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Meisterwerke der Plastik

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So nennt sich die diesjährige Ausstellung im Palais Thum und Taxis zu Bregenz. Ein anspruchsvoller, wie auch vielversprechender Titel. Und ein Titel, der hält, was er verspricht.

Der zeitliche Bogen beginnt um 1500 v. Chr. In Ägypten und erstreckt sich über alle wichtigen Epochen bis zum Impressionismus. Anreiz bietet auch der Umstand, daß nahezu alle Werkstoffe des Bildhauers vertreten sind: So vor allem Holz und Bronze, aber auch Elfenbein, Marmor, Stuck, Terrakotta, Blei und einige Beispiele aus der Goldschmiedekunst sind vorhanden.

Die rund 170 Exponate wurden ausschließlich von Privatsammlungen aus dem Bodenseegebiet, also aus der Schweiz, Deutschland, Liechtenstein und Österreich zur Verfügung gestellt. Mehr als die Hälfte stammt aus der Galerie des Fürsten von Liechtenstein, die zu den größten und wichtigsten der Welt zählt. Den 'Grundstein zu der Plastiksammlung, mit dem Schwergewicht auf Bronzen, legte Karl Eusebius von Liechtenstein (1611 Ibis 1684). Nach dieser ist die Sammlung Heinz Kisters aus Kreuzungen — erst 1932 gegründet — mit den meisten Werken vertreten.

Technisch gesehen scheute man weder Hilfsmittel, welche die Ausstellungsstücke dem Besucher ästhetisch näherbringen sollten, noch

— und das will besonders hervorgehoben sein

— einen großzügigen Ausbau der Beleuchtungsanlage, die den Eindruck des einzelnen Objektes durchaus unterstreicht, ohne die von Ihm ausgehende Wirkung zu stören.

Bei Betreten des Parkes der dem Palais Thum und Taxis vorgelagert ist, erblickt man pvel Bronzestatuen, beide gegossen von Mas-similiano Soldani (1656 bis 1740). Bei einer der beiden Figuren drängt sich sofort das Problem der Replik auf. Sie hat wohl den Bacchus des Michelangelo zum Vorbild gewählt, ist aber von Soldani keineswegs kopiert worden. Die Form war ihm gegeben, doch er hat sie beseelt, mit anderen Worten, er übertrug der Plastik seine ureigenste Persönlichkeit. Somit erscheint das gleiche Thema als eigenständiges, neukreiertes Werk. Ebenso verhält es sich mit der von ihm gegossenen Venus Medici, so benannt nach einer griechischen Marmorstatue im Besitz der florentinischen Fürsten. Die Feststellung der Eigenständigkeit ist sehr wichtig, denn ohne sie könnte man — jetzt nicht nur im Falle der Venus — zu leicht dem Schlüsse verfallen, es hätte alles schon einmal gegeben, es wäre Epigonentum der Griechen, der klassischen Kunst. Aus diesem Grunde ist es so wertvoll, daß die Ausstellung auch Vergleiche von Antike und später folgender Kunst bietet. Ein gutes Beispiel gibt ein Torso aus griechisch-alexandrinischer Zeit. Der marmorne Körper muß ursprünglich eine Kauemde dargestellt haben, denn man kann noch Spuren einer eingedrückten Ferse erkennen. In einer ganz ähnlichen Haltung zeigt sich die kauernde Venus von Giovanni da Bologna (1529 bis 1608). Wahrlich ein Meisterwerk! Geht man um sie herum, so bietet sie immer neue Ansichten und es fällt schwer, einem Blickpunkt den Vorrang zu geben.

Giambologna hatte eine große Werkstatt und übte auf seine Generation und darüber hinaus epochemachenden Einfluß. Antonio Susini (gest. 1624) arbeitete in seiner Werkstatt und gab sein Wissen wieder an seine Neffen Giovanni Franceso Susini (gest. 1646) weiter. Beide waren natürlich Künstlerpersönlichkeiten für sich und verwirklichten neben Nachgüssen auch ihre individuellen Ziele.

Auch Hubert Gerhard (1550? bis 1622/23) kam mit Fiammingo — so wurde der Flame Bologna von den Italienern genannt — in Berührung. Von ihm besitzt die Ausstellung ein kostbares Silberrelief, das eine Reiterstatuette des Erzherzogs Maximilian III. zeigt.

