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Wiener Festspielhaus im ehemaligen Jesuitentheater

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Als ich einmal, es war im Jahre 1938, einen Korrekturbogen in der Druckerei der „Wiener Zeitung“ durchzulesen hatte, die sich damals im obersten Stockwerk des. Gebäudekomplexes zwischen der Bäckerstraße und Wollzeile befand, sah ich an der Decke des Maschinensaales die traurigen Reste eines mächtigen alten Freskobildes, das zum Teil abgeblättert und arg angeschwärzt war. Nachforschungen ergaben, daß dies die völlig vergessene Stätte des weltberühmten barocken Jesuitentheaters sei. Seit damals ließ mich der Gedanke nicht los, daß an diesem ehrwürdigen Ort wieder ein österreichisches Theater erstehen möge.

Von wechselvollen Schicksalen großer Geschichte kann dieser Raum erzählen: Schon Anno 1685 berichtet der Dom-kapitular Johann Matthias Testarelli della Massa in seiner Stadtbeschreibung von jenem Theatersaal des Jesuitenkollegiums, daß der Zuschauerraum „herrlich schön und groß, mit Laubwerk, Landschaften und anderem Gemahl und Zierrat ausstaffiert“ sei. Größer als das dreitausend Besucher fassende Auditorium war das Theatrum, das heißt die Bühne, auf der man zwölf- bis dreizehnmal die darin stehenden Szenen verändern konnte. Auf dieser Tribüne hatte der Triestiner Frater Andreas Brunner, genannt P o z z o, als Theatralarchitekt die zur Bühnengeschichte eingegangenen Jesuitenkomödien mit illusionierenden Prunkdekorationen phantasievoll ausgestattet. In der Theatersammlung unserer Nationalbibliothek kann man Kupferstiche bewundern, die das künstlerische Gefüge jener Nischenportale und Szenarien für die lateinischen Schulstücke darstellen, unter vielen anderen die Bühnenbilder des „Xenodoxus“ vom Jesuitendichter Biedermann, „Pietas victrix“ („Sieg-i hafte Frömmigkeit“) des P. Niccolo Avancini, den verwegenen „Götterjahrmarkt“' des P. Pogatschnigg. In solchen Moralin täten hatten bis 1761 die jungen Jesuitenscholaren alljährlich zehnmal agiert und dadurch für ihre künftigen Staatsberufe öffentlich reden und darstellen gelernt Ganz Wien besuchte die Aufführungen, der Hof fand Gefallen daran, und fast wäre es in jener theaterfreudigen Zeit zuviel an solchen Vergnügungen geworden.

Nicht von Pozzo, wie man früher annahm, ist das 500 Quadratmeter große allegorische Deckengemälde geschaffen, denn es hat in seinen kühn aufstrebenden Scheinarchitekturen, in der Muschelornamentik und in den dekorativen Details einer beschwingten Glorifizierung der Rosenkranzmadonna, die triumphierend in den Himmel schwebt, soviel Rokokohaftes, daß man es jetzt seinem Schüler Anton Hertzog mit Recht zuschreibt.

Das seit 1773 ärarische Gebäude wurde der .akademischen Universität“ übergeben, nach deren Abzug übernahm es das vom Stadtkonvikt geleitete Ordensgymnasium, das durch fünf Jahre, bis 1813, Franz Schubert als Zögling besuchtet wohl an dieser Stelle hatte er die ersten überwältigenden dramatischen Eindrücke empfangen.

Im Jahre 1884 war das weiträumige Haus von der Leitung der „Wiener Zeitung“ übernommen worden. Der hohe Theatersaal mußte durch eine von schweren Eisentraversen getragene Decke unterteilt werden, und dort, wo ehedem die begeisterungsfähigen Studenten für die Schaulust der Wiener Weihnachts-, Hirten-und Passionsspiele aufgeführt hatten, dröhnten nun die mächtigen Rotationspressen moderner Drucktechnik. ,. In dem unseligen letzten Krieg durchschlug am 5. November 1944 eine fünfhundert Kilo schwere Bombe Dach und Decken der Stockwerke, blieb aber im Erdgeschoß als Blindgänger liegen. Bei der Entsicherung durch einen deutschen Offizier durchriß die überraschende Explosion beide Fronten und zerstörte die zwei malerischen Schwibbogen. Als öde Halbruine ragte am Kriegsende dies traditionsreiche Denkmal Wiener Geistesgeschichte in die hoffnungsarme kommende Zeit.

