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Dr. Frane Bulič

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Die nach Salona führende lehmige Landstraße scheint in der Ferne durch hohe, nackte Mauern versperrt. Beim Näherkommen ist es der graue Mosor, der Zementberg, aus dessen schier unerschöpflichen Steinbrüchen der Reichtum Dalmatiens, das moderne Baumittel, gewonnen wird. Im neuen Hafen auf fremde Dampfer verladen, wird es bald die Reise nach fernen Ladern antreten. — Solin — Salona — mit seinen Docks und Werften, seinen teilweise noch im Bau begriffenen, umfangreichen Fabriken, ist der große Handelshafen der sich verjüngenden Stadt Spalato. Abseits vom Lärm und Wirrwarr dieser rauchgeschwärzten Welt liegt das Bauerndorf Salona, träumen heidnische und altchrist- hche Ruinen des alten Salonae, liegt auf der Insel des Jaderflusses die Krönungskirche der altkroatischen Könige, der Sonne wiedergeschenkt. Hier war die Arbeits- und Entdeckerstätte des großen Archäologen und unermüdlichen Forschers Monsignore Dr. Frane Bulič, des allzu früh Dahingegangenen. Da sind sie, die Begräbnisstätten, Tempel, Bäder, das Theater, das große Amphitheater. Mehrere Stadttore führen in das Zentrum. Eine Römerstraße leitet durch die guterhaltene Porta Caesarea, von zwei -achteckigen Verteidigungstürmen flankiert, in die Stadt der Christen. Einst war diese römische Provinzstadt Mittelpunkt der Welt, als der Imperator Diokletian sich in diese seine Vaterstadt zurückgezogen hatte, um von hier aus den Bau seines neuen Paladiums zu beaufsichtigen. Just jene damals noch unbewohnte Stelle der Adriaküste, in deren nächster Umgebung starke Schwefelthermen aus dem Boden sprudeln, wählt der gichtlcidende Kaiser —, hier soll sein Palast stehen, hier will er gesunden.

Man klettert über steiniges Gelände, sieht unterwegs, in Weinberge versunken, antike Säulen, Basen, Kapitelle, Mauerreste — eine ganze große Stadt ruht ja noch unter Gärten, Feldern, Bauerngehöften. Mancher schöne Säulenschaft vor den Weinbauernkaten beweist, daß die guten Landleute das Altertum zu schätzen wissen. Dann steht man unweit der Villa Tusculum vor einem mächtigen frühchristlichen Sarkophag und übersetzt ergriffen die lateinische Grabschrift:

„Hier ruht Franciscus, der Sünder und unwürdige Priester. Als er fünfzig Jahre seines Lebens beschlossen, wurde Franciscus Ehrenwächter der Schwelle der heiligen Märtyrer von Salonae.“

Zwei Ziegen hütende Frauen haben sich genähert, die eine spinnt Wolle, die andere strickt bunte Opanken. Die Spinnerin meint, es wäre schön, daß endlich wieder einmal Stadtleute das Grab Don Franes besuchten.

„Er findet keine Ruhe. Gestern ist er uns wieder hier begegnet“ — erzählt sie geheimnisvoll — „und seine Arme und Hände beschrieben Bewegungen, als wollten sie eine Kirche bauen… Die ersten Jahre nach seinem Tode hat man ihn allabendlich gesehen, wie er rund um sein Grab gegangen ist und die Lippen bewegte. Anfangs war man zu Tode erschrocken, wenn er so hinter einer Mauer hervorkam. Wollte er uns für kleine Fehler, die bei den Terrainverkäufen vorgekommen waren, strafen? Er seufzte tief und rannte umher, hierhin, dorthin und notierte etwas in die Luft. Ja, er ist mit seiner Arbeit nicht fertiggeworden, der Arme, nun will er auch nach seinem Tode nach Basiliken und Inschriften suchen.“

So fabuliert das Volk um den volkstümlichen toten Forscher.

„Wollen Sie nicht in Tusculum einkehren und ausruhen?" fragt der Aufseher, der dieFremden erspäht hatte. Wir dankten. Der Tag sei jetzt kurz, wir möchten die helle Zeit ausnützen. — Dann werde er uni führen — er ist unabweisbar!

Als wir die beiden Basiliken betrachteten, wurde er zutraulicher.

„Ich war sein aufrichtiger Freund. Oft habe ich ihn verwarnt, den alten Sarkophag zu verschenken und sich eine gemütliche Begräbnisstelle in San Stefano oder im neuen Friedhof von Split auszubedingen. Aber nein, just bei seinen Märtyrern mußte es sein. Nun hat er den Lohn seines Eigensinns. — Ob ich ihn gesehen habe? Ich bin ein furchtloser Mann, und ich blieb stehen, als er mit bittend gefalteten Händen auf mich zukam und bedeutete, man möge, wie es abgemacht war, über seinem Sarkophag eine kleine Kapelle errichten. Siebzehn Jahre ist Don Frane tot, aber noch hat er uns nicht verlassen.“

Wie es mit seinen Testamentsbestimmungen sei, wollten wir erfahren. Sichtlich verlegen stottert der Mann, es sei schon richtig, der Verewigte habe ihm seinen an Tusculum angrenzenden Gartengrund unter der Bedingung vermacht, daß er seine Grabstätte pflege.

