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Fahrt durch das Narentatal

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Duft von Erde, von moderndem Laub weht über die seeartige, tiefe Adriabucht. Mit Geschrei gaukeln Möwen unter dem lichtgrau nebeligen Himmel um den Dampfer, umklammern dessen Takelwerk, jagen im nächsten Augenblick fort. Der neuerstehende Schiffshafen Ploče wäre kaum sichtbar, würden qualmende Dampfer, Segler und vielerlei Barken den Blick nicht zu ihm hinlenken. Es ist unterhaltend, zu beobachten, wie der unmerklich hier ein- miindende Flußarm der Narenta sich hebt und senkt, als wolle er den Takt zu einem beschleunigten Wechsel von Ebbe und Flut angeben. Taumelnde Wasservögel kreischen angstvoll, als fürchteten sie, von der Bora in den Tod gepeitscht zu werden. Aus der Bucht aber brodeln und schäumen die Wogen, als ob der Fluß zurückströmen wollte. Das stöhnende Surren der Windstöße, das Glucksen der breiten Wogen ergibt zusammen eine eindrucksvolle Fuge.

Weit und breit dehnt sich fruchtbares Land, hellen Wiesen und Kleefeldern folgen Mais und spätreifende Durrha, dann abgeerntete Baumwollstauden. Süßwassergräben durchschneiden die Ebene, Staubecken, spiegelnde Fischteiche und Verbindungskanäle zerteilen das Gelände der sdiwarzen, fetten Erde. Gemüsekulturen, Obstbaumpflanzungen, Weingärten beleben das Bild, in dem immer wieder schilfbestandene Bassins aufglitzern. Wildenten und Schwärme von Wildgänsen ziehen von Teich zu Teich, Uferdörfer gleiten vorüber, düsterblickende Bauern starren unbeweglich über das Wasser bin. Maßvoll geht unsere Fahrt stromaufwärts bis zur Bahnstation Metkovič, dem ehemaligen Umschlagshafen bosnischen Bauholzes. Am fernen Horizont zeichnet sich eine unruhig dunkle Wellenlinie ab; ts sind die Gebirge der „Humska“, des „Berglandes der Herzoge". — Im Mündungsgebiet war die Narenta oder „Neretva“, wie sie in der Landessprache heißt, trübbraun, in Arme zerfasert, doch nun strahlt sie, zu einer ein zigen Einheit gefaßt, freundlichklar den hochgelegenen Ort mit seiner Franziskanerkirche, den wiederhergestellten Brüchen und großen Gebäuden der Tabakregie wider, dessen gutbeschickter Markt mit Seinen Truthahnarmeen, seinem Reichtum an Aalen und Karpfen einen stattlichen Eindruck erweckt.

Wenn nur die stetige Gefahr des ganzen Unterlandes, die Malaria, nicht wäre! Im letzten Sommer versuchte man von Flugzeugen aus die Teichufer sowie die unbebauten Niederungen mit giftigen Dampfwolken zu überziehen, um die Brutstätten der Anopheles daviger auszuräuchern. Es dürfte auch geglückt sein, da das Fieber im letzten Herbst seltener auftrat. Die oft redit bleichen Anrainer der unteren Narenta wollen diese Gegend trotz der großen Krankheitsgefahr nicht verlassen, sie wissen, welchen Reichtum die feuchtwarme schwarze Erde birgt. Immerhin verläßt man das fruchtbare „dalmatinische Holland“ ohne Bedauern, um flußaufwärts den kühn in die Wolken stechenden herzegowinischen Bergen zuzuwandern.

Verfallen die harmlosen venezianischen Festungsmauern Gabelas. Die erste Stufe der Humska wäre erstiegen, das Tal beginnt sich zu verengen, alte Türkenkastelle, Wachttürme ragen von den Bergen. Nachdem die Narenta den Trebežatflufi aufge- nommen, zeigt sich die Straßenbrücke des betriebsamen Städtchens Čapljina. In einem Seitentale befinden sich die großartigen Katarakte von Ljubuüki. Die kleine türkische Bergstadt selbst ist Mittelpunkt herzegowini- scher Tabakverarbeitung.

Auf der Suche nach brauchbarem Flußsand für Wiederherstellungsbauten in Met- koviö kommen wir in ein reih pravoslawi- sehes Dorf, das sich an eine grünumhegte Bogumilengräberstätte lehnt. Von allen Grabmalern dieser Sekte finden sich hier wohl die figurenreichsten. Aber selbst die einfachsten, nur mit dem Halbmond gezier ten, konisch ausladenden Steinmale sind von wuchtiger, edler Form.

