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BAVARIA PHANTASTICA

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Ein gutes, wahrhaft hilfreiches Wunder muß mir be- gegenen, sonst ist's aus“, schrieb Richard Wagner am 8. April 1864 an Peter Cornelius, als er auf der Flucht vor seinen Gläubigem war. Das Wunder war schon unterwegs, konnte ihn aber erst am 2. Mai finden. Es war der königlich-bayrische Kabinettsisekretär Pfistermeister. Zwei Tage später stand Wagner vor dem 18jährigen König, der knapp zwei Monate vorher den Thron bestiegen hatte — wie es schien mit dem Hauptzweck, Richard Wagner ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen: „Die niederen

Sorgen des Alltagslebens will ich von Ihrem Haupte auf immer verscheuchen, die ersehnte Ruhe will ich Ihnen bereiten, damit Sie im reinen Äther Ihrer wonnevollen Kunst die mächtigen Schwingen Ihres Genius ungestört entfalten können!“ Auch Wagner ist von dem schwärmerischen Jüngling tief beeindruckt: „ er ist leider so schön und geistvoll, seelenvoll und herrlich, daß ich fürchte, sein Leben müsse wie ein flüchtiger Göttertraum in dieser gemeinen Welt zerrinnen."

Am 10. Juni 1865 wird in München der „Tristan“ uraufgeführt, am 21. Juni 1868 folgen die „Meistersinger“. Dieses Jubiläum, 100 Jahre „Meistersinger“, war der Anlaß für eine Ausstellung in der Münchner Residenz, die in diesem Jahre von der Bayrischen Verwaltung der Staatlichen Schlösser, Gärten und Seen und dem Studienprogramm des Bayrischen Rundfunks gezeigt wird. Die politisch-historische Figur wird nur gestreift, wenn sie auch nicht ganz unbeachtet bleiben kann. Das Thema heißt „König Ludwig II. und die Kunst“.

Auf den Spuren dieser eigenartigen, einmaligen Persönlichkeit in der Ausstellung fragt man sich, ob Ludwig Kunstmäzen, -kennen, -genießet war oder Künstler. Richard Wagner ist im Künstlerkreis um den König ein Sonderfall. Er hat den empfänglichen Jüngling zur Kunst geführt, und zwar viel weniger durch seine Musik, als durch die Dichtungen und die optischen Visionen. Alle anderen Künstler — mit der einen Ausnahme vielleicht des großen Architekten Gottfried Semper — waren Werkzeuge zur Realisierung seiner Märchenträume. Mit bewundernswertem Können hatten sie nur das zu malen, zu bauen, zu dichten, was dem König vorschwebte und was er bis in alle Einzelheiten beschreiben konnte. Da wuchsen also im bayrischen Land die Traumschlösser: Herrenchiemsee, Neuschwanstein, Linderhof — dazu die vielen kleinen Schlößchen, die halb oder gar nicht ausgeführten Projekte, die Um- und Ergänzungsbauten in der Münchner Residenz.

Repräsentationsbauten und Fluchtburgen zugleich für den — ähnlich wie seine Kusine Elisabeth von Österreich — immer menschenscheuer werdenden Monarchen. In diesen Bauten wurden nicht nur die Visionen Richard Wagners Wirklichkeit: Sängersaal, Venusgrotte, Hun- dinghütte, Einsiedelei des Gurne- manz, Gralshalle — bis zu den Details wie Tafelaufsatz ä la Siegfried, Schreibzeug mit Lohengrin. Ludwig ließ sich auch in andere Zeiten versetzen. In Herrenchiemsee träumte er vom absoluten Königtum Ludwig XIV. und ließ sich Versailles nachbauen. Er hatte eine Neigung zu byzantinischen und orientalischen Welten. Im Maurischen Kiosk zu Linderhof läßt er sich einen kostbar funkelnden Pfauenthron aufstellen. Allen Ernstes erwog er ja nach der Reichsgründung von 1871, sein Königreich überhaupt zu verlassen und sich in Ägypten, Afghanistan oder in den Tälern des Hindukusch ein neues Herrschaftsgebiet zu kaufen, weil dort dort die Entfaltung eines großen Herrscherglanzes möglich erschien.

