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Die Ranzonis in Retz

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Die Stadt Retz im Weinviertel zu besuchen, gibt es so viele Gründe wie Häuser auf dem dortigen Stadtplatz. Die Schönheit jedes einzelnen Hauses allein lohnt dem interessierten Wiener die Autofahrt. Die Geschlossenheit des stil- und stimmungsvollen Platzes führt außerdem eindrucksvoll vor Augen, was Denkmalschutz bedeutet, wenn Bürgermeister und Gemeinderat in gleicher Gesinnung ihn in Anspruch nehmen. Den auch im Winter nicht abreißenden Besucherstrom verdanken die 3000 Retzer ihren Stadtvätern.

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Die Stadt Retz im Weinviertel zu besuchen, gibt es so viele Gründe wie Häuser auf dem dortigen Stadtplatz. Die Schönheit jedes einzelnen Hauses allein lohnt dem interessierten Wiener die Autofahrt. Die Geschlossenheit des stil- und stimmungsvollen Platzes führt außerdem eindrucksvoll vor Augen, was Denkmalschutz bedeutet, wenn Bürgermeister und Gemeinderat in gleicher Gesinnung ihn in Anspruch nehmen. Den auch im Winter nicht abreißenden Besucherstrom verdanken die 3000 Retzer ihren Stadtvätern.

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„Trotz der nördlichen Lage herrscht hier mildes Klima, was auch dem berühmten „Retzer“ gut tut, dem Wein, der rundum auf den Hügeln wächst. Der Ort ist uralt und die 700-Jahr-Feier der Stadterhebung nicht fern. Eine ungewöhnlich große Zahl von Sehenswürdigkeiten gibt es zu besuchen: Von der Stadtmauer stehen noch beträchtliche Teile sowie zwei ihrer Türme, durch die jahrhundertelang die Handelsstraße führte, auf der die Waren bis Rußland gelangten. Erst der eiserne Vorhang machte Retz zur Binnenstadt.

Das auch heute noch eindrucksvolle Gepräge erhielt die Stadt im 15. und 16. Jahrhundert, da, nach den Zerstörungen durch die Hussitten, mit dem wirtschaftlichen Aufschwung auch rege Bautätigkeit einsetzte. Rosa und weiß zieht das prachtvolle zinnengekrönte „Verderberhaus“ den Blick wohl zuerst auf sich. Ebenso auch das nicht weniger spektakuläre „Sgraffltohaus“, das bis unters Dach wie eine Zeitung beschriftet und bebildert ist. Am Haus daneben erinnert eine Tafel an Beethovens Sorgen mit dem Neffen Karl, in dessen Angelegenheiten er hier übernachtete. Und wieder ein anderes Haus, von dessen klassischer Front eine Totenmaske auf den Platz schaut: Liszt hat darin konzertiert.

Passiert man eine Tür und geht durch die mittelalterliche Einfahrt in den Hof, steht man vor burgenartigen Aufgängen, Treppen, Nischen und Erkern. Da denkt man, wie neu vorne die barocken und klassizistischen Scheinfassaden mit ihren blinden, bemalten Fenstern noch sind! Dann, wieder auf dem sonnenbeschienenen Platz, ist der Gedanke unheimlich, daß hier alles unterhöhlt ist, weil die Weinstadt Retz auch eine Stadt der Keller ist. Um ein Vielfaches länger als ihre Straßen über der Erde sind die Gewölbestraßen darunter, die angelegt sind wie die Pariser Metro: neben und übereinander.

