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BILD EINER ZEIT

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AUS EINEM FELSMASSIV AN DER DONAU hebt sich der Bau des Benediktinerstiftes Melk. Der Zug oder das Auto tragen uns heute die langgestreckte Fassade entlang, die wir immer wieder als den machtvollen Ausdruck des Barocks erleben, einer Zeit, der es als letzter Tergönnt war, alle Künste zu vereinen ad majorem dei gloriam.

Nähern wir uns dem Stift auf dem Fluß, der zwischen den maßvollen Hebungen und Senkungen der musikalisch bewegten Landschaft dahinströmt, so reckt sich uns die Bastion auf dem Felsen entgegen, halb wehrhaft und halb theatralisch, auf der die der Kirche vorgezogenen Flügelbauten in niedrigeren Ausläufern im Halbkreis ausklingen. Wir blicken auf die in der Mittelachse gelegene Arkatur, die vom Westportal der Kirche und von ihrem Vorhof aus den Blick auf die Landschaft, auf ihre sinnlich weiche Bezauberung freigibt. Über ihr erheben sich die Türme der Kirche, gedrungen und doch den Bau überragend, von Zwiebeldächern und Türmchen gekrönt, die zusammen mit der geschuppt überdachten Kuppel einen dreifachen Akzent auf die großzügig hingelagerte Anlage setzen. Von der Landseite her gibt er der langgestreckten, wenig gegliederten Fassade das Bild eines mächtig dahinsegelnden Schiffes, das in den Raum hinaus vordringt. Erst dem Besucher des Stiftes, dej durch den Marmorsaal die Altane betritt, wird der Blick auf die Hauptfassade der Kirche., freigegeben auf den Vorhof, der von Bibliothek und Marmorsaal flankiert wird. Anlage und Komposition dieses Baues sind in der Verbindung von Architektur und Landschaft ein Meisterwerk, seine Gliederung, die die Natur erhöht und überhöht, stellt einen jener Glücksfälle der Architektur dar, der keinen Wunsch offenläßt, weil sich im Form gewordenen Bau der Geist einer Landschaft, einer Zeit, rein zu erheben scheint. Er ist ohne Zweifel das bedeutendste Werk Jakob Prandtauers, jenes vor genau 300 Jahren geborenen Tiroler Bergbauernsohnes, der aus Stanz bei Landeck auszog, um das Maurerhandwerk zu erlernen und einer der bedeutendsten österreichischen Barockbaumeister wurde.

WIR WISSEN NICHT ZUVIEL VON IHM. Wahrscheinlich arbeitete er zuerst in Bayern noch, in untergeordneter Stellung und lernte dort die Arbeiten des italienischen Architekten Zuccali kennen. Ein Dokument aus dem Jahre 1689 weist ihn als „Bildhauer bei Sankt Pölten in Österreich“ aus, wahrscheinlich im Dienste des Grafen Gurland, da er im Jahre 1692 die Kammerzofe der Gräfin heiratet. Prandtauer ist mit der großen Architektur seiner Zeit nur durch zweite Hand verbunden. Er diente von der Pike auf und wuchs vom Kleinen ins Große, er ist der Handwerker der österreichischen Barockarchitektur, weniger weltmännisch offen als seine Zeitgenossen Fischer von Erlach und Lucas von Hildebrandt, eine Begabung, die mit der Größe der Aufgabe zu wachsen beginnt. Fischer studierte bei Bernini klassisches Maß, Lucas von Hildebrandt, der Genueser, nannte sich Fontanas Schüler, sie alle waren Italianaten, schlössen unmittelbar an eine Tradition an. Prandtauer wollte diese „ideale Architektur“ nicht. Er schuf sein Bestes aus seiner Beziehung zur Land.chaft und aus einer beinahe bäuerlichen Schlichtheit der Gesinnung. Natürlich kamen die Anregungen aus dem Süden, aber er gab ihnen sein eigenes Gepräge, so gut er konnte, beharrlich und ehrlich. Wenn, in europäischem Maßstab gesehen, dabei in den Innenräumen keine große Architektur entstand, wie etwa in de<- Stiftskirche in Melk, deren mächtig aufschießende Pfeiler in Gewölbe keine adäquate Antwort finden,, so kompensierte er diesen Fehler zumindest hier durch eine Planung, die in den Außenraum griff, einer Vision des Gesamtbaukörpers folgte, die überwältigt und ergreift. Sein Bildnis zeigt einen gichtischen Mann, der noch etwa ein Jahr zu leben hat. Schmerzlich fragende Augen stehen unter einer gefurchten Stirn. Der Mund ist verzerrt, halb sarkastisch, halb wehmütig lächelnd. Ein gutes und menschliches Gesicht, klug und gescheit, und man bedauert nur, daß es keinen besseren Maler fand.