„Ist das möglich? Sehen Sie selbst, Schaf und Ziegen aus der Umgebung zieht es hieher, weil bei diesen Gräbern das beste Gras wächst. So lasse ich die Dinge gehen — Don Frane sollte dies endlich einsehen und nicht Unmögliches von mir verlangen!“ —

Grillengezirp, fernes Glockengeläute. Auf einer Bank des römischen Amphitheaters ausruhend, will ich die Lebensgeschichte des Dr. Bulič niederschreiben.

Im Dorfe Vranjic, dem einstigen Seearsenal Salonaes, 1846 geboren…

Der herbsüße Duft von Rosmarin, Salbei und Wermut, die goldrot gefärbten herbstlichen Weinberge — wie schön!

Don Frane stammt aus einer kinderreichen Bauernfamilie, und da er eifrig lernte, brachte der Vater ihn nach Almissa ins Gymnasium der geistlichen Herren. Hier erkannte Diakon Graf Josip Bezič, der damalige Direktor des Priesterseminars, später der erste Bischof von Sarajewo, die ungewöhnliche Auffassungsgabe des jungen Frane und förderte ihn in jeder Weise. Die Unterrichtssprache war damals italienisch, so lernte Frane frühzeitig die Sprache Dantes. 1869 wurde Bulič in Zara, der damaligen Hauptstadt Dalmatiens, zum Priester geweiht, ging sodann nach Wien, wo er klassische Philologie studierte. Professor Conze, der sein glühendes Interesse für die archäologischen Monumente seiner Heimat kannte, riet ihm, sich ganz der Archäologie zuzuwenden. Da Bulič wenig Mittel besaß, wurde er zunächst Professor für die lateinische und griechische Sprache. 1873 kam er als Supplent an das Gymnasium von Spalato, wurde jedoch bald als Professor nach Ragusa berufen. Als er von der Gründung des archäologisch-epigraphischen Seminars an der. Wiener Universität erfuhr, ging er — 1877 — dahin, um die Vorlesungen der Professoren Benndorf und Hirschfeld zu hören. In der Folge wurde Dr. Bulič Inspektor der historischen Denkmäler Mitteldalmatiens. 1883 zum Gymnasialdirektor und gleichzeitig zum Direktor des archäologischen Museums ernannt, dazu Konservator der historischen und künstlerischen Monumente Mitteldalmatiens — fürwahr allzu viele Bürden!

Als Fünfzigjähriger vom Lehrdienst enthoben, übernahm er die Herausgabe der wichtigen archäologischen Zeitschrift „Bulletino di archeologia e storia“, welche bald von Fachgelehrten in aller Welt geschätzt war. — Es muß gesagt sein, daß Bulič während eines halben Jahrhunderts eine der hervorragendsten Persönlichkeiten Dalmatiens war. Stets agil, die Schüler begeisternd, ein wunderbarer Redner in einem Halbdutzend Sprachen, Verbreiter klassischer Wissenschaft, Hüter und Erforscher paganischer, altchristlicher wie altkroatischer Denkmäler, hitziger Verteidiger kroatischer Rechte an der Adria, arbeitete er unermüdlich an seiner Lebensaufgabe. Wenn er auf Schwierigkeiten stieß, die der spöttischen Gleichgültigkeit seiner Umgebung gegen die Wichtigkeit der Historie entsprangen, dann zeigte der Monsignore die Unnachgiebigkeit des Bauern und ließ sich nie auf Kompromisse ein, versuchte aber geduldig, in seinen Landsleuten den Sinn für ihre große Vergangenheit zu wecken. Fortschreitende Entwicklung hat manche seiner Lehren ausgeweitet und überholt, einige sind von ihm selbst und von anderen Gelehrten als Irrtum erkannt worden, doch dies schmälert seinen Ruhm nicht, der Allererste, der Pionier und Aufklärer gewesen zu sein. Das Zusammenfassen und schwierige Durchführen einer kühnen Ideen, das Wächteramt über den Palast des Dioklet, dieses so wichtigen Denkmals in der Entwicklung antiker Kunst, gehören zu seinen größten Taten. Sein ewiger Kampf galt nie der Neuzeit, sondern dem Unverständnis der Städter, welche sich im Kaiserpalast eingenistet hatten, ihn beraubten, schändeten, zerstörten. Don Franes Kampf war um so härer, als weder in Altösterreich noch in Jugoslawien ein Schutzgesetz für diesen einzigartigen Riesenbau existierte. Deshalb setzte er 1903 die Ernennung einer Kommission zum Schutze des Palastes durch, welcher auch die Wiener Professoren A. Riegel und M. Dvorschak angehörten.