Auch die beiden Gotteshäuser sind bemerkenswert, das eine wegen der mit seiner Baugeschichte verbundenen Namen: Prandtauer, Munggen-ast, Kupelwieser und Altomonte, das andere, sehr alt, wegen eines bedeutenden Steinreliefs im Tympanon über dem Portal. Am „Stiftshof“ scheint seit seiner Erbauung im 17. Jahrhundert die Zeit still zu stehen und hinter dem reizenden Uhrtürmchen vom „Schloß“ ahnt man das schlafende Dornröschen. Eine Windmühle, die von einem nahen Hügel leuchtet, ist ein Wahrzeichen. Ein anderes der riesige Stadtturm. Er ist mit einer Art Kirchentorso — äußerlich kenntlich am polygonalen Abschluß —, dem „Ehemaligen Rathaus“, zu einer höchst eigentümlichen Einheit zusammengebaut. Es ist heute unser Ziel, dieses seltsame Gebäude, wo im Obergeschoß in einem wenig attraktiven Vorraum zum um so prächtigeren barocken Ratssaal der Familie Ranzoni eine Ausstellung gewidmet ist,

Sie waren und sie sind gar keine Retzer. Sie stammen aus der Nähe, aus Unternalb, einem Weinbauernort, dessen einziges bemerkenswertes Haus das Geburtshaus der Brüder Emmerich und Gustav Ranzoni ist. Im „Göttweiger Gutshof“ wirkte der Vater als Hofrichter und Amtmann. Die Tatsache, daß Josef Ranzoni ein Freund Adalbert Stifters war, läßt auch bei ihm auf eine künstlerische Ader schließen. Berühmter als irgendein Ranzoni später geworden ist, war des Vaters Bruder Johann, Landesgerichtspräsident in St. Pölten und Abgeordneter in Frankfurt, wo . er sich ins Parlamentstagebuch eintragen konnte, und dabei folgendermaßen begann: „Willst du die Freiheit, bekämpfe die Frechheit...“

Nun, Frechheit war nicht eben das, was die aus Italien eingewanderte Familie bei sich zu bekämpfen hatte. Das Können des heute als Kupferstecher wirkenden und insbesondere durch seine Briefmarkenentwürfe bekannten Enkels Hons Ranzoni des Jüngeren ist so wenig durch frechen Zu- oder Vorgriff entstanden, wie das seines Großonkels, dessen Bilder ausgestellt sind. Nein, nicht Umstoßende, sondern Bewahrende waren sie alle, die Ranzonis, auch der Schriftsteller Emmerich, auch Hans der Ältere, der Maler war, von dessen beachtlichem Können — an Josef Dombrowsky erinnert sein sicherer Strich — einige Proben in der Ausstellung künden. Nein, sie waren keine selbstleuchtenden Gestirne, keine Funken, die weiterzünden, aber würdige Verwalter des Erbes waren sie. Das aber ist mehr, als man einst von so manchem gegenwärtigen „Genie“ wird sagen können.

Wäre Emmerich (1823 bis 1898) kein bedeutender Mann gewesen, dessen Schriften gekauft und gelesen wurden, hätte Hans Canon ihn nicht — ä la Van Dyck — gemalt. (Das Bild ist in der Ausstellung.) Nicht kürzer als die Lebensbeschreibung Wilhelm Raabes ist die Emmerichs im „Lexikon deutscher Dichter“ eine Seite nachher. Und seinen Tod meldet dort ein eigener Nachtrag. Gründlicher informiert uns Friedrich Faßbinder im Ausstellungskatalog über den Dichter. Er zeichnet uns das Bild eines Gebildeten im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, dessen Talent ein Publikum anspricht, das mit ihm übereinstimmt in der Ablehnung des die etablierte Ordnung bedrohenden Neuen. Seiner in einem der Schaukasten ausgestellten, aufgeschlagenen Schrift über „Moderne Malerei“ von 1895, entnehmen wir sein Urteil über Pettenkofen, „der, von reinlichem Geschmack, dem Häßlichen und Widerlichen aus dem Wege ging und es nicht, wie der talentvollste unter den Modernen, Max Liebermann, mit Wohlbehagen aussuchte“. Dieser Emmerich Ranzoni hatte also seit 1873, als er über „Malerei in Wien“ geschrieben, keinen Grund gefunden, seine Ansichten zu ändern, Lobend schrieb er damals über seinen Bruder, „... dessen Bilder durch die gleichmäßige liebevolle Behandlung, die er dem landschaftlichen Theile wie den Tieren widmet, große Korrektheit und feinen Sinn für Stimmung anmuthen“.

