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Burg Lockenhaus

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Um die Burg zu nehmen, bedarf es eines dreimaligen Anlaufs, denn ansteigend, auf drei Flächen, jede ein wenig höher als die zuletzt durchwanderte, ist sie hingelagert. — Man ist von der großen burgenländischen Nord-Siid-Linie abgezweigt, ist der Straße gefolgt, die aus dem Landesinnern längs der Güns hinaus zum ungarischen Köszeg führt, hat den kurzen, ein wenig verwunschenen Waldweg eingeschlagen, der von Norden her Zutritt zu dem Burgberg gewährt, dessen drei andere Seiten jäh zur Tiefe abstürzen — man hat den steileren Zwinger durchquert, die untere Burg betreten und man hat in einer der einstigen Hajduckenstuben den Kastellan aufgestöbert, der nun die Führung übernimmt.

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Um die Burg zu nehmen, bedarf es eines dreimaligen Anlaufs, denn ansteigend, auf drei Flächen, jede ein wenig höher als die zuletzt durchwanderte, ist sie hingelagert. — Man ist von der großen burgenländischen Nord-Siid-Linie abgezweigt, ist der Straße gefolgt, die aus dem Landesinnern längs der Güns hinaus zum ungarischen Köszeg führt, hat den kurzen, ein wenig verwunschenen Waldweg eingeschlagen, der von Norden her Zutritt zu dem Burgberg gewährt, dessen drei andere Seiten jäh zur Tiefe abstürzen — man hat den steileren Zwinger durchquert, die untere Burg betreten und man hat in einer der einstigen Hajduckenstuben den Kastellan aufgestöbert, der nun die Führung übernimmt.

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Herr Wilhelm Ettl ist ein Begeisterter, einer, der von den Seltsamkeiten und von den ungelösten Rätseln dieses Orts nicht wendiger verhext ist als die Parapsychoilogen, Anthropo- eophen und sonstigen Magier, die sich in Abständen hier einzuflnden pflegen, nicht weniger verhext als der neugierige Besucher nach dem Anihören der ersten Schilderungen und nach wenigen Schritten aufwärts, ins Innere des Bauwerks.

Herr Etitll bat im Sommer des Vorjahres mit eigener Hand wuchern des Unkraut und freches Gebüsch gerodet, das bereits die Höfe ungangbar gemacht hatte und alle Durchgänge au versperren drohte. Mit Stolz weist er dm unteren Burghof auf die neu gedeckten Teile des Dachs und auif die schönen, hohen Renaissa/ncekamine, die von der neuen Herrschaft unlängst instand gesetzt und gerettet wurden. Den früheren Besitzern, dem bürokratischen Verwaltungszentrum der Esterhazy-Güter, kann er es nämlich bis zur Stunde nicht verzeihen, daß sie die Burg, diesen alljährlichen roten Passivposten in ihrer Bilanz, seit langem dem Verfall preisgeben wollten. Wie sollte man Heim Ettl, dem Heimat- und Burgenfanatiker, auch klarmachen, daß Industrie- und Agrarkonzeme von einer gewissen Größenordnung 'aufwärts ihre Eigen- gesefczlichkeit entwickeln, über die sich auch der Eigentümer selbst — mag es der Staat sein oder ein Privater — nicht ohne weiteres hiinweg- setzen bann.

Einmal zwa, zwischen 1902 und 1906, leistete sich ein Esterhazy den privateti Luxus, die Steinmetearbei- ten, Fenster, Türstöcke und Gewölberippen stilgerecht restaurieren zu lassen, dürfte sich aber sehr bald entschlossen haben, die Gelder seiner Handkasse für andere 'als redn ästhetische Zwecke zu verwenden. Ersit nach einem weiteren halben Jahrhundert des Verfall das dann folgte, fand sich ein Diebhaber, einer eben, der sich in die Burg und ihre Geheimnisse verliebt hatte und der bereit war, seine Habe für die Erhaltung und Wiedererrichtung des preisgegebenen Bauwerks zu opfern. Der Esterhazy-Konzern war offenbar heilsfroh, das Verlustobjekt Herrn Paul Aniton Keller um einen Anerkennungspreis verkaufen zu können. Seither beginntt das alte Gemäuer wieder ziu leben. Wilhelm Ettl fand einen Lebensinhalt. Neben der Tür seiner Amtsstube lehnt, barock und schwungvoll gemeißelt, das große Wappen der Esterhäzy, daneben ein gotisch behauener Stein, der vor Zeiten in den Zwinger hin- abgekoiilert war, den aber Bttl mit Flaschenzügen wieder empoiigeholt und den er sorgsam gereinigt hat. Es ist der Opferstock der alten Burg- kapelle. Weiter oben, dm mittleren Burghof und angesichts der Öffnung eines unterirdischen Verlieses, beginnt die Führung.