So sehr es sein eigenstes Werk ist, war Prandtauer im Klosterbau von Melk nur eine der Stimmen, die damals das Gesamtkunstwerk dieser Anlage schufen. Denn dieser Bau — wie alle großen Repräsentationsbauten des Barocks — nährte sich aus vielen Quellen. Neben dem Baumeister gab es den Bauherrn, der entscheidenden Einfluß auf die Gesamtgestaltung einer solchen Anlage ausübte, es gab die Stukkateure, die Freskomaler, Plastiker, Ingenieure, Historiker und Inventoren, die das Programm entwickelten, dem sich alles einfügen mußte. Die überragende Erscheinung Melks ist die Gestalt des Abtes Berthold Dietmayr. Seiner Vision entsprang die Idee des Baues, an dem die Künstler nur ausführendes Glied waren, er gab die Richtlinien aus, die die Künstler nur modifizieren konnten — ein Verhältnis zwischen Auftraggeber und Künstler, zwischen Mäzen und Handwerker, wie wir es uns heute kaum noch vorstellen können. Alles hatte der Idee des Barocks zu dienen, der siegreichen Befestigung der herrschenden und triumphierenden Macht der Kirche zur Lobpreisung Gottes. Viel Weltliches drang damals in diesen Bereich ein. Wir sehen es, wenn wir die Räume durchschreiten, die einem Elan gehorchen, der, obwohl nicht von dieser Welt, doch die Verherrlichung dieser Welt darstellt. Die Räume zeigen die Essenz einer Lebensform, die alles in den Bereich des Daseins einbezieht, Theater, Maskerade, Musik und die strenge Form des Zeremoniells, der Ausdruck einer auf dem Außermenschlichen wurzelnden Hierarchie, sind ihre Elemente. Strenge im Prunk, Härte in der Beweglichkeit, der Atem einer über den Menschen hinausgreifenden Vorstellung des Daseins, sie werden auch in Melk lebendig. Eine erzieherische Macht drückt sich hier aus, die selbst den Theaterdonner nicht scheut und die Beschwörung des heidnischen Olymps, um jene ausgreifende Gestik zu finden, die letztlich in ihrem verlorenen Pathos um so mehr ergreift. Sie ergreift vor allem dadurch, daß der Abstand klar wird zwischen dem, was gemeint ist, und dem, was erreicht wird. Wenn das Schiff des Stiftes über die Klippe hinaussegelt, die Logen und Brüstungen des, Kirchenraumes den Blick auf das Mysterium immer wieder freigeben, die Pfeiler zu den niedergebrochenen Gewölben aufschießen und die Kuppel pathetisch eng dem Licht auf die dramatischen Akzente der Fresken hinführt, die in einer herben Chromatik gemalt erscheinen, das Rot und Gold und Ocker eine Festtagsstimmung von prunkvoller Schwere schaffen, so ist darin die eine Leidenschaft spürbar, die unmittelbar das Letzte will und ihre Verherrlichung in der Fülle des Diesseitigen sichtbar anschaulich zu machen sucht.

ES WAR FRAGLOS EIN GUTER GEDANKE, in Melk eine Ausstellung des österreichischen Barocks zu veranstalten. Es war naheliegend, diese Ausstellung „Jakob Prandtauer und sein Kunstkreis“ zu nennen, dem Genius loci zu huldigen und aus einer rein didaktischen Überlegung heraus zu versuchen, jene Bedingungen nachzuzeichnen, die einen Bau wie Melk entstehen ließen. Um es gleich zu sagen, die Ausstellung, von jener lauteren Absicht getragen, enttäuscht. Nichts mag und darf gegen die wissenschaftliche Arbeit gesagt werden, die ihr voranging und deren Frucht sie ist. Aber gerade sie trägt zu einem Teil die Schuld an der Begrenztheit und spezialistischen Enge, die die Ausstellung kennzeichnet. Mit viel Fleiß und Bemühen zusammengetragen, in ihrer Gliederung ausgezeichnet, in ihrer Konzeption, die alle Bereiche des barocken Kunstwillens umfaßt, universal — ist sie zu sehr kunsthistorisch begrenzt,' Sie beginnt mit der architektonischen Geschichte des Stiftes vor und nach dem Um-bau, mit alten Ansichten und Stichen, unter denen besonders die überraschend virtuose Perspektive von Franz Rosenstingl aus dem Jahre 1736 auffällt, die vielen Architekten Anlaß zur Revision ihrer Darstellungen geben sollte. Über Bildnis und Dokumente des Bauherrn, des Abtes Berthold Dietmayr, führt sie uns in die dem Publikum zum erstenmal zugänglichen Prälatenräume, die zum Teil mit geschmacklosen neuen Tapeten ausgestattet wurden, zum spätbarocken Bildersaal, in dessen