Korrektheit mit Stimmung zu vereinen ist Gustav Ranzoni auf seinen Bildern tatsächlich geglückt. Ein schwieriges Unterfangen, das seine Beschränkung auf die Motive von Landschaft und Tier geradezu voraussetzte. Berühmte Vorgänger hatten ihm den Weg gewiesen, die eigene Zeit hatte, wie nie vordem, Geschmack an dieser Kunst. So war äußerlich für Ansporn gesorgt, den der gelernte Bauingenieur offenbar brauchte, wenn er nach einem erfolgreichen Berufsleben — wie erfolgreich es war, beweist die „Ranzoni-Villa“ in Gmunden, die ihm die Mitwirkung am Laibach-Triest-Bahn-projekt einbrachte — mit 38 Jahren noch einmal in die Lehre ging — bei dem Landschaftsmaler Anton Schödl —, um sein bisheriges Hobby zu seinem neuen Beruf zu machen. Und Gustav Ranzoni ist ein bekannter Maler geworden. Seine Bilder fehlten auf keiner Weltausstellung und sie waren fast alle schon verkauft, als der 1826 Geborene im Jahre 1900 starb.

Daß ihn seine Malerkollegen scherzend „Schaf-Ranzoni“ nannten, wundert nicht vor den Bildern, auf denen es unter romantisch-melancholischen Himmeln von Schafen nur so wimmelt. Von Potter bis Huber waren alle Tiermaler seine Lehrer, in der Landschaft hat ihn Ruisdael, Waldmüller, Krafft, Daliinger, hat ihn alles beeinflußt, was ihm gefiel. Er war kein Narr auf eigene Faust, aber er hat seine eigene Note gefunden und bewahrt. Auch die Freilichtmalerei ging nicht an ihm vorüber, doch selbst etwas der Waldmüller-schen Gegenlichtmethode Gleichwertiges oder gar Überlegenes durch Malen vor der Natur entdecken zu wollen, dazu war Gustav Ranzoni nicht der Mann. Aber er nahm im Laufe der Jahre immer etwas von den neuen Errungenschaften herein in seine Malerei, und der Stilunterschied etwa der beiden fast gleichzeitig entstandenen Gemälde „Holzfuhre im Winter“ und „Schafherde im Walde“ (wovon letzteres den Katalogumschlag ziert) spricht von dem Ringen dieses zwar konservativen, aber bis zuletzt um Ausdruck bemühten Malers. Gerade an ihm, den die Kunstgeschichte zu den Obskuren zählen wird, die man nach dem Grillparzer-Wort durchgefühlt haben muß, um die Berühmtheit zu verstehen, läßt sich ermessen, was Genie bedeutet, was es leistet. Ein hoher Gewinn für den Besucher der Ausstellung.

Dieser Bericht möge durch eine Würdigung der künstlerischen Bedeutung Gustav Ranzonis abgeschlossen werden, die der bekannte Gauermann-Forscher Universitätsprofessor Rupert Feuchtmüller für den Ausstellungskatalog schrieb, ein mit umfangreicher Dokumentation vorzüglich ausgestattetes Heft, das zu erwerben niemand versäumen sollte:

„Mit Bildern wie Gustav Ranzoni sie malte, ging das Biedermeier zu Ende. Dies betrifft nicht so sehr die künstlerische Auffassung, sondern die Lebenshaltung, die auf verlorenem Posten stehend, inmitten des Neuen und Lauten, die Beschaulichkeit vertrat. Die Zeit der Schäferidyllen ist heute längst vorbei. Die Malweise ist nicht denkbar. Aber auch die Motive, die Gustav Ranzoni malte, existieren nicht mehr. Vielleicht bringt uns diese sehr nüchterne Feststellung den Wert seiner Bilder näher. Es geht schließlich nicht nur um kunsthistorische Bedeutung, sondern auch um kulturelle Werte, in denen sich das vergangene Leben spiegelt.“

(Die große Ranzoni-Ausstellung in Retz ist bis Ende Oktober geöffnet.)

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