee so gut, daß er sofort mit den Vorbereitungen und einer Sammelaktion der Kavalleristen für diesen Zweck begann, noch bevor die Zustimmung des Königs Max von Bayern eintraf.

Am 17. Oktober 1810 fand also um zwei Uhr nachmittag das Pferderennen unter Beteiligung des ganzen Hofes, der Stadtbevölkerung (München zählte damals 40.650 Einwohner) und vieler Gäste aus ganz Bayern statt. Den ersten Preis — die Rennbahn wurde in achtzehn Minuten und vierzehn Sekunden dreimal durchlaufen — gewann der Franz Baumgartner, der das Fest angeregt hatte und der eben auch das schnellste Pferd besaß. Er bekam zwanzig Dukaten ausbezahlt und erhielt eine Fahne. Den dritten Preis holte sich der vielfache Sieger späterer Okto-berfest-Pferderenhen, der Lohnkutscher und Pferdehändler Xaver Krenkel, ein stadtbekanntes, saugrobes Original; er war der Mann, welcher später einmal die königliche Equipage überholen sollte, was natürlich als anstandswidrig galt. Als ihm König Ludwig aus der Kutsche mit dem erhobenen Finger drohte, rief er frech zurück: „Wer ko, der ko!“ Die Preisverteilung im Jahr 1810, dessen Gewinner Bauern, Kutscher, Wirte, Bräuer und Handelsleute waren, wurde vom Staatsminister Graf Montgelas persönlich vorgenommen, was eine hohe Ehre für die Beteiligten bedeutete. Unter „gränzenlosem Jubel des Volkes“ huldigten die bayrischen Kreise dem jungvermählten Paar und die Thrä-nen bei solchen Szenen hat niemand gezählt“ schrieb später ein Chronist. Das Fest war ein grandioser Erfolg. Der Hof kehrte nach der Preisverteilung „unter Bezeigung des Allerhöchsten Wohlgefallens“ in die Residenz zurück.

Beim anschließenden Festmahl wurde die Wiese auf der das Rennen stattgefunden hatte, vom Major daH'Armi in einem Trinkspruch nach der königlichen Braut „Theresens Wiese“ benannt. Da sich aber dieser Name für die bayrischen Zungen als zu schwierig erwies, wurde bald daraus die „Theresienwiese“, welche Bezeichnung noch heute als hochoffiziell und amtlich gilt. Der waschechte Münchner nennt sie einfach und kurz „d'Wiesn“.

Im folgenden Jahr 1811 wurde dort im Oktober nicht nur wieder ein Pferderennen veranstaltet, sondern auch noch ein großes Landwirtschaftsfest gefeiert, das aus einer Viehausstellung und einem Viehmarkt bestand, zu dem über 1200 Stücke Vieh zusammengetrieben wurden. Zu Besuch auf der Theresienwiese waren wieder König Max und Kronprinz Ludwig erschienen, womit, wie der Stadtchronist Ernst von Destouches schreibt, „das Oktoberfest zum wahren bayrischen Nationalfest erhoben worden war“.

Im Laufe der folgenden Jahre weitete sich das Oktoberfest mehr und mehr aus. 1818 gehörten Bierbuden, Karussells, Schaukeln, Kegelbahnen und Fischbratereien bereits zum gewohnten Bestandteil dieses Festes. 1871 wurde das Märzenbier zum „Oktoberfestbier“ erhoben. Die Begeisterung für Griechenland, die König Ottos, des Sohnes König Ludwigs I., Thronbesteigung in Hellas auslöste, bewirkte, daß das Oktoberfest des Jahres 1850 mit „Olympischen Spielen“ der verschiedenen Handwerker begann. Zu den Disziplinen dieser Spiele gehörten das Ringen, Spießwerfen vom Pferd, Steinschleudern und Radlaufen. Dieser Versuch einer Verbrüderung der Antike mit den bayrischen Bräuchen mißlang zur Gänze; sowohl die Bauernburschen, als auch die Münchener sollen damals recht sauer reagiert haben. Während dieses Oktoberfestes von 1850 hat auch auf der Theresienhöhe die Enthüllung des Monumentalstandbildes der 18 Meter hohen „Bavaria“ stattgefunden. Die dazugehörige Ruhmeshalle wurde allerdings erst 1853 fertig.

