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Hier stand Karthago

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„CARTHAGE, 17 KM.“ SCHNURGERADE führt die Straße zur Küste. Sie führt aus lärmender Gegenwart, aus der Avenue Habib Burgiba in Tunis zwischen Vorstadthäusern, subtropischen Gärten und Sommervillen in das schweigende Reich der Vergänglichkeit. Karthago, die „Königin der Meere“, ist nicht mehr als eine Ahnung, ein Gräberfeld unter den Füßen spielender Kinder. Der leise Hauch des Windes trägt auf seinen Flügeln den Duft von Zitrus- blüten, die Stimme des Meeres spricht zu uns, und ein paar halb in die See versunkene Steinquader umreißen das Becken des punisehen Hafens. Doch wiese nicht eine Tafel darauf hin, wir wüßten es nicht und meinten, es wären Klippen. Vergebens suchen wir die Tempel, Paläste und Bastionen der seebeherrschenden Phönizier, in Nordafrika Punier genannt. Vergebens suchen wir am „Berg des Leuchtturms“ die Gärten des Hamilkar. Wo einst bunte Blumen und saftiges Grün zur See hin- abstürzten, schlängeln sich heute die kalkweißen Gäßchen des Araberdorfes Sidi Bou Said empor, erklingt die erregende Monotonie arabischer Weisen. Vergebens suchen wir die von der phönizischen Fürstin Dido erbaute Burg Byrsa — wir finden auf dem Burghügel eine weiß- leuohtende Kathedrale, dem Andenken des französischen Königs Ludwig des Heiligen geweiht, der hier auf der Rückkehr vom dritten Kreuzzug der Pest erlag.

Bei den Arabern aber behauptet sich hartnäckig eine Legende, wonach der König zum Islam übertrat, genas und (mit seinen ihm vom Koran erlaubten vier Frauen noch viele Jahre glücklich und fromm als Sidi Bou Said, „Beherrscher des Glücks1, lebte. Sein Grab wird als Marabut, Grabmal eines islamischen Wundertäters, in der kleinen Moschee von Sidi Bou Said verehrt.

In der in französisch-maurischem Kolonialstil erbauten Kathedrale Saint-Louis, Sitz des Primas von Afrika, umschließt ein pompöser Marmorsarkophag die Gebeine des Kardinals Lavigerie, einer der markantesten Persönlichkeiten des französischen Protektorates und Gründers des Ordens der „Weißen Väter“, die sich um die Ausgrabung Karthagos große Verdienste erworben haben. Eben schmückt ein dunkel- häutiger Mann in blendendweißer Djellabah das Grabmal mit exotischen Blüten und gibt sich als Priester zu erkennen. Daß der Pater begeisterter und kundiger Archäologe ist, merken wir, als er uns durch die Sammlungen des Museums Lavigerie im Klostergebäude führt. Die nicht allzu zahlreichen punisehen Funde stammen meist aus den Gräbern des siebenten bis zweiten vorchristlichen Jahrhunderts. Die Punier glaubten an ein Fortleben der Toten im Grab, und nichts an Lebensmitteln, wohlriechenden Essenzen und Schmuck sollten die Verstorbenen vermissen. Die Grabbeigaben zeigen stärke Anklänge an ägyptische und hellenistische Kunst. Das kühne Handels- und Seefahrervolk der Phönizier war nicht schöpferisch begabt, wohl aber erstaunlich geschickt in der Glasfabrikation, Purpurfärberei und in der Erzeugung kunstvoller Einlegearbeiten. 200 Urnen mit Kinderskeletten, die bei den Ruinen des Tanittempels gefunden wurden, verraten, daß man der verschleierten, von Sphinxen bewachten Hauptgöttin der Punier Menschen opferte

BEDEUTENDER ALS DIE PUNI- SCHEN erscheinen die römischen und frühchristlichen Funde im „Saal der Kreuzritter“ und im Klostergarten. Ranken und Sträucher umwuchern die steinernen Gestalten auf den Sarkophagen — da ein lächelndes Kind und eine schöne Frau und dort einen alten müden Mann. „Karthago!“ meint sinnend der Pater und deutet auf das Panorama zu unseren Füßen. Die felsigen Gestade des Cap Bon und die letzten Ausläufer des Atlasgebirges umrahmen mit zackigen Gipfeln die zauberhafte Farbenskala des Meeres auf weißem Sandgrund. Dahinter dehnen sich Steppen und Wüsten. Gleichsam mit einem Blick ergreifen wir Besitz von Afrika. „Immer hat diese wunderbare Küste die Völker angezogen“, fährt der Pater fort. „Immer war Tunesien dem Meere und dem Abenteuer aus der Ferne verschrie- bert und aus diesem Abenteuer wurde Karthago geboren.“

