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Die unbekannten Nabatäer

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„Kol Jisrael“ („Die Stimme Israels“) verbreitete in den fünfziger Jahren einen neoromantischen Schlager, der bei der auf der Suche nach der eigenen nationalen Identität und Vergangenheit befindlichen israelischen Jugend auf fruchtbaren Boden fiel. Der Song beschrieb das „Wadi Musa“ („Mosestal“), in dem nach der alttestamentarischen Legende die zwölf jüdischen Stämme auf ihrer Flucht aus Ägypten zum letztenmal gerastet haben, bevor sie weiterzogen zum Berg Nebo im moabitischen Land, wo sie den sterbenden Moses zurückließen und nach vierzigjähriger Wanderschaft das „gelobte Land“ erblickten.

Der Schlagertext genügte, um Hunderte von Jünglingen in das Mosestal aufbrechen und für ihre Geliebte einen der uralten roten Steine als Souvenir mitbringen zu lassen. Diese Ausflüge waren lebensgefährlich, denn das „Wadi Musa“ lag in Jordanien.

Diese Geschichte ist nur eine von vielen, die sich um das geheimnisvolle Tal mitten in der jordanischen Wüste ranken. Hier verbirgt sich, hinter den auch heute noch schwer zugänglichen Bergen von Schira in der biblischen Landschaft Edom, eines der großartigsten und zugleich unbekanntesten antiken Weltwunder.

Verläßt man in dem Dörfchen Ma'-an, dem Endpunkt der einzigen jordanischen Eisenbahnlinie, die den alten Karawanenwegen folgende Landstraße von Amman nach el-Akaba, so erreicht man auf einer einsamen Wüstenpiste bald das „Wadi Musa“. Selbst aus nächster Nähe verrät nichts das Mirakel, das

dem Bauwerk bis heute nichts von seiner erhabenen Schönheit nehmen.

Der Palast ist ein Grabmal. Niemand weiß, ob hier einmal ein König oder ein Priester oder ein reicher Mann begraben wurde. Keine Inschrift und keine andere Spur erinnert an den Erbauer. Im Inneren der verhältnismäßig kleinen Felsengruft haben Touristen mit ihren profanen Wandkritzeleien die allein schon durch ihr Alter heilige Stätte entweiht.

Hier beginnt ,,er-Raikim“ oder Petra, die Hauptstadt des untergegangenen Reiches der Nabataeer. Die Nabataeer gehörten, wie übrigens auch die zwölf israelischen Stämme, zu jenen Wüstenvölkern aus der heutigen arabischen Halbinsel, die im gesdhichtslosen Altertum als Nomaden nach Norden, in den „Fruchtbaren Halbmond“, zogen. Im vierten vorchristlichen Jahrhundert ließen sie sich in Edom nieder und schufen ihre Metropole in Petra.

Die Nabataeer entwickelten zunächst nicht den politischen Ehrgeiz der anderen Völker, die sich mit ihnen in den Besitz des heutigen Palästina teilten, sondern blieben Hirten, Karawanenführer und Händler, manchmal auch Räuber. Diese — nicht immer ganz unzwielichtige — Selbstbescheidung sicherte ihnen, die einen der Hauptknotenpunkte des Transithandels von der „Weihrauchstraße“ in Südarabien nach dem Eu-phrattal und dem Mittelmeer, und von Mesopotamien und Syrien über die „Seidenstraße“ nach Indien beherrschten, ihren Reichtum. Sie wußten freilich um Machtgier und Habgier ihrer ägyptischen, persi-

Die nabatäische Kultur vermischte sich nun mit assyrischen, ägyptischen, hellenistischen und römischen Kulturelementen. Die Nabataeer assimilierten sich in dem neuen Weltreich und verschwanden schließlich vom Erdboden. Ihre Hauptstadt verschwand sogar völlig aus dem Gedächtnis. Als die Araber 629 bis 632 unserer Zeitrechnung das Gebiet eroberten, verließen die Pe-traeer ihre Metropole und zerstreuten sich in alle Winde. Doch sie hatten dafür gesorgt, daß ihre raubgierigen Verwandten, die arabischen Nomaden unter der grünen Fahne des Propheten Mohammed, ihrer verlassenen Heimat nichts antun konnten. Petra hatte sich, im letzten Abschnitt seiner Geschichte, allmählich in eine Totenstadt verwandelt. Die Gräber und Paläste der Toten waren in den Felsen gehauen worden und dadurch fast unzerstörbar.