Der Flame Adriaen de Vries (um 1560 bis 1626) war nachweisbar einige Jahre vielleicht als Schüler, bestimmt aber als Mitarbeiter Bolognas tätig. Interessant ist bei ihm die Wandlung seines Stils an Hand der Aufträge in Augsburg zu verfolgen. Teils zeigt er noch den glatten Stil seines Lehrers an den drei großen Najaden am Sockel des 1596 in Auftrag gegebenen und 1602 vollendeten Herkulesbrunnen. Aber schon kündigt sich die lebendige Behandlung der Oberfläche, die Auflösung in Buckel bei den muskulösen Tritonen-halbfiguren an. Diese Verlebendigung behält er ab nun fast konsequent bei. Den für Adriaen typischen Stil vertreten auch die in der Ausstellung gezeigten Großplastiken des Schmerzensmannes und des hl. Sebastian, die beide 1607 gegossen und signiert sind.

War die „ftgura serpentinata“ — die schlan-genförmig bewegte Gestalt — des Bologna die ganz große Errungenschaft für die Vollplastik, die es durch ihre Drehung ermöglichte, die Räumlichkeit der Figur zu erleben, mit ihr von allen Seiten her Beziehung aufnehmen zu können, so scheint es, daß sich Joseph Anton Feuchtmayer (1696 bis 1770) bereits über die Gesetze der Plastik hinwegsetzen wollte. Wenn man seinen Stifter betrachtet, drängt sich unwillkürlich der Gedanke auf, er könnte im nächsten Augenblick enteilen. Die Statue wächst über ihre Gestzmäßigkeit hinaus, sie begnügt sich nicht mehr mit der Darstellung des Körpers, sie will Bewegung. Bewegung nicht nur in der Geste, auch das Gesicht wechselt seinen Ausdruck, ja es scheint sogar zu atmen!

Das sind Höhepunkte der Darstellungskunst.

Nicht weniger Bewegtheit findet sich zum Beispiel in dem Stucco-Reiief aus dem Donatello-Umkreis. Es stellt eine Kreuzigung dar. Herausgegriffen sei hier nur zum Vergleich ein Krieger, der in die dichtgedrängte Szenerie von Soldaten und Trauernden stürmt.

Starken Einfluß übte Donatello auf Luca della Robbia (1399 bis 1482) aus. Zunächst wirkte dieser als Marmor- und Bronzebildner. Hauptwerk seiner Frühzeit ist die marmorne Sängerkanzel im Dom von Florenz (1431 bis 1437). Doch das hauptsächliche Thema sind Flachrelief-Darstellungen von Madonna und Kind in vielen Abwandlungen. Der Gebrauch fvon glasierter Terrakotta war nicht seine eigene Erfindung, sondern nur eine Vervollkommnung der alten Majolikentechnik. Von ihm und seinen Nachfolgern, nämlich Andrea und Giovanni della Robbia, werden in Bre-genz 'bedeutende Stücke gezeigt.

Mit der Zeit um Donatello (1386 bis 1466) stehen wir am Beginn der Bestrebungen, Rundplastik zu schaffen. Schon er versuchte — ich denke eben an die Gruppe Judith und Holophernes in Florenz auf der Piazza della Signoria — Allsichtigkeit zu bieten. Er war es auch, der seit der Antike die erste freiplastische Aktstatue, den David, schuf, so wie er auch das erste Reiterstandbild seit der Antike für sich verzeichnen konnte, nämlich den Gattamelata in Padua auf der Piazza dei Santo.

Auch Giambologna befaßte sich sehr mit Reiterstandbildern und fand mit seinen Schöpfungen großen Anklang. So bildet die Reiterstatuette des Ferdinand I. in der Ausstellung einen Höhepunkt im Reigen der anderen Meisterwerke. Es muß auch dem Künstler an dieser Bronze sehr gelegen haben, da er sie signierte.

Was die Exposition auch noch so wertvoll macht, ist die Möglichkeit, die Plastik in ihrem Querschnitt studieren zu können. So stammen einzelne Objekte sogar aus ägyptischer Zelt, unter anderem vertreten durch einen kostbaren, fast porträthaften Mädchenkopf. Vergleichsweise bietet sich hier ein Marmorkopf aus römisch-augustäischer Zeit nach einem griechischen Original des 4. Jahrhunderts vor Christi an. Man bezeichnet ihn als die sogenannte Sappho.

