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Der Dom legt Zwischenbilanz

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16. Ap r i 1 1 9 5 2! Der große Tag der Domeröffnung wurde am Morgen mit der feierlichen Altarweihe eingeleitet. Erst beim dreimaligen Glockenzeichen, das den Einzug des hochwürdigsten Herrn Kardinals anzeigte, verließen die letzten Steinmetzen und Tischler, die die Nacht fieberhaft durchgearbeitet hatten, den Dom durch die obere Sakristei. Das Werk war vollendet, das Gotteshaus konnte zur Gänze wieder seiner Bestimmung übergeben werden.

Mit der Vollendung der Innenrestaurierung waren aber auch die zur Verfügung stehenden Geldmittel bis auf eine eiserne Reserve erschöpft. Die Sorgen begonnen von neuem. Der vom Metropolitan- und Domkapitel mit der Leitung des Dombaues beauftragte Dompfarrer mußte neue Wege suchen, um die Finanzierung der inzwischen dringend gewordenen Außenrenovierung zu ermöglichen. Als Ueber-brückungshilfe stellten die Nationalbank und der Verband Oesterreichischer Industrieller namhafte Beträge zur Verfügung.

In der Hast der letzten Arbeitswochen vor der Domeröffnung konnten keine Aufräumungsarbeiten durchgeführt werden. Holz, Schutt und Steinmaterial türmten sich meterhoch auf den'Lagerplätzen. Die Hälfte des nördlichen“ Bauhofes wurde in einen Parkplatz umgewandelt.

Nach der Säuberung der Bauhöfe begann die Dombauhütte in den Katakomben mit dem Bau einer würdigen Grabstätte für jene Erzbischöfe und Kardinäle, die im Friedrichs- und Frauenschiff begraben waren. Ihre sterblichen Lieberreste mußten exhumiert werden, da im Zuge der Innenrestaurierung des Domes eine Niveauveränderung des Fußbodens unbedingt notwendig wurde. Für die zehn Särge war keine entsprechende Grabstätte vorhanden; sie standen in den Katakomben frei herum und boten keinen erhebenden Anblick. Die Errichtung der Bischofsgruft war eine dringende Notwendigkeit geworden. Der Wiener Erzbischof stellte hierfür aus den Mitteln des Erzbistums einen hohen Betrag z,ur Verfügung.

Allerseelentag 1953! Kardinal Innitzer, dem die Fertigstellung dieser Gruft so sehr am Herzen lag, konnte sie am 2. November feierlich einweihen. Diese war nach den Plänen des verewigten Dombaumeisters Prof. Hofrat Dr. Karl Holey unter dem Friedrichsschiff in knapp zwölf Monaten von der Dombauhütte erbaut worden. Beim Adlertor wurde ein Abgang in die Katakomben geschaffen. Durch einen Vorraum, in dessen Fußboden die Grabplatten eingelassen sind, die früher die Gräber jener Bischöfe und Erzbischöfe bedeckten, die im Albertinischen Chor begraben lagen, gelangt man in die eigentliche Bischofsgruft. Sie wurde zu einem sakralen Raum gestaltet, der durch Steinbogen in Grabnischen gegliedert ist. Die Stirnwand schließt ein Relief aus der Hand Josef Troyers — die Auferstehung Christi darstellend — ab. In der letzten der zwölf zur Verfügung stehenden Grabnischen'fand Kardinal-Erzbischof Doktor Theodor Innitzer am 14. Oktober 1955 seine letzte Ruhestätte.

Die Außenrenovierung Nach Vollendung der Bischofsgruft wurde ein umfangreiches Bauprogramm erstellt: Der AbSchluß der Steinmetzarbeiten auf der Orgelempore, die Restaurierung des Nordturmes, des Hochturmes und der Heidentürme. Ein Programm für mindestens zehn Jahre!

Neben den Arbeiten auf der Orgelempore wurden mit vorhandenem Bauholz die beiden Glockenstuben des Hochturmes und des Nordturmes eingerüstet. Bei diesen Arbeiten wurde eine überaus starke Beschädigung der Glocken-stubenfenster festgestellt, so daß eine Sofortmaßnahme nötig wurde. Das Ostfenster war am ärgsten mitgenommen. Durch die Katastrophe des Jahres 1945 waren die Fenstergewände und der dem Fenster vorgelagerte Wimperg total ausgebrannt. Eine sofortige Außeneinrüstung und Pölzung des Fensters und der Abbruch des Wimperges waren notwendig. Gleichzeitig mehrten sich die Beschwerden der Passanten über vom Hochturm herabstürzende Steinteile.