Man hat mitunter über den Eigensinn des Monsignore geklagt. So hatte er sich, in seiner Hochachtung vor alten Gebäuden, mit Elan der Demolierung des Bischofspalastes widersetzt, als dieser Bau de» 17. Jahrhunderts der Verbreiterung des Domplatzes weichen sollte. Eine andere damals belächelte Episode war sein Kampf gegen die Aufstellung der gewaltigen Bronzestatue des streitbaren Bischofs Grgur Ninski, eines . Hauptwerkes des berühmten 'dalmatinischen Bildhauers Meštrovič am Peristylium. In beiden Fällen ist Bulič schließlich grollend unterlegen.

Bulič stand mit allen bedeutenden Archäologen seiner Zeit in Verbindung, warb bei allen Kongressen für „sein“ Salonae, von seinen Wiener Kollegen darin immer wieder unterstützt.

Um die hervorragendsten Monumente aus frühchristlicher Zeit, die von Bulič ans Tageslicht gefördert wurden, zu nennen, beginne ich mit der städtischen Basilika (Kathedralkirche) aus dem 4. Jahrhundert, die von Fachgelehrten am meisten bewundert wird. Verständlicher und daher eindrucksvoller ist uns die aus dem 5. Jahrhundert stammende „Basilica urbana“, laut Mosaikinschrift von den Bischöfen Sym- pherius und Esychius errichtet, mit den merkwürdigerweise heidnischen, schönen Mosaikbildern. Daneben liegt die in Kreuzesform erbaute „Basilica extraurbana“ aus dem 6. Jahrhundert, die Bischof Honorius gestiftet hat. Bulič vollendete auch die Aufdeckung der „großen“ Basilika von Mana- stirine, in dėr die Salonitaner Märtyrer, darunter die Heiligen Venantius und Doi- mus, beigesetzt waren. Auf der Höhe von Marušinac entdeckte er die dreischiffige Basilika des heiligen Anastasius. Diese Monumentalruinen mit ihren reichskulptierten korinthischen Säulenkapitellen sind uns auch deshalb teuer, weil sie das fortschreitende Kunstempfinden und das Kulturleben jener ersten Christen verdeutlichen.

Unter den bloßgelegten und erforschten heidnischen Bauten befindet sich zuerst das stimmungsvolle große Amphitheater, in dern eben die Eulen ihre eintönige Klage anstimmen. Nahebei das Theater und der kleine (Bacchus-) Tempel, malerische Bäder, viele heidnische Sarkophage, das Viertel der Großgewerbetreibenden und die Stadttore. Bei den Grabungen fand Bulič zahlreiche Inschriften, Skulpturen und mancherlei Gebrauchsgegenstände, so daß er daraus ein glitzernd-bu ntes Mosaikbild des einstigen römischen Salonae zusammenfügen konnte. Die sorgsam gesammelten Funde stellte er in dem neuen, unter dem alten Österreich von den Wiener Architekten Ohmann und Kirstein erbauten archäologischen Museum und in dessen Arkadenhallen auf.

Die Sonne hat rotglühende Fahnen aufgehißt, das Meer will sich in einen schimmernden Sinn&seidenteppich verwandeln, die Pfeiler und Bogen der Arena färben sich rosiglebendig. Es ist Zeit, sich nach Otok zu begeben, der flachen Flußinsel im lichtgrünen Jader, der jetzt viel Wasser führt. Über die Brüche, die hinüberleitet, springen hohe Schaumwellen. Einmal kam Bulič gerade auf die Insel, als die Bauern bei der Pfarrkirche emsig beschäftigt waren, Erde zum Bau der Fundamente für einen Glockenturm auszuheben. Da schrie Bulič: „Halt!“ Er hatte in der Erdgrube altes Gemäuer erblickt. Sogleich organisierte er eine Ausgrabungsaktion. Er fand hier eine von den Tataren im 13. Jahrhundert zerstörte Gruftkirche, Reste eines Sarkophags, Bruchstücke eines Deckels. Es sollen 99 Scherben gewesen sein, aus denen Bulič mit unsäglicher Geduld eine Tafel zusammensetzte, welche die Geschichte der kroatischen Könige aufhellte. Diese Tafel, das Fragment des Sarkophagdeckels, enthält die Grabinschrift, der im Jahre 976 verschiedenen Königin Helena (Jelena), der Gemahlin weiland des Königs Kresimir und Mutter des Königs Stjepan Dršeslav. — In der Nähe fand Bulič eine Basilika mit zentraler Basis aus gleicher Zeit, die als Krönungskirche des Königs Zvonimir erkannt wurde.

An einer bedeutungsschweren politischen Zeitenwende stand dieser große, erfolgreiche Forscher. Aus der Wiener Archäologenschule hervorgegangen, gedachte er auch in seinen späteren Jahren gerne der Förderung, die seine Lebensarbeit von Österreich erfahren hatte, zuletzt durch die Schaffung des imposanten römischen Castrums, das stolze Heim seiner gewaltigen Sammlungen. In der Kulturgeschichte Jugoslawiens wird Dr. Frane Bulič auch in künftigen Zeiten weithin sichtbar sein als einer der Träger geisteswissenschaftlicher Verbundenheit kroatischen und österreichischen Forschertums.

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