Das Verlies wirft keine Fragen auf und birgt kein Geheimnis, es enthüllt sich offen alls eine Stätte des Schreckens. 1557, als die Burg großzügig erneuert und erweitert wurde, arbeiteten hier türkische Kriegsgefangene. Eines Tages fingen dann die Gerüste Feuer, stürzten um und fielen über der Grube zusammen,

16 Türken erstickten und verkohlten in dem gähnenden Loch, das seither unberührt blieb, über das aber der Besucher sich nun, nach so vielen Jahrhunderten, noch immer nicht gerne und nicht lange beugt.

Freundlichere Gedanken weckt daneben die umfangreiche Rauchkiuchl der Burg mit ihrem gewaltigen Kamin und miit dem mittelalterlichen Eisengestänge, das erhalten blieb. Dann aber führt ein Weg von nur wenigen Schritten zum innersten Geheimnis des Berges. Unterirdisch, aus weißen, herrlich gefügten Quadern gewölbt, ein Apsiden raum, der sein Licht aius einer kr eisrunden Öffnung in der Decke empfängt. Annähernd nord-südlich orientiert, steht er in keiner Beziehung Ziu irgendeinem der Bauwerke ringsum und über ihm. Wann entstand er, welchem Zweck diente er? Und wer war Herr dieses Orts vor der Zeit, aius der die frühesten Nachrichten über die Burg Lėka- Lockenhaws stammen, vor dem

13. Jahrhundert? Waren es, wie die Legende meint, Tempelritter und war der Apsidenraum eine Stätte Ihres sagenhaften Kults? Oder reicht seine Geschichte, sein Entstehen tiefer hinab in den Abgrund der Zeiten? Bauten Legionäre ein Mithräum unter einem römischen Wachttiurm, hier, an den Grenzen Pannoniens? Verehrte man hier, früher noch, eine verschollene Muttergottheit, ein chthonisch verborgenes Wesen, in dessen Kulthöhle das befruchtende Licht des Sonnengottes von oben her geleitet wurde? Hinter den schön gefügten Quadern dieses unterirdischen Gralsdams — es gibt Räume gleicher Form in den Kreuziritter- burgen Syriens! — fand sich Fisch- grätemmiauerwerk frühester Art. Eingeritzte Kreuzeszeichen könnten späterer Herkunft sein. Immer noch hütet das weiße Mauerwerk sein Geheimnis, grünlicher Allgenwuchs überzieht die unteren Quaderreihen, Regenwasser steht knöcheltief über den edlen Steinplatten des Bodens, ziu dem Stufen hinaibführen, klingende Tropfen fallen von der Wölbung nieder in die feierliche Stille. Weiße Quadern — sie finden sich auch dm oberen Hof am großen Turm und am Rittersaal. Dort tragen sie Steinmetizzeichen und diese Zeichen sind — eine andere Seltsamkeit — die gleichen, wie sie an Steinen des Bamberger Domes festgestallt werden können. Gibt es Zusammenhänge?

Schräg gegenüber, luftig und fröhlich, entzückt der offene Söller eines Treppenturms mit seinen verspielten romanischen Säulchen. Und nebenan, die arg verwüstete Burgkapelle mit dem unpassierbaren Zugang zur Gruft, birgt Reste romanischer