1812 entdeckte der Schweizer Orientreisende Johann Ludwig Burckhardt das Wunder von Petra für die moderne Welt. Immer wieder unterbrochene archäologische Untersuchungen brachten bis heute keinen endgültigen Aufschluß über die uralte Kultur der Nabataeer. Die Wüste und die Felsen wahren ihr Geheimnis.

Vom „Wadi Musa“ führt eine kurze Weiterfahrt nach dem im Süden gelegenen höchsten Punkt dieser Landschaft, dem Gipfelvorsprung von „Ras en-Nakib“. Von hier aus hat man einen weiten Blick in die urweltliche Landschaft, um die zwei Völker kämpfen, Juden und Araber. Uber die schwarzen Berge sieht man hinunter zum Meer und man be-

„verlorene Stadt aus Fels gemeis-selt“, zu den Kreuzfahrerburgen, den „Festungen des Christentums“, in das „Pompeji des Ostens“ und an die „tiefste Stelle auf Erden“.

Um es vorweg zu sagen: In Jordanien gibt es immer noch mehr zu sehen als in jedem vergleichbaren Land seiner Größe und seiner geographischen Nähe. Amman, das „Rabat Ammon“ der Bibel, ist selbst nachts mindestens so sicher wie der Stadtpark von Luxemburg oder die Limmatpromenade in Zürich. Und die noch wie zu Zeiten des Propheten Mohammed gepflegte Gastfreundschaft der Beduinen verbürgt einige in unserer prosaischen Epoche anderswo kaum noch anzutreffende Erlebnisse.

am besten erhaltenen und behutsam renovierten römischen Amphitheater. Sechstausend Menschen fanden in dem um die Loge des Imperators gruppierten steinernen Halbrund Platz.

Doch der kleine Staat bietet noch mehr: „Das .heilige Land' hat viele Eroberer gesehen“, sagt die offizielle Touristenwerbung, „die Kreuzfahrerzeit jedoch ist wie keine andere in romantischer Erinnerung geblieben. Obwohl die Feldzüge der christlichen Könige gegen die Moslems nur teilweise erfolgreich (!) waren, sind die eindrucksvollen Kreuzfahrerburgen von Kerak, Montreal und Akaba der Nachwelt als Denkmäler für den christlichen Glauben erhalten.“

Eines der bedeutendsten Kultur-

Wissenschaftler und Touristen hier erwartet. Nur die Beduinen, deren Herden hier die scharfkantigen Wüstenhalme abgrasen, kannten früher das Geheimnis des verborgenen Tales. Doch sie wußten zu schweigen, und schwiegen zwölfhundert Jahre lang.

Ein enges, ausgetrocknetes Flußbett, das Sand und längst versickertes Wasser in den Stein gegraben haben, ist der einzige Zugang.

Nach einem Ritt durch das Wadi, in das kein Sonnenstrahl dringen kann, verbreitert sich urplötzlich der Felsen und gibt den Blick frei auf ein mit Worten kaum zu beschreibendes Wunder — eine Palastfassade. Ein Portikus aus zerbrechlich wirkenden schlanken Säulen wird gekrönt von kleinen Tempelchen in meisterhafter Filigranarbeit. Erst, wenn man nähertritt, bemerkt man, daß diese Herrlichkeit aus dem Felsen herausgehauen wurde. Der rauhe Wüstenwind „Chamsin“ zerstörte mit seinen fernen Sandkörnern im Lauf der Jahrtausende die in den Stein geschlagenen Symbole und lädierte die Säulen, aber er konnte

sehen, medischen und griechischen Nachbarn. Einerseits stimmten sie sie milde durch Tributzahlungen, anderseits schufen sie sich in ihrer Felsenburg ,.er-Rakim“ ein unzugängliches geheimes Retiro. Es überdauerte die Jahrhunderte.