Von weihevollen Zypressen alleen eingefaßt, liegt die Stätte des einstigen römischen „Castrum Mogorilo", ein einprägsames Bild eines sinnvoll befestigten Lagers. An eine Säule gelehnt, beobachteten die beiden scharfäugigen Wächter die Fremden. Einer begann zu fragen, wo wir zu Hause wären. Wie er das Wort „Bec“ (Wien) vernimmt, leuchteten die Augen beider in den verwitterten Raubvogelgesichtern auf. Wie es dem guten Kaiser Franz Joseph ergehe, ob er noch vom Söller seines Konaks ausschaue, daß keine Ungerechtigkeit in seinem Reiche vorfalle, kein Untertan Hunger leide? Einer meint bedächtig:

„Man sagt, die Wiener hätten den alten Kaiser in einem unterirdischen Eleiligtum versteckt, damit er die bösen Weltereignisse nur träumend ahne.“

„Möge er dort verbleiben, bis er ausgeruht erwache, wenn die gute Zeit anhebt! — Ob er dann seine Humska wiederbesuchen und über seine schöne neue Brücke in Mostar einziehen wird, der gute Kaiser?“

„Er wird uns zuwinken, wie damals, und uns sein ,braves, treues Volk' nennen. Wir werden ihn auf Händen tragen, er verdient es!“

Beiderseits des Flusses stürzen zackige Sperrmauern, abwehrdrohend, auf steilen Höhen errichtete Festungstürme ins klammartige Narentatal. Wenngleich diese Forts heute wie eine hübsche Spielerei wirken, müssen sie Zur Zeit des Königs Tvftko sehr mächtig gewesen sein. Sie sind eine verkleinerte Wiederholung der berühmten Bosporusfestungen Rūmeli Hissar und Ana- tol Hissar, welche zur Zeit Mehmets II.,

des Eroberers, an jener Stelle die Meerenge absperrten. Es lag oben einst wohl auch die Miniatur eines Schlosses des großen Eroberers, doch sind von diesem Schlosse des Königs Tvrtko nur römische Unterbauten erhalten.

Wasserfälle stürzen glitzernd aus Bergspalten, wildreißend wirbelt die Narenta vorüber. Brausende Akkorde formt das tosende Wasser, in welche abgerissene Klänge der Ballade vom unglücklichen König Tvrtko einfließen. Ein Rhapsode, die Gusla fiedelnd, steht am jenseitigen Ufer und tremoliert wehmutsvoll:

„Seht ihr droben die verfallene Moschee?

Aus der Drachenhöhle springt buntglitzernd Kalt und flink die Bunaquelle ins Tal hinab. Vergeblich sucht der Blick Burg Stjepangrad — Verrat hat sie zerstöret, ausgelöscht,

Als jener treulos falsche Fürst der Humska Den Türken König, Land und Volk verraten!“ Eine schöne römische Brücke mit 13 Bogenöffnungen führt .über die hier einmündende Buna, die „Baracusa" der Römer. Im Orte Buna steht noch ein Türkenkonak in einem verwilderten Paradiesgarten von Chrysanthemen, Mimosen, Oleandern und efeuumwachsenen Eichen.

Wir besuchten zur Zwielichtstunde die einstige Residenz — da war sie wie aus goldenem Dämmer gebaut, und die Buna strömte silbern aus klammer Tropfsteingrotte, um wie ein Licht im schon nächtlichen Narenutale zu verschwinden. Bald standen Abendstern und Mondsichel, Zeichen des Orients, am Himmel, und wir suchten unser Nachtquartier auf.

In Mostar biegt man, vom Bahnhof kommend, gleich in die Hauptstraße ein. Gaststätten, Schaufenster, Apotheke, Delikatessenladen, Reklameplakate — alles heimatlich ausgestellt und irgendwie bekannt. Keine Stadt Jugoslawiens ist so österreichisch geblieben wie Mostar. Wie oft vernehmen wir ein freundliches „Guten Abend!“ — Weitergehen, nicht nachdenken, was einmal war! —- Da ist die neue Brücke, auch die „Österreicherbrücke“ genannt, unter der das zischende, flimmernde Kräuselwasser des Landesstroms ungestüm vorüberwirbelt. Dichtbesetzt die Terrassen des Neretva- hotels. Nach einer Weile gabelt sich die lange Geschäftsstraße, durch welche hochbeladen Obstkarren poltern und Autos jagen, doch führen beide Wege zum Hauptmarkt. Eine unruhig abschüssige, kleine

Gasse, in der großes Gedränge herrscht, gleit zum Flusse hinab, zur alten Brüche — „stari most" —, die der Stadt den Namen gab.

Welch eigenartiges Bild! Eine schmale, lichte Bogensehne ist hoch über die Narenta gespannt, als ob sie eine Halbkugel umfassen müßte! Wie Wasserfälle springen zwei wirbelnde Mühlbäche in den Mutterstrom, von dessen Wogen sie auf jauchzend aufgenommen werden. Aus seltsam erbauten Mühlen, die ehedem türkische Gefängnisse waren, schäumen die neuen Zuflüsse hervor, dazwischen den Blick in ein Bergtal freigebend, das von einem andern Gewässer kraftvoll durchströmt wird. Überall brodelt und tanzt hier lebendig glasgrünes Wasser, als ob es von ewigen Winden gepeitscht würde.

Sultan Suleiman der Prächtige hat die Brücke erbauen lassen, deren Unterbauten vielleicht noch aus römischen Tagen stammen. — Es zieht uns nach dem Türkenviertel, um nach langer Zeit wieder geruhsam türkisch zu plaudern und richtig bereiteten „Kahveh“ zu genießen.