Mit der Ankunft der Phönizier, die, bedrängt von den Assyrern, eine neue Heimat suchten, beginnt die Geschichte Tunesiens. Die Phönizier verschifften Sklaven, Gold und Elfenbein aus dem Sudan und kauften im Gebiet des heutigen Tunesien öl, Getreide und Erze. Von der ägyptischen Küste bis zu den „Säulen des Herkules“ gründeten sie Niederlassungen: Utica, Hadrumet

(Sousse), Tabraca, Hipozarite (Bizerta) und unter Führung der Fürstin Dido 718 Kart-Hadech, die „Neue Stadt“. Karthago übertraf mit 800.000 Einwohnern, Reichtum und Macht der übrigen Städte und erregte die Eifersucht Roms. Der dramatische Kampf der beiden Rivalen dauerte 200 Jahre und endete mit der vollständigen Zerstörung Karthagos. Was nach einem 17tägigen Brande übrigblieb, wurde niedergerissen. Die Gärten wurden mit Salz bestreut, um jede Vegetation zu vernichten. Zwei Jahrhunderte später entstand aus den Trümmern das römische Karthago als Hauptstadt der Provinz Numidien zu neuem Glanz. Davon zeugen die Antoniusthermen, welche den Umfang der Caracallathermen in Rom erreichen, Amphitheater, Theater und Zisternen. Wie zu Zeiten Roms werden darin heute noch bis zu 30.000 Kubikmeter Wasser vom Djebel Zaghouan aufgespeichert; Zwischen den geborstenen Säulen der Sommervillen schimmert das unbewegte Wasser des Golfes. Grundmauern christlicher Basiliken, wie die Basilika St. Cyprus, erinnern an frühes Christentum. Der Same des Evangeliums fiel in Nordafrika auf fruchtbaren Boden. Das erste Konzil von Karthago am Beginn des dritten Jahrhunderts vereinigte 70 Bischöfe, von hier strömte der Begriff „lateinisches Christentum“ übers Meer, und die Werke der großen afrika nischen Kirchenväter Tertullian, Cyprian, Augustinus'und Fulgentius von Ruspe zählen zu den wesentlichen Quellen der historischen Forschung, des Dogmas und der Philosophie. Immer aber neigte die afrikanische Kirche zu Extremen und war von Spaltungen bedroht. Spuren der Lehre Donats, eines Häretikers aus dem 4. Jahrhundert, finden sich noch bei den auf der Insel Djerba vereinzelt lebenden Kharadjiten, einer islamischen Sekte.

WER HEUTE DIE TROSTLOSEN Steppen Mittel- und Südtunesiens durchfährt, kann die Fruchtbarkeit der „Kornkammer Roms“ nicht einmal erahnen. Und doch wogten hier einst endlose Getreidefelder, grünten üppige Wiesen, warf das silbrige Grün der Olivenhaine schüttere Schatten auf die rote Erde, die volkreiche Städte trug: Sufetala (Sbeitla), Maktaria (Maktar), Thurbubo Majus, Gighti, Thugga (Dougga) und andere mehr. Manche dieser Städte waren schon von Puniern besiedelt worden, doch sind die Spuren verweht und nur das Punische Mausoleum in Dougga, den Totentürmen der syrischen Oase Palmyra verwandt, ragt als einsamer Zeuge punischer Herrschaft aus römischen Ruinen. Pathetische Tempel und Triumphbogen steigen aus der fahlen Dürre, korinthische Kapitelle versinken im Sand, festgefügt steht das Kapitol vor dem weißglühenden Himmel, die schlanken Säulen des Theaters wissen von heiterem Spiel und die Mosaike der Villen — heute meist im Bardö- Museum von Tunis — machen Mythos und Alltag jener fernen Zeit lebendig. Bis in den tiefsten Süden, bis zu den Märchenoasen des Djerid und bis zum gespenstischen Schott el Djerid, dem großen Salzsee, wachten römische Legionen. Im früheren „Niemandsland des Maghreb“, in Ras El Ain endete der 600 km lange „Limes Tripolitanis“, und in den römischen Schwimmbecken der Oase Gafsa tauchen Araberjungen begeistert nach Geldstücken.

Eindrucksvollstes Manifest römischer Macht ist das Amphitheater in El Djem, umgeben von den armseligen Häuserkuben des Dorfes. Nur um 10.000 Sitzplätze kleiner als das Colosseum in Rom, ist es die zweitgrößte römische Arena der Welt, im zweiten Jahrhundert von Kaiser Gordianus erbaut. Die Ställe faßten 300 Strauße und 300 Bären für die Jagdszeąen und 100 Löwen, denen die Christen zum Fräße vorgeworfen wurden. Zweimal jährlich weideten sich 70.000 Zuschauer aller Rassen an den Qualen der Märtyrer und an den für das dekadente Rom so typischen Gladiatorenkämpfen.

