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DALMATINISCHER BILDERBOGEN

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Wenn wir von Zadar (Zara) kommen, erleben wir Split als die dritte Stadt an der Adriaküste, wie den dritten Akt einer bunten Komödie. In einem Palast, der einst Wohnsitz eines Menschen war, leben heutzutage ihrer achttausend. Der Bau ist von Leuten überfüllt und mit ihrem Hausrat angestopft wie eine Schüssel Sauerteig. Der Teig ist aufgegangen und über den Rand der Schüssel hinweg in alle vier Himmelsrichtungen gequollen. Da es sich aber in diesem Fall um keinen Sauerteig, sondern um Split handelt, kann das, was sich über den Rand hinaus ergossen hat, selbstverständlich nichts anderes als Veli Varos, Dobri, Manus und Lucac sein, so heißen nämlich die vier ansehnlichen Spliter Vorstädte.

Die ganze Angelegenheit ist tatsächlich keineswegs so einfach, ja man kann ruhig behaupten, daß sie ein gewisses Höchstmaß an Seltsamkeit erreicht hat. Nirgends vermag der Mensch das zu sehen, was ihm Split bietet. In dieser Hafenstadt erlebt er nämlich alle Zeitalter in einem: Altertum, Mittelalter und Neuzeit. Die Bevölkerung und das Wirrwarr ihrer zahlreichen kleinen Häuser gehören der Gegenwart an. Die prächtigen Bauwerke hingegen, wie die Gebäude in der alten Gerichtsgasse, in der Glockengasse und in der Gasse des heiligen Philipp, stammen aus dem Mittelalter, während die Domkirche und die anderen Überreste des Diokletianischen Palastes steinerne Zeugen einer Kunst sind, die hier im Altertum blühte. Unser Zeitalter hat sowohl das Stadtbild als auch die Bevölkerung höchst ungünstig beeinflußt. Im Vergleich zu den Bauten früherer Jahrhunderte erscheinen die in unseren Jahren entstandenen Häuschen, insbesondere die Baulichkeiten an der Küste, beim Palast Diokletians und unter dem Krypto- portikus, allzu unbedeutend und ärmlich. Sie sind der Ausdruck einer Zeit, die im schärfsten Gegensatz zur Vergangenheit steht, da Baumaterial noch unbeschränkt zur Verfügung stand und Kunstwerke geschätzt wurden.

Und auch dem Wesen der Spliter sind Züge aller drei Zeitalter eigen: Die Hartköpfigkeit und das unpraktische Gehaben der Menschen des Altertums, die Überheblichkeit, wie sie die Städter im Mittelalter zur Schau trugen, und die Oberflächlichkeit, die für die Neuzeit kennzeichnend ist.

Die Verbindung dieser Eigenschaften scheint ebenso unmöglich zu sein wie der Anbau der aus dem Mittelalter stammenden bischöflichen Kurie an das erhabene Mausoleum Diokletians. Um die Geschmacklosigkeit zu vollenden, hat ein neuzeitlicher Geschäftsmann auf dem alten Bischofssitz seine Verkaufsstätte errichtet, und in den Auslagen prangen Secessionsmöbel.

Mit einem Blick erschauen wir somit alle Zeitalter, und so verbringen wir denn unserer Art gemäß die Tage. In den Straßen von Split brodelt und wogt das Leben. Auf Schritt und Tritt macht sich das überschäumende Temperament der Bevölkerung Luft. Lachen schrillt auf und Weinen tönt dawider, Fluchen, Rufen und Singen erfüllen die ganze Atmosphäre. Dieser Lärm steigert sich noch durch das Geläute von zweihundert Glocken, durch die schrillen Pfiffe von Dampfern und Fabriken, durch Eselsgeschrei und durch die vielfältigen Geräusche des Hafens. Bretter werden geschlichtet, Schottermassen umgeschaufelt und Ballen verladen, das gibt einen Lärm, daß einem schier Hören und Sehen vergeht.

DER PALAST DIOKLETIANS

AU die Gebäude, die im Lauf der Jahrhunderte im Innern des römischen Imperatorenpalastes errichtet worden sind, waren bis heute nicht imstande, den erhabenen Glanz dieses edlen Bauwerkes zu verlöschen. Wenn du die Rotunde durchschreitest, in der sich Häuser mit zwei und drei Stockwerken aneinanderdrängen, oder wenn du durch den Bogengang gehst, wo Händler in Bretterbuden allerlei Waren feilbieten, oder wenn du an der Sphinx vorbeikommst, wo Kinder ihre Kletterkünste üben, oder am Tempel, wo auf den Stufen ein Büßermönch in einer Weihrauchpfanne Feuer entfacht, oder wenn du die Säulen mit den korinthischen Kapitalen betrachtest, die Gaslaternen tragen, so vermag all das Neue, das du dort unter den Kuppeln, Bogen und Gewölben und zwischen den Säulen findest, nicht den Eindruck zu verwischen, daß du im Prunkgang oder in den Gemächern des römischen Kaisers weilst. Vergebens erklettern Kinder die Sphinx mit schrillem Geschrei, vergebens haben sich die korinthischen Säulen in Gaskandelaber verwandelt, vergebens kommt ein katholischer Priester die Stufen des Tempels herabgeschritten, denn alles, was aus der Gegenwart stammt, schwindet angesichts des Mysteriums der Vergangenheit dahin. Dort ist alles düster und verbraucht und unermeßlich alt... Seltsam ist es, daß du gerade in diesem uralten Mauerwerk, in dieser von Moder geschwängerten Luft meist nur alten Leuten begegnest, und im Fenster siehst du nur den Kopf einer alten Frau. Um die Haare hat sie ein Tuch gewunden. Ihr Antlitz ist dunkelgelb, als zähle sie schon zweihundert Jahre, und außerdem trägt sie einen Bart. Ist sie tatsächlich bärtig oder scheint sie es nur zu sein? Wirkt sie nur in dieser eigenartigen Atmosphäre so altersgrau und zeitentrückt? Letzten Endes ist es auch völlig gleichgültig. Wer könnte auch die Frage beantworten, ob all die betagten Frauen, denen du im Palast begegnest, tatsächlich so alt sind? Vielleicht seid ihr junge Mädchen. Vielleicht, ja sicherlich tragt ihr auch unbewußt einen Stoppelbart und seid dabei überzeugt, daß ihr glatte Wangen habt, denn der Blick der Menschen ist leicht beeinflußbar und haftet nur an der Oberfläche. Deshalb trifft er im feuchten Moderdunst des Diokletian-Palastes, inmitten von Altertum und Verfall, bärtige Frauen, während er draußen auf dem Platz oder im hellen Sonnenschein, der den neuen Uferweg überflutet, vergebens derlei Gestalten suchen würde .,.