Der leicht erworbene Reichtum ließ spätere Herrscher jedoch nicht ruhen. Im zweiten vorchristlichen Jahrhundert machten die Händler plötzlich Politik. Begünstigt durch den Machtkampf zwischen syrischen Seleukiden und ägyptischen Ptole-maeern schufen sie- sich nun selbst ein — wie sich herausstellen sollte — höchst verletzliches Großreich zwischen dem Roten Meer und der Oase von Damaskus. Trajan der Große zerstörte, nach noch nicht dreihundert Jahren, diesen Macht-traum. Mit den römischen Legionen kamen römische Beamte und Kaufherren nach Petra, das zur Provinzhauptstadt von „Arabia Petraea“ herabsank. Seine Burgen und Paläste, Handelshäuser und Hütten waren von den Römern allerdings dem Erdboden gleichgemacht worden, und kein einziger Stein kündet mehr von der vergangenen Herrlichkeit.

greift plötzlich etwas von der eindringlichen Botschaft der Bibel und ihres Predigers in der Wüste. „Oh Land, Land, Land, höre des Herrn

Wort!“

*

Jordanien, das durch seine Teilhabe an den heiligen Stätten der Christenheit und des Islams früher ein bevorzugtes Ziel von Pilgern, Bildungsreisenden und Erholungsuchenden war, ist seit dem für die Araber verlorenen „Sechstagekrieg“ von 1967 aus den Angebotskatalogen der großen Reiseagenturen fast ganz verschwunden. Die Klagemauer der Juden, die Geburtskirche der Christen, der Felsendom der Moslems liegen im heute israelich verwalteten Jerusalem. Wer bei einer Reiseagentur einen Ausflug in das Wüstenparadies hinter den sieben Bergen von Amman buchen will, stößt auf Schwierigkeiten.

Das „Staatliche Jordanische Touristenzentrum“ und die Fluggesellschaft „Alia“ machten aus dieser Not eine Tugend. Beide zusammen organisieren schon seit einiger Zeit von sich aus Pauschaireisen in das „wahre Jordanien“, nach Petra, die

Wer keinen maßgefertigten Aller-weltsurlaub will, ohne mehr ausgeben zu können als für eine normale Pauschalreise, dem sei ein Urlaub in Jordanien — mit ganz unpolitischem Abstecher ins „heilige Land“ der Juden, Christen und Moslems, empfohlen.

Wer sich dazu entschließt, erlebt (angenehme) Überraschungen am laufenden Band. Sie beginnen mit der Landung in Amman. Paß- und Zollkontrolle sind hier genau so zügig wie in Europa — nur freundlicher vielleicht. Jordanische Beamte, auch Polizisten, fühlen sich nicht als „Respektpersonen“.

Aber trotzdem Vorsicht: Reiseziel ist hier März bis Mai, und September bis November. In den übrigen Monaten wird es entweder mörderisch heiß oder unerträglich kalt. Im Winter pflegt es in Amman, wenigstens hat der Fremde diesen Eindruck, mehr zu regnen als anderswo im ganzen Jahr. Stundenlange Wolkenbrüche verwandeln die Straßen in reißende Bäche.

Jordanien-Reisende beginnen am besten in Amman. Hier befindet sich, mitten im Stadtzentrum, eines der

Zeugnisse, dessen sich Jordanien erfreuen kann, ist Dscherasch, das „Pompeji des Ostens“. Der Wüstensand, der vom siebten nachchristlichen Jahrhundert an diese Provinzstadt am Rand des römischen Weltreiches zu überziehen begann, hat die Schönheit dieser Siedlung beinahe unverändert für uns bewahrt.

Was bleibt, ist eine Reise an das 396 Meter unter dem Meeresspiegel liegende Ostufer des Toten Meeres und nach el-Akaba.

Wer einmal in seinem Leben durch das Glasfenster eines lautlos dahingleitenden Bootes die Schönheiten in den Tiefen des Roten Meeres gesehen hat; wer einmal seine Füße in den warmen Wellen des Golfes von Akafoa badete; wer einmal die (glutrote Sonne in der Abenddämmerung hinter den Bergen der Sinaihalbinsel versinken sah; vor wem einmal die Lichter des gegenüberliegenden Ei-lat aufflammten — der kennt ein Stück des Paradieses. Es liegt in Jordanien.

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