Das Pferderennen, die Landwirtschaft und der Hof waren für die Münchener jene drei Komponenten, die bis 1913 untrennbar zum Oktoberfest gehörten. In manchen Jahren mußte das Fest ausfallen, so 1813, als die Bayern nach Leipzig marschierten, oder 1814, als der König und der Kronprinz nicht anwesend sein konnten, da sie auf dem Wiener Kongreß tagten und tanzten. Die Kriegsereignisse von 1866, von 1914 bis 1918 und von 1939 bis 1945 ließen die Wiese zu Füßen der Baviara vollkommen veröden. Erst 1946 begann man wieder mit einem bescheidenem „Herbstfest“, das jedoch in wenigen Jahren alle früheren Dimensionen sprengen sollte. Zwar gehören Pferderennen längst nicht mehr zum Bestandteil der gegenwärtigen Oktoberfeste, doch lebt immer noch das Landwirtschaftsfest, wenn auch nur in zweijährigem Turnus, weiter und bildet nach wie vor das stärkste Bindeglied zwischen Land und Stadt. Die ersten Oktoberfeste, die auf einen oder höchstens zwei Tage beschränkt waren, weiteten sich jetzt auf bis zu sechzehn Tage aus. Und weil das Münchener Wetter im Oktober mitunter sehr garstig sein kann, hat man, um noch in den Genuß der herbstlichen Sonne zu kommen, den Termin des Festes auch immer weiter in den September vorverlegt.

Zum Eröffnungstag des Miinche-ner Oktoberfestes gehört unweigerlich der festliche Aufzug der Wirte mit ihren girlandengeschmückten Bierwagen und prachtvoll herausgeputzten, mit Glöckeln behängten Rössern. Ihnen folgen die Frachtengruppen samt ihren Musikkapellen, die Gruppe der Münchner Schäffler (Bindergesellen), die Schützenvereine, das Münchner Kindl hoch zu Roß und die Festkutschen mit dem Oberbürgermeister, den Bürgermeistern und den Münchner Stadträten, Seit 1950 wurde es zur verpflichtenden Tradition, daß der Oberbürgermeister (damals war es Thomas Wimmer) das Bier auf der Wiesn eigenhändig anzapft.

Die Theresienwiese gleicht in diesen Tagen einem gewaltigen Rummelplatz. Dicht nebeneinander prangen dort Bierzelte, Karussells, Achterbahnen, Schaukeln, Schießbuden und Varietes — darunter das längst legendär gewordene Panoptikum des Papa Schichtl, der mit seinem Witz und der „Dame ohne Unterleib“ kaum zu schlagen war: „Nur rein da! Bei mir holt Eich der Teifi nüach-tern, da spart's Eier Geld für d'Mär-zenbier-Räusch!“ In den Budenstraßen gibt es die Hühner- und Steckfischbratereien, Feuerstellen mit Ferkeln am Spieß, Standin, angefüllt mit Würsten, Brezeln, Herzein, Rettich („Radi“), allerlei Andenken und Juxartikel. Alle Gebäude und Standin sind mit Girlanden und Kränzen geschmückt, überragt von vielen kunstvoll gestalteten Maibäumen. Und dazwischen wogt und schiebt sich eine bunte, fröhliche Menschenmenge. Einheimische und Gäste. Während des Oktoberfestes kommen über sechs Millionen Besucher, trinken drei Millionen Maß Bier und verzehren etwa 250.000 Brathendl. Leicht findet man Anschluß, wird mit „Herr Nachbar“ angesprochen, prostet einander zu, während die Blasmusik „Ein Prosit, ein Prosit der Gemütlichkeit“ schmettert...

Nirgendwo offenbart sich die Volksseele so offen, unbeschwert und unvoreingenommen wie hier. Das Oktoberfest des „Millionendorfes“, als das München liebevoll bezeichnet wird, läßt sich mit keinem anderen Fest der Welt vergleichen. Wer daraus aber schließen wollte, das Oktoberfest sei eben nur ein Bierfest, der hat keine Ahnung von reiner wirklichen Bedeutung. Das Münchner Oktoberfest hat nicht nur einen internationalen Ruf, sondern war und ist auch aufs engste mit der Kunst-und Kulturgeschichte Münchens, ja ganz Bayerns verbunden. Das beweisen die unzähligen Ereignisse, wie beispielsweise die Grundsteinlegung für die Pinakothek, die Grundsteinlegung für das Maximilianeum, das Deutsche Musikfest, das Turnerfest, Ausstellungen für Kunst, Gewerbe und Industrie (1825), die Ausstellungen „München 1908“, „Bayrische Gewerbeschau“ (1912), die schon damals vier Millionen Besucher anlockte, die Ausstellung „Heim und Technik“ (1928), die große Verkehrsausstellung der Nachkriegszeit und viele andere bedeutende Ereignisse, die stets gleichzeitig mit dem Oktoberfest abgehalten werden konnten.

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