Die Ergebnisse der sofort angestellten Untersuchungen wären ein Alarmzeichen. Der Hochturm hatte durch Artillerietreffer, Brandschäden und Verwitterung viel ärger gelitten, als man annehmen konnte Der „Steffel“ war in Gefahr, die nur ein rasches Handeln zu bannen vermochte.

Der Dompfarrer richtete daher an alle Wiener und Oesterreicher den Appell: „Rettet den Stephansturm!“ Dieser Ruf blieb nicht ohne Widerhall. Die Bundesregierung, die Stadt Wien und die Bundesländer erklärten sich bereit, jährlich einen namhaften Beitrag für die Restaurierung der Türme zu leisten, und zwar auf die Dauer von zehn Jahren. Darüber hinaus gingen der Dombaüleitung aus allen Bevölkerungsschichten Oesterreichs viele kleine und große Spenden zu. Diese Zuwendungen und Spenden reichten aber nicht aus Ueber Ersuchen Seiner Eminenz bildete Außenminister Ing. Dr. Figl am 16. November 1953 das Kuratorium für die Erhaltung des Stephansdomes. Dieses Kuratorium, dem führende Männer der Kunst und Wissenschaft, der Industrie, der Finanz, des Versicherungswesens, des Gewerbes und der Landwirtschaft angehören, beschloß — ebenfalls auf die Dauer von zehn Jahren — jährlich eine bedeutende Summe aufzubringen, um die Beseitigung der großen Bauschäden am Stephansdom zu ermöglichen.

Dem Kuratorium, dessen Vorsitz Außenminister Ing. Dr. Leopold Figl führt, gehören an: Prof. Dr. Karl Böhm, Generaldirektor Alfred Demelmayer, Dompfarrer Dr. Karl Dorr, Präsident Nationalrat Franz Dworak, Dom-dechant Prälat Franz Feichtinger, Universitätsprofessor Dr. Karl Fellinger, Dr. Carl Grießrigl, Generaldirektor Dr. Carl Habich, Dr.-Ing. Robert Harmer, Generaldirektor Dr. Josef Joham, Bundesminister a. D. Oekonomierat Josef Kraus, Präsident Dr. Hans Lauda, Oekonomierat Hans Maresch, Präsident Dr. Eugen Margaretha, Präsident Dr. h. c. Manfred Mautner-Markhof, Präsident Generaldirektor Dr. Franz Mayer-Gunthof, Oekonomierat Ferdinand Piatti, Prof. Dr. Alfred Verdroß, Dompropst Prälat Josef Wagner, Generaldirektor Karl Weninger, Universitätsprofessor Dr. Albert Wiedmann.

In der zweiten Kuratoriumssitzung wurde bereits die Restaurierung der drei Glocken-stubenfenster beschlossen. Die Arbeiten wurden von drei Steinmetzfirmen durchgeführt. Ihre Vollendung erfolgte im Sommer 195 5.

Nachdem nun die Dombauleitung von den drückendsten Geldsorgen befreit war, konnten alle Kräfte zur Rettung des Hochturmes eingesetzt werden. Die vordringlichste Aufgabe war der Bau eines Schutz- und Auffanggerüstes, das die Passanten vor herabstürzenden Steinteilen, ja vor ganzen Steinlawinen schützen sollte. Der „Patient“ selbst, der Hochturm, wurde inzwischen eingehend abgetastet und untersucht. Die Therapie lautete: Brustbandage (Gerüst) und große Auswechslungen an seiner Steinhaut. Die Behandlung des Patienten löste eine Reihe schwieriger Probleme aus: Die Ein-rüstung des Hochturmes, die Beförderung der Arbeiter und des Materials auf eine Höhe bis zu 82 Meter und die Sanierung der schweren Wunden des Turmes selbst.

Durch ein großzügiges Geschenk der Oesterreichisch-Alpinen Montangesellschaft — 10.000 Laufmeter Stahlrohre — wurde der Bauleitung in finanzieller und technischer Hinsicht eine große Sorge genommen. Das ursprünglich projektierte Holzgerüst, dessen Bau durch die exponierte Lage äußerst kompliziert gewesen wäre, konnte durch ein relativ einfaches Stahlrohrgerüst ersetzt werden. Diese Lösung brachte nicht nur große technische Vorteile; sie ist auch vom ästhetischen Standpunkt zu begrüßen, da die Silhouette des Turmes dabei erhalten blieb.