DAS LEBEN DES HEILIGEN AUGUSTINUS, Bischof von Hippo, neigte sich seinem Ende zu, als die Sturmflut der Barbaren über Nordafrika hereinbrach. Der alte punische Zufluchtshafen Hippo Regius, heute Böne, leistete verzweifelten Widerstand, doch wurde er einige Monate nach dem Tod seines Bischofs von den rotblonden Soldaten Geiserichs erobert und geplündert. Vorher war Karthago der Zerstörungswut der Vandalen zum Opfer gefallen und zur Residenz König Geiserichs geworden. Nach dem Zerfall des Vandalenreiches herrschte Byzanz über Tunesien und das Christentum erlebte eine neue Blütezeit. Justinianopolis, das heutige Sousse, war Bischofssitz, und in seinen Katakomben wurden 15.000 Christen beigesetzt.

Schon aber rüsteten in den brennendheißen Wüsten Arabiens die Reiter Allahs zu ihrem ersten Eroberungszug. Der Sieg wurde ihnen nicht leicht gemacht. Die Berberfürsten, bis dahin untereinander verfeindet, verbündeten sich mit den Byzantinern und benützten das afrikanische Kolosseum als Festung. Die Legende berichtet von einer berberi- schen Jeanne d’Arc, der Prinzessin Kahena, die an der Spitze eines Heeres von Berbern, Byzantinern und Juden den Riesenbau verteidigte und durch einen unterirdischen Gang in den Atlas entflohen sein soll. Endlich gelang es im Jahre 670 dem arabischen Feldherrn Okba ben Naafi bis Mitteltunesien vorzustoßen und Kairouan als erste arabische Festung zu gründen. 688 fiel Karthago, wurde ein drittes Mal, nun für immer, „ausradiert“ und diente als Steinbruch für die Bewohner des bis dahin unbedeutenden Marktflecken Tunis, welcher das Erbe Karthagos antrat. Damit war für Nordafrika die Entscheidung gefallen, es wandte sich vom christlichen Abendland ab und schloß sich dem islamischen Osten an. Gebetshallen und Arkadengänge der „Großen Moschee“ in Kairouan ruhen auf 420 antiken Säulen. Gar manches der Kapitelle trägt ein Kreuz und nichts kann eindrucksvoller den Sieg des Islams über das Christentum im Maghreb dokumentieren, als dieser Säulenwald.

IM 11. JAHRHUNDERT BRACH EINE FURCHTBARE Katastrophe über das nunmehr islamische „Ifrika“ herein, als die Fatimiden in Kairo den berüchtigten Räuberstamm der Beni Hillal zur Bestrafung unbotmäßiger Herrscher nach Tunesien sandten. Was Berber, Punier, Römer und Byzantiner geschaffen und die ersten Invasionswellen der Araber erhalten hatten, wurde rücksichtslos hinweggefegt. Ja nicht einmal vor den Mauern der heiligen Stadt Kairouan machten die Beni Hillal halt. Der landwirtschaftliche Reichtum des Landes und die Waldgebiete Mitteltunesiens waren binnen kurzer Zeit vernichtet und das tunesische Binnenland blieb bis heute unfruchtbar. Kamele tragen die bunten Zelte der Nomaden von einem kärglichen Weideplatz zum andern.

Karthago ist nicht mehr als eine Ahnung, ein Gräberfeld unter den Füßen spielender Kinder!kann jeder des Kommunismus Verdächtige sofort festgenommen werden... General Alexandros Natsi- nas, der bis 1963, als Papandreou an die Macht kam, den Allgemeinen Nachrichtendienst leitete, hat genügend Akten angelegt. Er pflegte auch hohe Politiker bei Telefongesprächen zu belauschen, um ihre Königstreue zu erforschen. Seine damals angelegten Akten sind der jetzigen Regierung sehr willkommen. Sind doch auch alle jene darin verzeichnet, die einer Einladung in die sowjetische Botschaft in Athen nicht widerstehen konnten. Journalisten, Politiker usw. machten sich sehr verdächtig, wenn sie nachher von russischem Kaviar und Krimsekt schwärmten...