Man mag uns Österreichern zu Recht oder Unrecht vielerlei Unterlassungssünden vorwerfen, wenn es aber an Schutz und Wiederherstellung altehrwürdigen Kulturguts geht, da sammeln sich opferbereit die tätigen Kräfte des Landes.

Bald nach dem Waffenstillstand setzte auch bei diesem Kunstobjekt die bewußte Tat zur Erhaltung solchen einzigartigen

Vermächtnisses der Vorväter ein. Die beiden typischen Schwibbogen und die Außenfassaden wurden von der Bundesgebäudeverwaltung in früherer Form sachgemäß wiederaufgebaut. Das Bundes-denkmalamt ging an die mühsame Arbeit der stilgerechten Restaurierung des verwüsteten Deckenbildes. Teile davon lagen auf dem Boden verstreut, andere mußten behutsam mit Eisenklammern am Plafond befestigt werden. Mit aller gebotenen Vorsicht entfernte man Staub- und Schmutzschichten von den erhaltenen Bruchstücken. Allerdings mußte viel Fehlendes neu hinzugefügt werden, und da hat uns das Glück ein genaues Aguarell dieses Freskos, das der Maler Hartinger im Jahre 1899 aufgenommen hatte, erhalten, es konnte die ausgezeichnete Grundlage für alle Ergänzungen abgeben, so daß binnen kurzem dieses wertvolle Meisterwerk wieder in seiner wunderbaren Farbenpracht erstehen wird.

Wohl ging ein Vorschlag der Historiker dahin, womöglich die Struktur des alten Jesuitentheaters wiederherzustellen, aber außer einem hreiten Wandbogen ist nichts von der einstigen Bühnenkonstruktion erhalten geblieben. Eine solche museale Wiederherstellung bliebe aber für unser lebendiges Theater heutiger und morgiger Menschen eine tote Angelegenheit, würde nur zur Aufführung jener kaum mehr ansprechenden Stücke tauglich sein.

Die Leitung der Staatsdruckerei, die hier Hausherrin geblieben ist, hat auf diesen Saal und seine Nebenräume zugunsten der Verwendung für theatralische Zwecke in großzügiger Weise verzichtet.

Gemeinsam mit Architekt Emil N i b i o habe ich nun einen Vorschlag verfaßt, der neue Möglichkeiten für diesen Raum als „Wiener Festspielhaus“ zu bieten vermag: An der Ecke des Universitätsplatzes kann man durch entsprechend breite Doppelstiegenanlagen den tausend Menschen fassenden Theatersaal erreichen, alle nötigen Nebenräume, auch für Büfett, für Raucher und besondere Wandelgänge sind praktisch und sehr gut unterzubringen. Die seinerzeit für die Druckpressen eingezogene Zwischendecke ist bereits entfernt, die tiefgegliederte Spielfläche wird jetzt schon ummauert.

Es soll keine bisher übliche Guckkastenbühne entstehen, sondern ohne Vorhang möge der Zuschauerraum in den Spielbereich der Darstellungen übergehen. Nur zwei seitliche Beleuchtungstürme geben allein die Abgrenzung des Schauplatzes. Durch die enge Bäckerstraße ist es unmöglich, gerollte Prospekthintergründe zur Bühne zu schwenken. Aus diesem Notfall vermag man aber eine theatralische Tugend zu schaffen: die künftigen „Dekorationen“ müssen wie bei Freilichtaufführungen dreidimensional allein als terrassierter Aufbau in den offenen Raum gestellt werden. Auf solchem modernen Spielgerüst kann man antike Tragödien, Mirakel und Passionsspiele, Schaustücke von Calderon bis zu den neuen dramatischen Werken Clau-dels, Eliots und unserer österreichischen Dichter als großes Welttheater monumental geben. Es wird sich dadurch hier ein neuartiger Stil des Schaubildes zwangsläufig entwickeln können.

Aber auch für festliche Veranstaltungen, für Feiern des Staates oder der Kirche, für Konzerte, Vorträge und für Ausstellungen wird hier künftig der geeignete, im Herzen von Wien liegende Platz sein.

Wenn aus Trümmern und Schutt in absehbarer Zeit dieses verwundete Theaterhaus auferstanden ist, dann hat Wien eine Sehenswürdigkeit mehr: den erhaltenen Zeugen kulturvoller Vergangenheiten der geistigen Donaustadt, einen musischen Festraum mit dem unvergleichlichen Schmuck eines erhabenen Deckengemäldes, wie es wohl kein anderes Theater aufweisen kann.

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