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Von österreichischen Flügelaltären

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Vor zehn Jahren hat der Dresdner Kunsthistoriker Eberhard Hempel auf einer Karte das Vorkommen der Flügelaltarschreine vermerkt (Jomsburg II, 137 ff., 270 ff.). Sie reichen von Island und vom nördlichsten Norwegen bis nach Valencia und Salerno, von Santiago de Compostela bis Finnland und Siebenbürgen, aber die dichtesten Vorkommen befinden sich in den Niederlanden, in Süddeutschland, in der Schweiz, in Südtirol, Österreich, in der Zips, in Schlesien, im ehemaligen Königreich Sachsen und etwas schütterer im Kreise zwischen Kopenhagen, Lübeck und Stralsund sowie in Uppland. Der dichteren Verbreitung im Süden dieses Gebiets stehen die älteren erhaltenen Beispiele im Norden gegenüber.

In Österreich sind etwa 170 Flügelaltäre erhalten, davon aillein in Kärnten 60 Stüde. Das ist ein stolzer, in dieser Fülle wohl nicht allzu vielen bewußter Kunstbesitz. Aber nicht nur die Anzahl, auch die künstlerische Güte unserer österreichischen Flügelaltäre ist vielfach sehr bedeutend. Der großartigste unserer Flügelaltäre steht unverändert an der alten Stelle im mystisch dunklen Chor der gotischen Wallfahrtskirche des heiligen Wolfgang am Abersee im Salzkammergut. Hier hat ihn der Brunecker Bildschnitzer und Maler Michael Pacher, der zehn Jahre lang sorgfältig an dem gewaltigen Werk gearbeitet hat, wobei ihn bei den Gemälden der Flügel sein Bruder Friedrich unterstützte, im Jahre 1481 selbst aufgestellt und die künstlerische Wirkung im Raume bis zum Schluß erprobt. An Tiefe der Empfindung, Kraft des Ausdrucks und Feinheit der formalen Gestaltung reichen nur wenige Flügelaltäre in Europa an dieses Meisterwerk Pachers heran, keiner übertrifft ihn.

Die Zeit, in der dieser Pacher-Altar entstand, war die Blütezeit der’ Flügelaltäre. Sie begann um die Mitte des 15. und reichte bis in die zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts. Das Eindringen der italienischen Renaissance, aber auch die logisch-rationale Art des Protestantismus hemmte die weitere Entwicklung. Der Flügelaltar ist seit dem 13. Jahrhundert in den Ländern germanischer Zunge allmählich entstanden. Im 11. und 12. Jahrhundert war es Brauch geworden, auf dem Altartisch neben dem Kruzifix eine Retabel, das iist eine Tafel mit Bildern, aufzustellen. In Anlehnung an die schon seit der karolingischen Zeit gebräuchlichen kleinen Reisealtärchen, die man zusammenklappen konnte, und unter Heranziehung der Reliquienbehälter, die aus der Krypta nun immer häufiger in die Nähe des Altars oder direkt auf denselben übertragen wurden, hat sich der Flügelaltar herausgebildet. Wesentlich blieb für ihn lange hinaus die von den Reliquienkästchen übernommene Schreinform. Vor der Rückwand des Schreins stellte man einen geschnitzten Gekreuzigten oder eine Muttergottes oder bald auch andere Heiligenstatuen auf, beließ darunter oder dahinter, meist in Form vergitterter Nischen, Platz für die Reliquien und besetzte die Flügel, die zum Verschließen des Schreins dienten, mit Reliefs oder Gemälden. Schließlich gab man dem Schrein einen eigenen Sockel, Predella, Staffel oder Sarg genannt, und eine zarte architektonische Bekrönung, das sogenannte Sprengwerk. Die Reliquiennischen verschwinden seit der Mitte des 15. Jahrhunderts. Seit derselben Zeit steigt die Zahl der Flügelaltäre derart an, daß bald jede kleinste Kirche einen, die größeren deren mehrere besaßen. Da der Wurmfraß die aus Holz gearbeiteten Altäre vielfach stark zerstörte, sie in der Barockzeit aber auch aus modischen Gründen abgetragen und leider meist vernichtet wurden, sind heute im deutschen Sprachgebiet nur mehr rund 3000 Flügelaltäre erhalten geblieben. Davon stammen mehr als zwei Drittel aus der zweiten Hälfte des 15. und aus dem ersten Drittel des 16. Jahrhunderts.

Das gilt auch für die in Österreich erhalten gebliebenen Flügelaltäre. Wir können sie hier nicht alle anführen, sie sind- im Handbuch der österreichischen Kunstdenkmäler (Dehio-Ginhart) vermerkt, es mögen nur die künstlerisch bedeutendsten in Erinnerung gebracht werden. Oberösterreich besitzt neben dem Pacher-Altar in Sankt Wolfgang den herrlichen, etwas jüngeren Altar in Kefermarkt, ferner weitere ansehnliche Flügelaltäre in Gampern, Gebertsham, Hallstatt und Waildburg; in Niederösterreich ragen die Altäre von Zwettl, Maria- Laach, Pulkau, Mauer und Sierndorf weit über den Durchschnitt hinaus; in Wien stehen in der Stephanskirche der 1447 bezeichnete sogenannte NeustSdter Altar, der aus Viktring in Kärnten tammt und dies auch durdi seine Formengebung sowohl in der Plastik als auch in der Malerei deutlich bezeugt, und der Valentinsaltar von 1507, in der Votivkirche ein Altar aus Pfalzel bei Trier und in der Deutschordenskirdie einer aus den Niederlanden. In Salzburg bewundern wir das silberne Reliquienaltärcben von 1443 in Mariapfarr; weitere bemerkenswerte Flügelaltäre verwahrt da Landesmuseum. In Tirol sind nur mehr die Altäre in Nau- ders und Landeck hervorzuheben, in Vorarlberg die von Fromengärsch und Be- sdilimg. Steiermark besitzt in St. Lambrecht und Bad Aussee zwei frühe gemalte Flügel- altäre, ein dritter gemalter, noch älter als die beiden genannten, aus dem frühen 15. Jahrhundert stammend, kam aus dem Murtal in das Wiener Kunsthistorische Museum; Schnitzaltäre von Bedeutung stehen in Gröbming, St. Georgen bei Rot- tenmann, Groß-Reifling, Hohenburg, Sankt Lambrecht, St. Marein und St. Johann in der Scheiben. Kärnten besitzt in dem 1425 datierten gemalten Altar aus Rangersdorf, jetzt im Klagenfurter Diözesanmuseum, den ältesten erhaltenen Flügelaltar; wertvolle spätgotische Schnitzaltäre stehen in Sankt Wolfgang bei Grades, Möllbrücke, Zwickenberg, Irschen, Heiligenblut, Althofen, Ossiach, Maria-Saal, Maria-Gail und Maria- Elend sowie im Landesmuseum in Klagen- furt.

Wir haben in Österreich aber auch zwei Flügalaltäre, die noch aus dem 14. Jahrhundert stammen. Davon gehört der berühmte Verduner Altar in Klosterneuburg, dessen Emailtafeln von 1181 ursprünglich eine Kanzelverkleidung bildeten, die aber 1322 bis 1329 in Wien zu einem Flügelaltar adaptiert wurde, mit zu den ältesten de? überhaupt erhailtenen. Und unser zweiter sehr bedeutender Flügelaltar, der nicht ganz ein halbes Jahrhundert jünger ist, kam aus der Kapelle des Schlosses Tirol bei Meran vor 100 Jahren in das Stift Wilten bei Innsbruck und befindet sich jetzt als Leihgabe des Stiftes im Innsbrucker Ferdinandeum.

Über diesen nicht nur seines Alters, sondern auch seiner künstlerischen Güte wegen ehr bedeutenden und reizvollen kleinen Flügelaltar, der noch vollkommen die Schreingestalt bewahrt und auch noch die Reliquiennischen aufweist, ist soeben von dem wissenschaftlichen Leiter des Ferdinandeums, Universitätsdozent Dr. Vinzenz Oberhammer, eine ausführliche Publikation im Tyrolia-Verlag in Innsbruck- Wien erschienen; „Der Altar vom Schloß Tirol“ (Großfolio, 96 S., 10 Textbilder, 56 ganzseitige Tafeln, davon 10 in Vier- und Fünffarbendruck, Halbleinen, S 96.—). Der 113 Zentimeter hohe, 139 Zentimeter breite und 29 Zentimeter tiefe Schrein aus Buchenholz ist in drei niedere untere und drei hochrechteckige obere Fächer geteilt, von denen das mittlere obere Fach eine Schnitzfigur enthielt — Oberhammer denkt mit Recht an eine Muttergottes —, währen/d die übrigen Fächer als Reliquienbehäilter dienten. Die unteren sind durch Gittertürchen verschließbar (wie noch am Viktringer Altar in der Wiener Stephanskirche), die beiden seitlichen oberen durch Türchen, die außen, auf Goldgrund gemalt, die Darstellungen der Heimsuchung links und der Geburt Christi recht tragen. Über der mittleren Nische steigt ein schlankes Türmchen empor, das im Vereine mit den (verlorenen) Ziergiebeln des oberen Schreinrandes den Keim des später gerade bei Tiroler Flügelaltären so reich ausgebildeten bekrönenden Sprengwerks verrät. An den Flügeln sind die Ziergiebel und die Fialen noch erhalten. Wenn die Flügel geöffnet sind, hat der Altar die stattliche Breite von rund 280 Zentimeter. Auf dem linken Flügel ist innen oben die Verkündigung, darunter die Anbetung der Könige gemalt, auf dem rechten ebenso die Krönung und der Tod Mariä, alle vier Bilder auf Goldgrund. Auch die Halbfigurenbilder von vier weiblichen Heiligen in den Winkeln der seitlichen Wimperge (Ziertürm- chen) und das Christushaupt im mittleren Wimperg erscheinen auf Goldgrund. Sind die Flügel geschlossen, so erblickt man an den Außenseiten, gemalt, links Maria, rechts Johannes, je begleitet von einem ritterlichen Heiligen mit Spruchband, und, darunter zu Füßen knieend, je ein ritterliches Ehepaar. Den Sdiließspalt verdeckte ein Kreuz, das in Nuten eingesetzt war und leicht weggenommen werden konnte, wenn der Altar geöffnet werden sollte. Das Kreuz ist leider nicht mehr vorhanden. Über den Figuren sehen wir außen, an den Flügeln in den Ecken oben, die Wappen Österreichs und Tirols gemalt. Das Ganze wirkt wie ein Juwel, namentlich bei geöffneten Flügeln, wenn die holde Pracht der lieblich und genau gemalten Bilder sich zu einem Akkord von seltener Harmonie vereinigt.

Das Altärchen, das 1848 der kunstsinnige Abt Alois Röggl von Stift Wilten aus dritter Hand erworben hat, war den Kunsthistorikern seit langem bekannt, wurde aber bisher immer zu spät datiert und nidit nach Gebühr gewürdigt. Es erfuhr in den letzten Jahren eine sorgsame Restaurierung, bei der nach Entfernung einer derben Übermalung die Bilder der Außenseiten der Hügel erst wieder zutage kamen. Das war ein großer Gewinn. Oberhammer war nun in der Lage, dadurch, daß er die beiden Ritter als die jugendlichen Brüder Herzog Rudolfs IV., als die Herzoge Albrecht und Leopold, erkannte, den Altar im Zusammenhang mit politischen Ereignissen überzeugend in die Jahre zwischen 1370 und 1372 zu setzen. (Bisher hatte man den Altar in die Zeit um 1400 und zum Teil noch später datiert.) Die beiden Gemahlinnen der Herzöge sind Elisabeth, Töchter Karls IV. und Gemahlin Albrechts, und Viridis, Tochter des Herzogs von Mailand, die Gemahlin Leopolds. Der Autor gibt außergewöhnlich feinsinnige formale Analysen der Bilder, vergleicht diese sehr umsichtig mit gleichzeitigen anderen österreichischen, böhmischen und reichs- deutschen Werken der Malerei und kommt zu dem Schluss , daß es sich um einheimische, von einem bedeutenden Künstler, der sich in der Welt umgesehen hatte, in Meran am Hofe des Herzogs gemalte Schöpfungen handelt. Oberharmner vermutet — ein vollkommen schlüssiger Beweis läßt sich aus Mangel an Urkunden nicht führen —, daß der Meraner Maler Konrad („der Maler im Tiergarten“) der Schöpfer der Malereien gewesen sein dürfte. Wichtiger ist, daß wir mit dem Altar vom Schloß Tirol nun ein künstlerisch hochstehendes Werk aus der Zeit um 1370 besitzen, womit die reiche später Tiroler Tafelmalerei, die mit den Werken Michael und Friedrich Pachers einen großartigen Höhepunkt erreichte, einen gesicherten heimischen Ursprung erhalten hat. Nun sollte uns jemand ebenso liebevoll und kenntnisreich den Murtaler Altar im Kunsthistorischen Museum in Wien und den Rangersdorfer Altar und seine Nachfolger vorführen. Das vorbildlich ausgestattete Buch Oberhammers stellt, bereits vollkommen auf Friedenshöhe, eine Glanzleistung der österreichischen Kunstbücherproduktion dar.

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