6731844-1966_01_09.jpg
Digital In Arbeit

Wohnen unter Denkmalschutz

Werbung
Werbung
Werbung

„Diese vielgeschmähten alten Häuser, an denen das Publikum meistens teilnahmslos vorübereilt, kommen nun plötzlich zu Ehren, Wieso manches Menschenleben verkannt und gekränkt dahinschwindet, bis man erst nach seinem Tode den ungeahnten Verlust zu beklagen beiginnt, so entdeckt man nun mit einem Male, welch kostbarer Schatz mit diesen alten Häusern bisweilen in den Schutt gelegt werden soll. In Eile wird ihnen noch die letzte Ehre erwiesen, sie werden gezeichnet, photographiert und beschrieben, ihr wahrer ästhetischer Wert wird aber erst dann begriffen, bis das neue Haus den Platz eingenommen hat.” Solche Worte, die, bis auf den poetisch-elegischen Vergleich mit dem Tod eines wertvollen, aber zuwenig gewürdigten Menschen, überraschend aktuell klingen, finden sich in einem dünnen Sonderdruck, der seit vielen Jahrzehnten auf einem der entlegeneren Regale der Wiener Stadtbihliothek steht und sicherlich nur ganz selten ausgehoben wird: es ist der Text von Heinrich v. Ferstels Vortrag „Über Stil und Mode”, gehalten im Niederösterreichischen Gewerbeverein am 3. November 1882. Also noch mitten in der Epoche der Gründer und deren Widerbilder, der Demolierer, warnender Ausspruch eines der größten Architekten des damaligen „Neu-Wien”, van den Zeitgenossen überhört, im Hochgefühl radikaler Staditerneuerung, übertönt vom Lärm stürzender Mauern, vom Krachen herabgeworfener Dachsparren. Noch 30 Jahre später werden zwei der traurigsten Akte der architektonischen Selbstverstümmelung Wiens vor 1914 vollzogen: der Abbruch des Liechtensteinpalais in der Herrengasse, und damit die Vernichtung des einmaligen Bösendorfer-Saales, und der Fall des klassizistischen sogenannten „Hadikschlössels” an der Hietzinger Brücke. Die Söhne der Ferstel-Generation waren in solchen Dingen kaum weniger bedenkenlos als die Enkel und Urenkel. Man schlage nach in Hartwig Fischeis Bildband „Wiener Häuser” (1911), einem sehr anschaulich geführten Verlustkonto an Althausbestand, in dem so manchem wertvollen oder für das „Ensemble” eines Platz- oder Straßenbildes bedeutsame Bauwerk die photographische „letzte Ehre” erwiesen wunde…

Notwendige Erneuerung des „Kernes”

Vor einigen Wochen trat wieder ein Mahner auf, den die Sorge um das Kulturerbe unseres Landes nicht ruhen läßt: Hans Sedlmayr mit seiner Schrift „Die demolierte Schönheit”, jenem „Herzalarm für Alit-Salzfburg”, einem Manifest, ja einem Pamphlet im positiven Sinn des Wortes, wie man es zur Zeit der Aufklärung verstand. Aufklärung und Klärung strebten auch die in- und ausländischen Kommunalpolitiker, Denkmalpfleger und Soziologen an, die sich vor wenigen Wochen in Krems an der Donau zu einem Symposion über die Probleme der Altstadterneuerung versammelten. Die Bezeichnung „Kremser Symposion” wird denn auch vielleicht bald im Bereich der Denkmalpflege und der kulturell verpflichteten Kommunalpolitik zu einem feststehenden Begriff geworden sein, etwa im Sinn eines großangelegten „Grundsatzreferates”.

Immerhin ging es bei dieser Tagung um sehr ernste, sehr dringende und sehr komplexe Fragen: um die Bewahrung des historischen Baucharakters der Doppelstadt Krems- Stein. Zunächst nur um sie, im weiteren Sinn aber geht es darum, Musterbeispiele und Maßstäbe zu schaffen, im Kampf gegen den Verlust an historisch und künstlerisch wertvoller Bausubstanz in unseren Städten und alten Marktgemeinden. In Krems machte man sich daran, das Richtmaß zu kerben.