Dieses Sichfortträumen aus Zeit und Umwelt, so weltfremd es erscheinen mag, wurde doch durch die Ludwigs Zeit beherrschende Kunst des Historismus ermöglicht, die groß war in schöpferischer Reproduktion fremder Stile. Typisch für jene Kunstauffassungen ist ein Brief des Hofseikretärs Düfflipp an einen Architekten über das Projekt von. Neuschwanstein: „Nach dem allerhöchsten Willen Seiner Majestät des Königs soll das neue Schloß im romanischen Stil gebaut werden. Da wir nun gegenwärtig 1871 schreiben, so sind wir über jene Zeitperiode, welche den romanischen Stil entstehen ließ, um Jahrhunderte hinausgerückt, und es kann doch wohl kein Zweifel darüber bestehen, daß die inzwischen gemachten Errungenschaften im Gebiet der Kunst und Wissenschaften uns auch bei dem unternommenen Bau zugute kommen müssen ebenso möchte ich zugeben, daß wir uns ganz in die alte Zeit zurückversetzen und auf Erfahrungen verzichten sollen, welche sicherlich schon damals verwertet worden wären, wenn sie bestanden hätte.“

Menschenscheu ließ den König auch die berühmten Separatvorstellungen erfinden, die ein wesentliches Element des theatralischen Ereignisses, das Publikum, entfernten: „Ich kann keine Illusion im Theater haben, solange die Leute mich unausgesetzt anstarren und mit ihren Operngläsern jede meiner Mienen verfolgen." Aber er begnügte sich nicht damit, allein im dunklen Zuschauerraum zu sitzen. Er nahm auch Einfluß auf die Inszenierung, besonders die Ausstattung, und auf die Stücke. Dabei interessierte ihn weniger die dichterische Qualität als die historische Treue. Sie sollte ihn in jene Zeiten versetzen, die eine besondere Anziehungskraft auf seine Phantasie übten. Seine Hofdichter sind längst vergessen. Man kann über all den künstlichen Märchenglanz lächeln oder die Nase rümpfen. Und doch ist es schwer, sich dem Zauber zu entziehen, der von der Ausstellung ausgeht, die all das konzentriert versammelt, was ein Herrscher aus kühnen Träumen in die Wirklichkeit umsetzen ließ. Immerhin muß man zugeben, daß der verfeinerte Rokokostil von Innenarchitektur oder Prunkkarossen nicht nur nachgeahmt, sondern auch technisch beherrscht wurde. Eine ganze Industrie hat Ludwig geschaffen, die nicht nur für ihn arbeitete, sondern durch diese Aufträge auch Kapazitäten für Exporte entwickeln konnte. Daß daneben Spezialfirmen in halb Europa Aufträge erhielten (wie etwa Löbmeyr odei- die Bühnendekorationswerkstätten von Brioschi und Kautzky in Wien), versteht sich. Es scheint, daß selbst die Ausstellungsgestalter von ihrem Gegenstand in Bann gezogen wurden. Die effektvoll-theatralische Präsentation, die das Wesen dieser Kunst genau erfaßt, scheint ursprünglich noch ironisch-distanzierter gemeint gewesen zu sein, als sie dann ausfiel. Die Liebe des einfachen Volkes („Dem Bayernland starbst Du zu früh“), die dem als Verschwender und Narr verspotteten König bis heute entgegengebracht wird, drückt sich nicht nur in dem regen Besuch der Ausstellung, sondern auch im Verhalten der Aufseher aus, die vom

König selbst zum Schutz seines Eigentums eingesetzt zu sein scheinen.

Was Ludwig durch seine eigensinnigen Marotten schuf, nämlich eine exportfähige kunstgewerbliche Industrie, das verdankte Jahrhunderte früher die Freie Reichsstadt Augsburg ihrem bürgerlichen Handelsgeist. Die zweite große Ausstellung Bayerns in diesem Jahr zeigt „Augsburger Barock“. Mit mehr als 700 Exponaten von mehr als 150 öffentlichen und privaten Leihgebern aus aller Welt wird die Zeit zwischen 1620 und 1720 dokumentiert. 1620 vollendete Elias Holl das Rathaus, in dem auch der größte Teil der Ausstellung untergebracht ist. Der Baukunst und der Stadtplanung von Elias Holl verdankte die Stadt

ihr Wachsen von mittelalterlichem Häuserkonglomerat zu neuzeitlicher Weiträumigkeit. Es sieht aus, als ob die Häuser tief Atem geholt, sich gedehnt und gestreckt hätten. Durch den Anschlag auf das Zeughaus von Elias Holl (es soll der Erweiterung eines Supermarktes zum Opfer fal-

len), der weltweites Aufsehen erregt hat, bekommt die Ausstellung zugleich den Charakter einer Demonstration.

Wird die Stadt sich ihrer Vergangenheit, der Schätze, die hier einst geschaffen wurden, würdig erweisen? Sicher sind die Millionen des Warenhauskönigs für die Stadtkasse nicht zu verachten. Aber so schlecht geht es der Stadt ja auch nicht, vergleicht man mit jener Notzeit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, als es immerhin möglich war, Meisterwerke zu schaffen,, auf die sich auch jene noch stolz berufen zu dürfen meinen, die schlechte Hüter des Erbes sind. Die Zeit der mächtigen Handelshäuser, von denen Fugger und Welser am bekanntesten sind, war ja längst vorbei. Den Religionskriegen war schon zwischen 1556 und 1584 der Bankrott von mehr als 70 Firmen vorangegangen. Aber der Ruf der Stadt als Kunstwerkstätte erhielt sich durch die großen sozialen Umschichtungen. Hatten früher Augsburger Großkaufleute bei den Künstlern „Werbegeschenke“ eingekauft, um sich die Mächtigen geneigt zu machen, so kamen nun die Fürsten selbst oder schickten ihre Agenten, um ihre Schatzkammern zu fül- 1!iQ len. Entscheidend wär aber die tnge Zusammenarbeit in der Stadt, einer- Kunst und Handel anderseits zwischen den verschiedenen Künsten. So wie man früher die Kaiser beliefert hatte — Maximilian I. oder Rudolf II. etwa — (wohl auch mit der Handelsreise nach Moskau zur Hochzeit des falschen Zaren Dimitri einer Fehlspekulation zum Opfer gefallen war), so lieferte man nun Spielzeug an den Hof Ludwigs XIV. und den Silberthron für Christine von Schweden. Bei allen Krönungen, Reichstagen und Fürstenversammlungen waren Augsburger Kaufleute zur Stelle. Die Goldschmiede, zweifellos der wichtigste Zweig der Augsburger Kunstindustrie, hatten erstrangige Maler und Bildhauer als Entwerfer zur

Hand, die Maler entwarfen überdies Ornamente und Bildprogramme für Kirchen und Profanbauten, schufen Vorbilder für die Kupferstecher, die Bildhauer lieferten den Goldschmieden Elfenbeinarbeiten, schnitzten Modelle für den Stoffdruck — unendlich vielfältig sind diese künstlerischen Querverbindungen.

So bot Augsburg zwar keinen Boden für Virtuosen, für einsame Genies, alber für eine Gemeinschaft von Meistern, die wohl in Zünften streng organisiert war, doch für frische Blutzufuhr von außen immer zugänglich blieb. Wichtigstes Einzugsgebiet für den Künstlernachschub waren Oberschwaben und Vorarlberg, die Ausstrahlungen reichten bis Salzburg und Wien und bis Italien. Natürlich war es keine anonyme Kunst mehr, einzelne Namen ragen heraus. Etwa der großartige Maler Johann Heinrich Schönfeld, aus Biberach gebürtig, dessen Gemälde im Salzburger Dom, in Kremsmün- ster, Reichersberg und Innsbruck zu finden sind. Zwei seiner Werke wurden von der Leningrader Eremitage ausgeliehen. Auch die Schatzkammer des Moskauer Kreml stellte erstaunliche Meisterwerke Augsburger Goldschmiede zur Verfügung. Unter dem gleißenden Prunk in den Vitrinen der Ausstellung fällt besonders die Lepanto-Monstranz von Johann Zeckel auf, die vor den Strahlenkranz in feinster Detailarbeit die ganze Seeschlacht von 1571 zeigt, als Symbol des Triumphes der Kirche über die heidnischen Türken.

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