AUF DEM MARJAN

. ‘iip "Jgöjniner und im Winter sdhmttokt’lMfegt Grüti , Felaenhange des Marjans, die vor nicht-. allzülänger Zeit noch grau und ausgebrannt ‘in den grellen’ Tag starrten. Zwischen jungen Kiefern führt, da und dort von Wegen überquert, eine breite Straße zur Anhöhe empor. Treppen verbinden die Anlagen miteinander, an schönen Aussichtspunkten laden Bänke zur Rast ein. Palmen entfalten ihre Fächer, Aloen und Rosen wurden angepflanzt und eine Unzahl bodenständiger Bergblumen erblühen an allen Orten in bunter Vielfalt, wie Schlingkraut, Salbei, Mohn, Ringelblumen und Veilchen, um nur einige zu nennen. Reicher Blütenduft erfreut das Herz, und der weite Ausblick nach allen Himmelsrichtungen gleicht einer zauberhaften Vision, wie sje eine empfindsame Seele haben mag, deren Sehnen und Verlangen ein Bild von unirdischer Schönheit gestalten. Tief unten greifen Land und Meer in mannigfacher Weise ineinander. Dort reicht das Festland mit einer schmalen Landzunge weit ins Meer hinein, wie ein Dolch, der sich tief hineinbohrt in die blaue Flut, dann weichen wieder die Berge zurück und die Brandung umspült ragende Klippen, Überreste eines Höhenzuges, den sie im Lauf der Jahrtausende zerschlagen hat. Im Süden schimmern die Inseln Brac und Hvar, im Westen gewahrt man ganz in der Ferne, in graue Wolken gehüllt, das Biokovogebirge. Von dort zieht eine Bergkette nach Norden, bis zum weißen Hochland des Mosors und bis zum düsteren Kozjak, dessen schroffe Spitzen sich klar und scharf in den blauen Tiefen der Kastellbucht spiegeln. Sieben Kastelle halten dort auf den Ausläufern des Gebirges Wacht und säumen das Meer. Der Sonnenglanz, der die Trümmer des alten Salonas aufleuchten läßt, wird zum Widerschein der Größe und Pracht dieser einst so stolzen Stadt.

Von Solin bis zum Marjan nimmt die Küstenlinie geradezu ausschweifende Formen an, tiefe Einschnitte wechseln mit Landzungen und sanften Buchten. Dort mitten im Meer steht Vranjic, eine Schar kleiner weißer Häuser, dicht aneinander gedrängt wie die Beeren einer Traube. Weingärten begrünen die Halbinsel, die Hügelwogen und das ausgedehnte Feld von Split. Daran schließt sich die Stadt mit ihren Glockentürmen, mit ihrem Dächergewirr und ragenden Schornsteinen, dann Dampfschiffe, Frachter, Segler und das weite, blaue Meer!

Wenn du vom Marjan auf die Stadt herabblickst, glaubst du ihre Baupläne zu erschauen und Einblick zu nehmen in alles, was sich bewegt. Du siehst die neuen Molen und häßlichen Dampfer, die dort angelegt haben, um ihre Ladung zu löschen. Du kannst das Getriebe, das im Hafen herrscht, beobachten und du denkst an das Gedränge in den engen Gassen und an die Taglöhner, die einst ihre eigene Scholle besaßen und nun Hafenarbeiter und Proletarier geworden sind. Die zahlreichen Studenten kommen dir in den Sinn, die diese Stadt bevölkern, und die Scharen geschmackvoll gekleideter Mädchen, die nach dem Schulschluß zu Mittag über die Pojišan heimwärts schlendern. Allerlei Gedanken gehen dir durch den Kopf, und du denkst an die Zeit, da all diese jungen Leute in der Stadt einem Beruf nachgehen werden, um ihr tägliches Brot zu verdienen und ein Heim zu gründen. Dann scheint es dir, daß die neuen Häuser, die da und dort vereinzelt aus der grünen Ebene von Split ragen, die Kreuzungspunkte der Straßenzüge bezeichnen, die einmal diese Großstadt an der Adria durchqueren werden.

Am dem Kroatische VOK Alfred Buttlar Mosctm

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