Ein großartiger Einblick wird auch in die mittelalterliche Kunst geboten. Es kann sogar ein Elfenbeintäfelchen mit einer Himmelfahrt Christi aus ottonischer Zeit bewundert werden. Daß es bis auf uns kam, darf neben seiner Haltbarkeit auch darauf zurückgeführt werden, daß dieses Material praktisch zu nichts anderem verwendet werden konnte. Eisen, Bronze, Silber und Gold ließ sich hingegen leicht verschmelzen und zu „Nützlicherem“ als der Kunstbetrachtung gebrauchen. Im 17. Jahrhundert dürfte die Elfenbeinschnitzerei ihren Höhepunkt erreicht haben Es ist fast nicht zu glauben, daß ein Elfenfoein-humpen wie ihn Matthias Rauchmüller (1645 bis 1686) schuf, noch im Bereiche menschlicher Möglichkeiten steht. Eine Kostbarkeit von unschätzbarem Wert.

Sehr beeindruckt auch eine französische Madonna, um 1050 entstanden. Sie vertritt einen strengen Typus, sitzt frontal auf dem Thron, das Kind vor sich auf dem Schoß, beide mit feierlich ernsten Ausdruck.

Ein Gegenstück dazu bietet eine österreichische Madonna aus dem beginnenden 15. Jahrhundert. Sie neigt sich freundlich, gutmütig, das Kind liegt quer über Hand und Schoß, dem Betrachter mit offenen Armen zugewendet.

Zu Beginn des 14. Jahrhunderts kam das besonders tiefe Bedürfnis auf, sich vor einem kleinen, bescheidenen Andachtsbild zu versenken. Es entwickelte sich in dieser Zeit die Pieta. Das Ausstellungsprogramm zeigt eine solche aus Salzburg um 1400 bis 1420. Man begnügte sich damals nicht mehr mit der Kreuzigung, der Vergegenwärtigung der passio. Der Christ wollte die conpassio Mariae miterleben. Für diese mystische Betrachtung suchte er kleine Seitenräume und Kapellen, um möglichst ungestört für sich die Leiden nachempfinden zu können.

Einer ähnlichen Bestimmung waren die Christus-Johannes-Gruppen zugedacht. Herausgegriffen aus dem Abendmahl sollten auch sie an die Passion erinnern. Eine südwestdeutsche Gruppe aus Terakotta von 1350 bis 1360.

Auf zwei Meisterstücke sollte noch zum Abschluß hingewiesen werden. Besonders, da sie erst kurz vor der Ausstellung eindeutig bestimmt werden konnten:

Bei dem einen handelt es sich um ein Holzrelief von Tilman Riemenschneider (1460 bis 1531), das eine Kreuzesauffindung der heiligen Helena darstellt. Bis zur eindeutigen Identifizierung wurde das äußerst preziose Werk in den Umkreis des Meisters eingeordnet, konnte aber auf Grund genauer Prüfung und bestärkt durch eine wertvolle Expertise dem Künstler selbst zugewiesen werden.

Das andere, einstmals eine Standfigur, jetzt nur mehr eine fragmentierte Büste des heiligen Sebastian, wurde bisher als Werk Michael Pachers gehalten. Das Ergebnis eingehender Stilkritik schreibt sie heute eindeutig dem Hans Klocker (1476 bzw. 1482 bis 1500 in Brixen nachweisbar) zu. Das Gesicht des Heiligen mit den klaren, feinen Zügen zeigt starke Verinnerlichung. Die tonsurartig freigelassene Stelle seines Hauptes, die das Martyrium empfing, rahmen Reihen kräftiger Locken. Der leicht geneigte Kopf scheint noch nachträglich oder gleichsam für immer die Bereitschaft als Blutzeuge Christi ausdrücken zu wollen.

Die Obigen Ausführungen geben natürlich nur ungenügenden Überblick. Sie sollten den Rahmen der Ausstellung angedeutet haben. Und dieser eröffnet zweifellos Aspekte, gibt Anregung. Denn es werden Werke vorgestellt, die sonst kaum oder überhaupt nicht zugänglich sind, so daß neben dem kunstinteressierten Publikum besonders auch die Fachwelt angesprochen wird.

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