Leitmotiv: Optimismus

„… und deshalb rufe ich euch zu: Erhaltet diese Stadt, dieses Tor zur Wachau in seiner ganzen Schönheit! Es lebe Krems! Es lebe Stein!” Der weißhaarige alte Herr mit der eigenwillig geschlungenen schmalen Künstlermasche verbeugte sich vor dem lebhaft applaudierenden Auditorium. Professor Clemens Holzmei- ster, einer der prominentesten Teilnehmer des Symposions, hatte gerade seine aus der Stimmung des Augenblicks geborene, temperamentvoll vongetragene Laudatio auf die beiden vereinigten Donaustädte beendet. Der Schwung seiner Worte wirkte fort, blieb im Vensammlungs- saal spürbar während der folgenden Vorträge und Diskussionen, die eher sachlich und informativ als hymnisch waren. Obwohl auch dabei humanistisch timbrierte Devisen fielen, wie die sehr österreichisch empfundene Anschauung „Lieber Beseelung um den Preis kleiner Schlampereien als sterEe, perfektionistische Ordnung” oder „Unser Ziel ist nicht die autogerechte, sondern die menschenwürdige Stadt” und schließlich, leitmotivisch für die ganze Veranstaltung: „Das wichtigste ist der Optimismus. Wenn wir diesen Optimismus nicht hätten, wären wir gar nicht zusammengekommen.”

Es lebe Krems, es lebe Stein — doch wie lebt es in den Gassen seiner idyllischen Altstadt, hinter den dicken, jahrhundertealten Mauern, in den Höfen mit den geschwungenen Lauben? Bürgermeister Doktor Franz Wilhelm versah in gewohntem Engagement seine Eröffnungsansprache mit imaginären Rufzeichen. „Wir haben vor, Ihnen etwas zu zeigen, was die Öffentlichkeit schok- kieren soll. Wir fordern das Fernsehen, den Rundfunk und alle Presseorgane auf, schonungslos über diese Zustände zu berichten.”

49 Prozent Mittelalter und Renaissance

Dr. Harry Kühnei, Archivdirektor der Stadtgemeinde Krems-Stein, hatte harte Fakten bereit: 15 Prozent des Hausbestandes im Stadtkern von Krems und Stein stammen aus dem Spätmittelalter (aus jener Epoche also, da Krems auf einer arabischen Weltkarte neben Wien und Regensburg als wichtigstes Handelszentrum an der Donau eingezeichnet war). Weitere 34 Prozent sind Renaissancebauten! Im Dreißigjährigen Krieg setzte der Verfall der Wohnkultur ein. Die großen Repräsentationsräume, auf den Lebensstil der Patrizier abgestimmt, wurden unterteilt, und seither hat sich die Situation im Grundriß in vielen Fällen nicht mehr verändert! Der Photograph, der für das Stadtarchiv Farbdias machte, leuchtete in seit undenklichen Zeiten eher behelfsmäßig adaptierte Lokale für Gewerbebetriebe und Werkstätten und in die dumpfigen Armenleutquartiere mit Bassena und sanitären Einrichtungen, bei denen der freie Fall die Wasserspülung ersetzt.

In den Jahren 1956 bis 1964 wurden in Krems und Stein Beträge in der Gesamthöhe von 3,363.900 Schilling nur für Fassadenrestaurierung und Eindeckung aufgewendet, und zwar nach dem Schlüssel: 50 Prozent zinsenfreies Darlehen der städtischen Finanzverwaltung, 30 Prozent Eigenmittel und 20 Prozent Mittel aus dem Wiederaufbaufond.

Doch die Wiederherstellung der Fassaden ist ja nur ein Teil, sozusagen die äußere Schicht einer funktioneilen Altstadterneuerung. Es ist höchste Zeit, daß hinter den Fassaden der Kremser und Steiner Altstadt der Dreißigjährige Krieg zu Ende geht.

Die Abhilfe heißt „Baukernerneuerung”, deutlicher gesagt Neubau im Inneren unter Wahrung und Erhaltung kunst- und kulturhistorisch wertvoller Teile — in den speziellen Fällen handelt es sich meist um die charakteristischen Wachauer Laubengänge. Die Tagungsteilnehmer sahen einige interessante Beispiele der Althaus-„Assanierung”, ein Wort übrigens, vor dem nun sogar den Beamten, die es kreierten, bereits graut. In der Nähe der Gozzo- burg, dem Kleinod von Krems, seit man hinter ihrer nachträglich angekleisterten Allerweltsfassade die gotische Seele wiederentdeckte, mitten im geschlossenen Altstadtbereich, gehen hinter musealen Außen- mauem neue Wohnungen ihrer Fertigstellung entgegen. Südseitig die Fenster der Wohnräume mit dem Blick über die Dächer bis hinüber nach Göttweig. Wohnungen für junge Familien, deren Ansiedlung für die „Revitalisierung” und menschliche Erneuerung des Stadtkerns von entscheidender Bedeutung ist. Zur Zeit gehört die überwiegende Mehrzahl der Altstadtmeister in den zwar billigen, aber völlig veralteten Wohnungen der Pensionisten- und Rentnergeneration an.