Im zeitlichen Frühjahr 1954 wurde bereits mit den- Vermessungsarbeiten am Turm begonnen und in schwindelnder Höhe die für die Planung des Gerüstes erforderlichen Maße aufgenommen. Dann mußte ein Lasten- und Personenaufzug an der Ostseite des Hochturmes erbaut werden. Eine große Schwierigkeit lag darin, daß der Aufzug das Rohrgerüst nicht belasten durfte, das heißt, das Eigengewicht und die Nutzlast des Aufzuges mußten über eine frei auskragende Stahlkonstruktion direkt in den Turm geleitet werden. Bei der Montage dieser Tragkonstruktion ergaben sich große Gefahrenmomente. Die beiden 70 Zentimeter hohen geschweißten Träger wurden in je drei Teilstücken bis auf eine Höhe von 85 Meter im Innern des Turmes aufgezogen, dort in mühsamer Arbeit verschraubt und aus dem Turm ausgeschossen. Erst als die Träger nach unten in den Turm endgültig verhängt waren, konnte mit der Montage der Aufzugsmaschinen begonnen werden.

Am 9. August 1954 schwebten die ersten Rohre mit dem Aufzug zur Einbaustelle. Nach der Herstellung der untersten Gerüstetage, die frei um den Turm herum geführt werden mußte, wuchs das Gerüst in einer Rekordzeit von fünf Wochen in die Höhe. Der Bau eines Holzgerüstes hätte wenigstens die vierfache Arbeitszeit erfordert.

Erst nach Fertigstellung des Gerüstes war eine genaue Ermittlung der Schäden möglich. Etwa sechs Artillerietreffer und die Witterungseinflüsse von fast 100 Jahren hatten dem Turm arg zugesetzt. Mindestens 120 Kreuzrosen und 1200 Krabben waren zu erneuern, zirka 250 Kubikmeter reichprofiliertes Steinmauerwerk herauszubossieren und neu zu versetzen, zirka 5000 Quadratmeter Steinoberfläche zu überarbeiten und von allen Versinterungen der Patina zu befreien.

Bei der Steinmaterialbeschaffung kam der Dombauleitung ein glücklicher Umstand zu Hilfe. Das Rothschild-Palais in Wien wurde abgebrochen. Viele Kubikmeter Sandstein von besonderer Güte konnten zu einem Preis erworben werden, der nur 10 Prozent von dem üblichen betrug.

Die Schäden am Hochturm waren sehr umfangreich und unübersichtlich. Die Instandsetzungsarbeiten wurden daher, je nach Dringlichkeit, in verschiedene Bauetäppen eingeteilt, die jeweils in Form von Baulosen ausgeschrieben werden und nach Prüfung der Offerte durch das Kuratorium an Steinmetzfirmen zur Vergebung gelangen. Die erste Bauetappe im Jahre 1955 (vier Baulose) galt der Beseitigung der größten Artillerietreffer. Im Baujahr 1956 wurden weitere vier Baulose in Angriff genommen, die bis zum Frühjahr 1957 fertiggestellt sein werden.

In der ersten Kuratoriumssitzung des Jahres 1956 stand die Beschleunigung der Restaurierungsarbeiten zur Debatte. Ueber eine Bitte der Dombauleitung erklärten sich die Herren des Kuratoriums mit der sofortigen Inangriffnahme der Wiederaufbauarbeiten am schwerbeschädigten Nordturm einverstanden.

Vor dem Beginn der eigentlichen Arbeiten mußten die Voraussetzungen für eine reibungslose Durchführung der Abbruch- und Wiederaufbauarbeiten geschaffen werden. Die wichtigste und zugleich gefährlichste Vorarbeit war die Montage eines Turmdrehkranes auf dem Plateau des unausgebauten Turmes in einer Höhe von ungefähr 40 Meter. Schon nach kurzer Zeit ragte die silberne Nadel des Drehkranes zum Himmel und beförderte 330 Kubikmeter durch den Brand zerstörtes Steinmauerwerk auf die Straße. Nach Abbruch des Turmhelmes wurde sofort mit dem Neubau begonnen. Ueber der Glockenstube des unausgebauten Turmes wurde eine Stahlbetonplatte — das Betonfundament des neuen Hauses der Pummerin — hergestellt. Auf dieser wurden acht Stahlbetonsäulen errichtet; sie bilden das Skelett des Turmhelmes. Nach dem Verschließen der acht Säulen durch einen Betonrost und eine Stahlbetondecke konnte die Montage der Holzkonstruktion des Dachstuhles durchgeführt werden.

Der neue Adler, der die Spitze des Turmes krönt, wurde in der Dombauhütte hergestellt und am 31. August 1956 auf die Helmstange aufgesetzt. Durch den Einsatz aller am Bau Beteiligten war es möglich, den Abbruch des Torsos und die Wiederherstellung des Turmhelmes im Rohbau in einer Rekordzeit von knapp vier Monaten durchzuführen. Nach Vollendung der Steinverkleidung wird sich der Nordturm den Wienern in seiner ursprünglichen Form präsentieren. Die moderne Konstruktion auf dem alt-ehrwürdigen Bau war aus statischen Gründen erforderlich.

Im Oktober 1957 soll die Pummerin ihr neues Haus beziehen. Mit den notwendigen Vorarbeiten wird noch im Laufe des heurigen Winters begonnen.

Im September 1956 jährte sich zum 500. Male <ler Todestag des heiligen Johannes von Capi-stran. Aus diesem Anlaß wurde das durch einen Artillerietreffer und die Witterungseinflüsse stark beschädigte Capistran-Denkmal von Bildhauer Robert Mussi renoviert.

In all den Jahren des Wiederaufbaues wurde neben den dringenden Bauaufgaben die Neu-

gestaltung einer großen Domorgel studiert. Ein Team von Experten unternahm im Jahre 1954 eine Studienreise nach verschiedenen Städten Europas und besichtigte alle bedeutenden mechanischen und elektrischen Orgeln. Dieses Team schuf die notwendigen Voraussetzungen für eine endgültige Planung. Im Vorjahr konnte endlich ein letzter Entwurf dem Metropolitan-und Domkapitel, dem Bundesdenkmalamt und dem Kuratorium vorgelegt werden.

Für diesen Entwurf waren der vorhandene große Gurtbogen über der Orgelempore zwischen den beiden Heidentürmen und die Forderung nach einer großen Sängerempore mitbestimmend. Während bei der alten Barockorgel eine Raumtiefe von zwei &#9632; Meter für die Sänger zur Verfügung stand, wurde bei der Neugestaltung zur Unterbringung des Orchesters und der Sänger eine Raumtiefe von sieben Meter gefordert. Dies bedingt die tiefe Ausladung des Gesimses, auf dem die Orgel ruht, so daß der Eindruck entsteht, als würde die Orgel im Raum schweben. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch drei musizierende Engel, die, gleichsam schwebend, die Pfeifentürme des Hauptprospektes tragen. Mit der künstlerischen Gestaltung dieser Plastiken wurde der Bildhauer Josef Troyer betraut.

Der Prospekt erhält nicht wie bei der alten Domorgel ein Barockgehäuse, sondern er wird sich freistehend in die Architektur des gotischen Raumes einfügen.

Der Auftrag für die Orgel ist erteilt, die Arbeiten sind im Gange. Während der Sommerferien 1956 wurde die Stahlkonstruktion, auf der die Orgel ruhen wird, montiert. Dieser Unterbau wiegt zirka 11.000 Kilogramm. Im Laufe des nächsten Frühjahres erhält diese Stahlkonstruktion eine Holzverkleidung, das Gesimse, im Sommer wird der Zinnprospekt aufgesetzt. Nach menschlichem Ermessen wird die Orgel nach einer dreijährigen Bauzeit Weihnachten 1959 zum ersten Male erklingen.

Das ist die Zwischenbilanz von fünf Baujahren. Noch liegen weitere sechs bis sieben Baujahre vor uns. Ob sie ebenso glücklich vollendet werden können wie die vergangenen, hängt von der gnädigen Hand Gottes und vom guten Willen der vielen Freunde des Stephansdomes ab. Der nüchterne Rechenschaftsbericht ist der beste Dank an unsere großen und kleinen Helfer und zugleich eine Bitte, dem ehrwürdigen Bauwerk auch in den kommenden Jahren die bewährte Treue zu halten.

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