Fresken. Vorher aber noch bietet die Burg ihr Bestes, die von den Esterhazys geretteten, einander über- schneidenden, gotischen Wölbungen des Rittersaals, eines mehrfach geknickten Raums, dessen Form geschickt der sanften Rundung des Berges fcilgt. Aber wieder lauert Geheimnis, lauem ungelöste Rätsel. Hier hätten, so will es die Legende, zur Zeit der großen Verfoligiunig, die Letzten der Ternpelfaerren ihr Ende gefunden. An der Schwelle dieses Saales, der innersten Zuflucht des Wehrbaues, habe das Gemetzel stattgefunden und Jahrhunderte hätten nicht vermocht, die schwarzen und roten Spuren ihres Bluts ziu verwischen. Und to der Tat — die Algen, die den Estrich der Schwele schwärzlich und rötlich färben, wurden bisher noch von keiner der steigenden Humusschichten überdeckt und erstickt, sie wuchern in breiten, unschönen Krusten und mag auch der Besucher schmunzeln — denn die Erinnerung an Wildes Gespenst von Canterville, das emisig den historischen Blutflecken erneuert, stellt sich nur zu rasch ein —, der Schritt über die dunklen,, scheckigen Algen kostet Überwindung, er fällt länger und vorsichtiger aus als beabsichtigt.

Die 'gleiche, vom Verstand nicht ganz bewältigte Scheu befällt den Besucher auch oben, in den verwinkelten Räumen des Palas, die einst der Herrschaft als Wohnung dienten. Hier hauste zwischen 1575 und 1611 die entsetzliche Erzisėbeth.

Ferenc Nädasdy, damals Besitzer von Lėka-LockenhaiuSį glaubte an sein Glück, als er Erizsėbeth Bäthory aus dem mächtigen siebenbüngiischen Fürstenhaus ehelichte. Grobschlächtiger Kriegsmann ohne Feingefühl und ohne Nerven, der er war, vermochte er erste Symptome wohl kaum au deuten und ahnte bis zu seinem Tode nicht, daß sich hinter einem gewinnenden Frauenlächeln, hinter dunMen, ein wenig gesenkten Augen und einer anziehenden Gestalt ein kranker Geist von ungeahnter Gefährlichkeit verbergen könne. Nach seinem Tode 'ließ der ausbrechende Irrsinn der Erzsėbeth Nädasdy-Bäthory alle Masken fallen. Lesbisch indizierter Sadismus tobte sich an mehr 'als hundert jungen Mädchen aus, die ihr von den Komplicen, drei schauderhaften alten Hexen und einem schwachsinnigen Krūppelį ins Haus geliefert wurden. Die endlosen Folterungen, die stets mit dem Tode des Opfers endeten, wurden nicht nur auf Lockemhaus, sondern aiuch in Deutschkireutz, im slowakischen Gsejthe und dm Wiener Staditpalais der Nädasdy verübt Wenn Erasebeths Kräfte versagten biß sie mit den Zähnen zu. Was die Gerichtsprotakolle später an Einzelheiten zutage brachten, läßt auch abgebrühten Juristen heute noch die Haare zu Berge stehen. Endlich drang das Gerücht vom Treiben dar irrsinnigen Gräfin und ihrer Komplicen bis zu György Thurzö, dem Palatin. Es hieß, daß es auf allen Nädasdy-Schlössern nach Verwesung lieche, daß Jagdhunde eine unbekleidete Leiche aus der Fruchitmiete ausgescharrt hätten, daß unter den Betten tote Magdą mit ungelöschtem Kalk übergaasen, versteckt seien, daß man nachts lange Schmer- zensschrele gehört habe, die alle Wände durchdrangen. Den Palatin, der das Gehörte anfangs kaum glauben wollte, ergriff Entsetzen. Im Dezember des Jahres 1610 überfiel er, von Schwiegersöhnen Erzsėbeiths begleitet, Gsejthe und ertappte „das verfluchte Weib“ auf frischer Tat. Der Prozeß wurde, um Unruhen in Siebenbürgen vorziubeugen, geheim geführt. Man internierte die Wahnsinnige bis zu ihrem Tode. Sie starb 1614.

Aus dem Alptraum dieser Erinnerungen, aus der bösen, halben Dämmerung der einstigen Wobnräume zu entfliehenį bedeutet Aufatmen, ist wie eine Befreiung. Frei und herrlich weit geht der Blick zuletzt aus den steinernen Fenstern des obersten Saales, der sich der Sonne, dem Rauschen der Wälder und — heulte noch — freilich auch allen Winden öffnet.

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