Streiks als Ventil

Da es also nicht ungefährlich ist, politisch zu demonstrieren, wurden andere Wege von Regierungsgegnern begangen. Streiks aus scheinbar ökonomischen Gründen. Das Land der Hellenen erfreut sich schon seit geraumer Zeit an Streiks und Streikdrohungen, was an die Mentalität keine zu großen Forderungen stellt... Abwechselnd sind die verschiedenen Berufsgruppen aktiv, um die Regierung zu zermürben und sie zum Rücktritt zu bewegen. Kürzlich drohten 400.000 Staatsangestellte (bei acht Millionen Einwohnern) mit dem Streik, wenn gewisse, der gegenwärtigen Finanzlage des Staates nicht entsprechende Zulagen nicht erfolgten. Für Verheiratete wurden zehn Prozent des Lohnes gefordert sowie pro Kind fünf Prozent. Die Situation war sehr bedenklich, und nur durch ein spezifisch griechisches Verfahren wurde das von Streiks schon arg heimgesuchte Land vom Ausfall des öffentlichen Lebens verschont. Zuerst sagte der Finanzminister, das Budget reiche nicht aus, dann stimmte er einer Zubuße in der Höhe von 300 Drachmen (zirka 250 Schilling, ungefähr fünf bis acht Prozent des Lohns) monatlich zu. Der Streik wurde abgewehrt, aber noch ist keine Vorlage im Parlament, denn es muß beraten werden. Was Im ersten Augenblick als Sieg der Angestellten erschien, entpuppte sich als Methode der Regierung, Zeit zu gewinnen.

Die Erwartung der Durchführung hält aber die Streikwilligen ab. Manchmal wird aber auch scharf durchgegriffen. Der blutige Sonntag in Thessaloniki vor einigen Wochen, der auch in der österreichischen Presse erwähnt wurde, sei ein Beispiel. Tausende Bauern aus Nordgriechenland demonstrierten gegen die Subventionspolitik der Regierung. Daraufhin wurden Dutzende Demonstranten brutal zusammengeschlagen. Im Rundfunk und in den regierungstreuen Zeitungen hieß es prompt, die Kommunisten hätten alles arrangiert. Überhaupt ist es bemerkenswert, wie viele Propagandasendungen gegen den Kommunismus im griechischen Rundfunk gesendet werden. Denn wer gegen die Regierung ist, bei dem handelt es sich ja wahrscheinlich um einen Kommunisten. Natürlich wird auch Papandreou vorgeworfen, mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Hoffnung auf eine Zeitung

Hinter den Kulissen versucht man nun in Athen, mit den unumgänglichen Neuwahlen fertig zu werden. Um die öffentliche Meinung zu beschwichtigen, hat man sie spätestens bis zum kommenden Frühjahr versprochen. Der Vorsitzende der Partei der Fortschrittlichen, Markesinis, schlug zunächst eine „Nationale Front“ gegen die EK vor. Ein Pakt, bei dem in erster Linie die kleineren Parteien profitieren würden. Die ERE hat aber die feste Absicht, allein eine Regierung zu bilden, und tut alles, um die verlorenen Stimmen zu gewinnen. Ein Flügel dieser Partei ist aber nicht so siegessicher und schlägt eine „Zusammenarbeit mit großer Elastizität“ vor, „um“, wie das Parteijournal weiter ausführt, „damit das Vordringen der EK zur Macht zu verhindern“. Vorerst wartet die ERE die Resonanz auf ihr am 26. Juli in Athen neu gegründetes Tagblatt „Elefteros Kosmos“ (Freies Volk) ab. Mit gefälliger Schreibweise sollen durch diese Zeitung die Massen zur ERE hinübergezogen werden. Man hofft, daß das Volk durch dauernde Opposition müde wird, besonders wenn sein Ziel, die Neuwahlen, nicht erreicht wird. Durch Appelle an den Patriotismus sollen breite Schichten von umstürzlerischen Ideen abgehalten werden. Sobald dann ein Erfolg möglich scheint, sollen die Neuwahlen veranstaltet werden.

Auf der anderen Seite sind Papandreous Mannen eifrig dabei, Stadt und Land in Schwung zu halten. Besonders am 10. und 11. September werden Abgeordnete der EK und der Sohn von Papandreou, Andreas, eine groß angelegte Tournee in

Nordgriechenland durchführen. Die Zuhörer sollen überzeugt werden, daß sofortige Wahlen unumgänglich sind und daß das Volk zu regieren habe und nicht der König. Aus rechtsgerichteten Militärkreisen ist durchgesickert, eine Diktatur könnte eventuell Neuwahlen ersetzen.

Für den Touristen ist aber augen fällig, daß Mannschaften der Polizei in Athen bei einem strategisch wichtigen Punkt in dauernder Bereitschaft sind. In dem Park, der die Akademie umgibt, halten sie sich auch in der größten Hitze auf. Warum?

Schon die alten Griechen sind einander öfters in die Haare geraten.

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