Bald kamen alle ehrenwerten Efendilär des „Mahalles“, um Leute zu sehen, die in Anatolien und Istanbul heimisch waren. Der Wirt brachte Lachsforellcn, der „Sche- kerdschl“ (Zuckerbäcker) stiftete Helva und

Rahatloktim, ein „Zyafžt" (Fest) -war im Gange. Fast alle älteren Leute sprachen deutsch, schwärmten von Österreich — vom Prater! — Wir lobten die Reinlichkeit und Ordnung der Türkenstadt und bedauerten, daß es auf dieser Seite des Flusses kein Hotel gäbe. Bekümmertes Nicken.

„Zu einem Hotelbetrieb gehören auch weibliche Kräfte, doch unsere Frauen können sich in die veränderte Welt nicht schicken!“

Als wir wieder auf der alten Brücke standen, verklärten die letzten Strahlen der untergehenden Sonne mit einer Purpurglorie Stadt und Land. Unbeschreiblich friedlich versank die Türkenstadt in sanft- ruhiges Dämmerlicht.

Da, wo das Tal sich friedlich weitet und den Blick auf das in allen Farbentönen des Schnees glitzernde Prenjgebirge freigibt, liegt beiderseits der Narenta das betriebsame Städtchen Konjic. Ein uns befreundeter Groß- und Kleinhändler erwartet uns hier mit dem Wortschwall:

„Sicher seid Ihr gekommen, einen Waggon Äpfel zu kaufen! Oder Nüsse? Oder Bauholz? Zwetschken? Nägel? Sogleich sollt Ihr von eurem Albanesen bedient sein, meine Freunde, ich werde alles selber schön verladen!“

„Diesmal keine Geschäfte, guter Dicca ..."

„Ihr sollt das schönste Zimmer der Stadt haben! Ich lasse sofort Lachsforellen und Šarma bereiten!“

Wir standen vor der schöngeschwungenen Steinbrücke, der Verbindung der Türken- mit der Christenstadt. Wohnhäuser, mit Holzgitterfenstern und allerlei vorspringendem Holzwerk versehen, die Tscharschi, eine hübsche Moschee jenseits, die stillose Neustadt dieseits, erscheinen in der Narenta auf den Kopf gestellt und leicht verschwommen, verschoben wie in einem Vexierspiegel. Die Farben des Wasserbildes wirken reizvoll; dem Erdbeerrot der Dächer, dem Cremeton der Stuckfassaden, dem rötlichen Braun der Holzzier ist ein Hauch letzter Himmelsbläue beigemischt. Wohlgeordnet zeigt sich der Bazar, in welchem jedes Gewerbe nach altorientalischer Sitte seinen be stimmten Platz hat. Unausdenkbar, daß die Buden der Drogisten neben denen der Holzwarenschnitzer oder diese ihre Läden neben den Werkstätten der Kupferschmiede aufschlügen! So etwas geschieht bei primitiven Ungläubigen, ist jedoch unter Moslims streng verpönt!

An lieblich gelagerten Marktflecken und Dörfern orientalischen Aussehens steigt die Uferstraße aufwärts. Eselreiter, den roten Fes auf dem Haupte, traben ihres Weges, maskenhaft vermummte Frauengruppen lagern unbeweglich, wie feine, bunte Keramik aus Kütahiya, auf Wiesen, ihre monoton melancholischen Weisen so leise summend, daß es wie Grillengezirpe anzuhören ist. — Stechende Sonne der Herzegowina flammt brennheiß übers Wasser, in dessen blauen Fluten goldene Lichter spiegeln, sie entzündet im weißen Uferkies blendendes Geiunkel. Waldbäehe stürzen in jähem Fall in die Narenta, nun treten die Berge zurück, es folgt das Bereich der großen Obstpflanzungen, später das Gebiet der blumenreichen Gebirgsweiden. Jetzt stehen wir vor einem grünen Talkessel, in den von verschiedenen Punkten schneegleicher Berge zahlreiche Quellen abstürzen, um sich zu einem kleinen Bergflusse zu vereinen. Aus unzugänglichen Grotten des Maglidmassivs brechen ungeduldig eiskalte Quelladern hervor, sich mühsam ihren Weg durch hochgetürmte, massige Steinwälle bahnend. In schönster Belichtung ragt der Hochmaglič steil empor und entsendet seine Wasserfälle durch die freie, großartige Natur der Humska bis zur Adria. Wunderreicher Anbeginn, strahlende Geburt der klaren Narenta, deren wechselnder Lauf, ihr Sturz ins Tiefland und ihr trügendes Erlöschen im zitternden Meeresdunst noch einmal vor unserer Erinnerung auf steigt:

Rauchgekräusel? Fantasmagorie? — Alles ist sinnvoll ineinander verwoben, ist Wahrheit und Wahn, Rauschen des Flusses, wellig geformte Berggipfel, wogende meergrüne Wiegen, Wälder, Farbe und Licht. Geburt und Tod, Gegenwärtiges und Vergangenes, alles rauscht und strömt weiter, weiter — ins Meer der Unendlichkeit.

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