Zentrum acht Tafeln des ehemaligen Hochaltars von Melk ausgestellt sind, die Jörg Breu der Ältere malte, und zum mittelalterlichen Schatz des Stiftes, unter dem einige Reliquienschreine und das gotische Melker Kreuz besonders bemerkenswert sind. Der letzte Raum dieser Flucht ist den Babenbergern gewidmet, die in der Burg zu Melk residierten und dort begraben wurden, und dem heiligen Koloman, dem besonderen Schutzheiligen Melks. Von dort führt der Weg in die Kaiserzimmer über eine eingehende Darstellung der Wahlheimat Prandtauers, St. Pölten, die äußerst instruktiv wirkt. Der VII. Raum zeigt die bekannten Büsten Kaiser Leopold I., Joseph I., Karl VI., die künstlerisch noch zu den bemerkenswerteren Stücken der Ausstellung gehören, Bildnisse von van Schuppen und für diese Zeit wichtige Dokumentationen. Der nächste Raum ist ebenfalls dem Wirken Prandtauers gewidmet, dem Karmeliterinnenkloster von St. Pölten, dem Umbau des Chorherrenstifts und der Kirche dortselbst. Wieder im Korridor sind seine Brückenpläne und Kirchenumgestaltungen zu sehen, Haitzendorf, Weikendorf, Maria-Ponsee, Gutshöfe und Schlösser. Darauf folgen seine Pfarrkirchen und Wallfahrtskirchen, Ravelsbach, Wullersdorf, Sonntagberg, Christkindl, die Kuppel von Maria-Taferl, Dekorationsdetails bildlicher und plastischer Art. Dann die Arbeiten der Künstler, die für Prandtauer entscheidend wurden, Mathias Steindl und Bernhard Fischer von Erlach, seine eigene Gestaltung von Herzogenburg und die Entwürfe für Klosterneuburg mit Vergleichsbeispielen und Arbeiten seines Kunstkreises, der Ausbau von Sankt Florian, Kremsmünster und Garsten, ein Saal der Maler, die mit Prandtauer arbeiteten: Be-duzzi, Rottmayr, Altomonte, Kremser-Schmidt, Gran, Troger und Pellegrini. Die gezeigten Bilder sind von unterdurchschnittlicher Qualität. Im Marmorsaal sind dann schließlich Modelle der Arbeiten Prandtauers versammelt, Grund-und Aufrisse von seiner Hand, Entwürfe von Beduzzi für die Fresken der Stiftskirche und die Neurisse für die Tuermhelme von Munc-genast. Der Bibliothekssaal zeigt in ausgewählten Beispielen das geistige Fundament der triumphierenden Kirche des Barocks, die Literatur der Zeit von Grimmelshausen bis Lohenstein und Grotius, Festgestaltungen und Theaterrisse, Triumphpforten und Kostümentwürfe. Ihm folgt eine erlesene Schau der Musikinstrumente der Zeit, mit Tabulaturen und Partituren, die bis,zum Vater Mozarts und,zw Haveln reichen. Ein Gang, in dem kirchliches Kunstgewerbe der Barockzeit-ausgestellt ist r- der befriedigendste Raum der Ausstellung —. führt dann über eine Treppe in die Kirche und damit zum Höhepunkt der Ausstellung.

DAS IST, WIE MAN SIEHT, EIN AUSGEZEICHNETES PROGRAMM mit der geistigen Konzeption, ein Bild der Zeit zu geben. Worunter es aber vor allem leidet, ist die Begrenzung auf das zu eng gefaßte Thema des Kunstkreises um Prandtauer, der nur einen kleinen Ausschnitt aus der Fülle des österreichischen Barocks umfaßt. Dazu kommt, daß kaum ein Bild, mit Ausnahme vielleicht einer Skizze von Kremser-Schmidt, zu sehen ist, das besonderes Niveau erreicht. Sicher wären in öffentlichen Sammlungen Bilder Trogers, Kremser-Schmidts und Altomontes greifbar gewesen, die das Gezeigte bei weitem überragen. Auch die Architekturplastik hat keine überdurchschnittlichen Leistungen aufzuweisen. Am originellsten sind noch einige im Garten aufgestellte Bildhauerwerke, die im Zusammenhang mit der Natur einen gewissen Reiz entfalten, ohne deshalb Kunstwerke zu sein.

Entschiedener Einspruch aber muß gegen die architektonische Gestaltung der Ausstellung erhoben werden. Sicherlich war das Problem der Anordnung in den gegebenen Räumen schwierig. Doch was hier zum Teil an Geschmacklosigkeiten geschehen ist, wie die entsetzlichen Tapeten, die Farbwahl der Hintergründe, die Anbringung der Photomontagen, die wahllose Anordnung des Grünzeugs, das zur Verdeckung von Fehlern verwendet wird, die plumpen und kostspieligen Schaukästen, Podien, Tische usw. sind geradezu bestürzend. Wenn auch hinter der Ausstellung ein, wenn auch leider auf ein spezielles Feld beschränktes geistiges Konzept steht, ist in der Gestaltung keines zu finden. Kaum einer der Räume vermag in seiner ästhetischen Gestaltung zu befriedigen, am ehesten noch jene, in denen der Architekt am wenigsten eingegriffen hat. Man verläßt diese Ausstellung mit gemischten Gefühlen: mit dem der Dankbarkeit dafür, eine gründliche und saubere Dokurentation eines säkularen Ereignisses zu finden, und dem der Irritation darüber, daß wieder einmal aus Mangel an Kühnheit und größerer Vision eine Gelegenheit ungenützt blieb. Die wirkliche Ausstellung des österreichischen Barocks mit allen seinen künstlerischen Bedingtheiten, aber auch mit all seiner Fülle wäre erst zu gestalten.

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