Ort der Begegnung oder Fremdenverkehrsszenerie?

In Stein ist der „Eitzingerhof” mit dem „Kleinen Passauerhof” ein Beispiel organischer Revitalisierung. Nach außen, auf die Straße zu. restaurierte Renaissance, im Hoftrakt sozialer Wohnbau, bei dessen architektonischer Gestaltung man allerdings mehr Mut zu echter Mode hätte haben sollen. Beherrschend in den Lebensbereich unserer Tage einbezogen der turmartige Trakt des Passauerhofes mit seiner Bekrönung aus Rundbogenzinnen, dem in Sgraffitotechnik erneuerten Eck- quadernornament und den pittoresken Schornsteinen.

Wenige Schritte weiter, im noblen Barockbau des „Mazettihauses”, errichtet für den Bürgermeister und kaiserlichen Rat Meyreckh, wohnen einige Parteien in großen, fast unbenutzbaren Repräsentationsräumen. Im vorigen Jahrhundert legte hier Ludwig v. Köchal sein systematisches Verzeichnis der Werke Mozarts an. Ihm, der wahrscheinlich viel Platz für Registraturen und gestapeltes Archivmaterial brauchte, kamen die weitläufigen Zimmer sicher gut zustatten. Die heutigen Mieter aber leben nach anderem Rhythmus und ++++anderem Maß, ihr Wohnen hier hat etwas Provisorisches, die Dimensionen stimmen nicht recht überein, es verhält sich etwa so, wie wenn Soldaten im Salon eines besetzten Schlosses eine Schreibstube etablieren. Das Mazettihaus ist im Besitz der Stadtgemeinde Krems-Stein, die eine neue Widmung des Objektes plant: die Räume sollen für die Abhaltung von Hochschulkursen adaptiert werden.

Damit wird zugleich ein Kristallisationspunkt für die Altstadtemeuerung der „sterbenden” Stadt Stein gegeben sein. Bei der Tagung fehlte es nicht an konstruktiven Vorschlägen. Wenn sie verwirklicht werden, dann könnte sich Stein zu einem interessanten kulturellen Zentrum in Niederösterredch entwickeln, zu einem Ort der geistigen Begegnung unter Einschluß einer Künstler- und Schriftstellerkolonie, also gewissermaßen eine wach aueri sehe Verbindung von Alpbach und Blutgassenviertel. Nun läßt sich aber ein Schwabing oder ein Montmartre weder aus der Retorte gewinnen noch auf dem Reißbrett festlegen, es bleibt also vorerst abzuwarten, ob die projektierte Wohnungspolitik für Stein tatsächlich das Interesse freiberuflicher und somit nicht unbedingt an die Großstadt gebundener Autoren,’ Maler und Bildhauer finden wird.

Daß auch die Fremdenverkehrsfachleute ihre Pläne für eine stärkere Aktivierung der bezaubernden, stillen Donaustadt haben, liegt auf der Hand. Wenn allerdings die „Schaffung von Gaststätten und Hotels mit Lokalkolorit, heimischen Spezialitäten und von Heurigenlokalen, die auch höheren Ansprüchen genügen”, propagiert wird, möchte man freilich zur Vorsicht raten, zur Vorsicht vor Heimatkitsch, Pseudobodenständigkeit, Nepp und Duliöh.

Denkmalschutz für den „Walzertraum”

Ein anderes Bild, privat auf einem Spaziergang entdeckt: der Kremser Stadtpark. Dort steht ein Musikpavillon wie aus einer „Walzer- traum”-Dekoration. Es wurde darüber debattiert, ihn zu entfernen — „abtragen” wäre, auf einen so filigranen Bau angewandt, ein zu gewichtiges Wort. Die Kremser opponierten gegen die Beseitigung des liebenswürdigen Reliktes aus der „Welt von gestern”. Recht hatten sie. Dieser Musikpavillon gehört zu jenem Krems, das sich mit Wohnvierteln und Amtsgebäuden rings um den Stadtpark breitet, die Stadt der Bezirkshauptleute und der Garnisonskommandanten, eine der typischen österreichischen Kleinstädte der Epoche Franz Josephs. Die meisten liegen jenseits unserer Grenzen, in Böhmen, in Mähren, in der Slowakei, in Kroatien. Hier regiert Josef Roth die Stimmung. Ein Stück historisch gewachsenes Österreich auch diese, seine Welt, wie die der Kremser Gotiker, der Patrizier, der Schiffleute, des Kremser Schmidt…

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung