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Tor ins „osterlant”

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GOLDENE HERBSTSONNE auf der Donaubrücke zwischen Mautern und Stein. Sanft verklärtes Licht über den Hängen des Goldbergs bis hinüber zum Weinzierler Berg, über dem Kremstal und Alauntal. Davor, in den blauvioletten Himmel, der sich von Ost nach West wie ein altes, kostbares Seidentuch spannt, Giebel an Giebel, Turm an Turm, so zart hingesetzt, als hätte Rudolf Alt für Krems den Pinsel gezückt. Gleichgeblieben ist das Bildnis dieser Landschaft an dem Tor ins „osterlant”, davon das Lied von den Nibelungen kündet. Unverändert durch die Talanlage, den Fels und den Löß seit dem fünften Jahrhundert, da dort drüben irgendwo die Burg des Rugierkönigs Felletein nach der Vita S. Severini lag. Der Kern von Alt-Krems trägt ja die uralte Bezeichnung „Auf der Burg”. An der Donaulandschaft Niederösterreichs haftete noch lange nach dem Abzüge der Rügen der Name „Rugiland”. Heißt es doch, daß die aus ihren Gebieten abgewanderten Langobarden eine Zeitlang in Rugiland seß- bar gewesen sind, wie der Chronist es ausdrückt: „ … tune exierunt Langobardi de suis regionibus et habitaverunt in Rugilanda annos aliqantos”. In der Kaiserurkunde von 95 5 wird Krems erstmals als Ort im Grenzbereich erwähnt: „ … jecens in confinio nostre proprie- tatis orientalis urbis, que dicitur Cremisa …” Der Name Krems selbst ist weder aus dem altdeutschen Sprachgebrauch „chremi” — grimmig, noch aus dem slawischen kremi, kremlin — Kiesel, oder kremą — Herberge, herzuleiten, sondern von der keltischen Wurzel krem, was soviel bedeutet als der Begriff des Herabhängens, gleich dem am Abhange fließenden Fluß — wie „Leitha” gleich „Leitenfluß “. Im Jahre 1014 bekam Passau von König Heinrich II. ein Stück Land außerhalb der Stadt zur Erbauung einer Pfarrkirche, womit aber nicht die jetzige Pfarrkirche, sondern die Frauenkirche gemeint ist. Die Südwestecke dieses Landstücks ist beim Steiner Tor zu suchen, die Südostecke am ..Täglichen Markt”, als Ostgrenze wäre der Straßenzug anzusehen, der den ..Täglichen Markt” mit dem Pfarrplatz verbindet und zum Wachtertor ansteigt. Das älteste Krems beschränkte sich also auf das Felsplateau der „Burg”. Heute noch, wenn die Dämmerung hereinbricht, ist das matt angestrahlte Gemäuer von zauberhaftem Reiz.

DIE KREMSER BÜRGER werden im Jahre 1125 ausdrücklich als „cives” bezeichnet. Demgegenüber erscheint Wien erst 1137 als „civi- tas”. ln den landesfürstlichen Urbaren werden Fuhr und Ueberfuhr in Stein genannt. Der Regalienertrag von Krems-Stein kam jenem von Wien gleich. Indes setzt der Araber Edrisi in seinem Reisebericht „Ghermisia” (Krems) über „Biena” (Wien). Die Kremser Münze gilt allgemein am Ende des 12. Jahrhunderts als Landesmünze Der „Kremser Pfennig” verdrängte die Regensburger Münze, welche bis dahin geherrscht hatte. Eine Eingabe der Bürger an den Kaiser behauptet im Jahre 1566, daß der Eisenhandel ihren einzigen Erwerb bilde. Steyr selbst nennt Krems seine sicherste Handelsstütze. Der Vertrieb des Innerberger Eisens war in jener Zeit trotz des sich erweiternden Weinbaues von kaum zu unterschätzender Bedeutung. Damals entstanden die Patrizierhäuser, die mit ihren Renaissanceportalen und Höfen heute noch Zeugnis für den Wohlstand jener Zeit ab- legen. Die Wirren der Religionskriege schlugen freilich auch das blühende Krems. Der Schwede Torstenson drang bis an die Donau vor, und es hat damals, als der Handel zwischen den Alpenländern und den Sudetenländern lahmgelegt war, aller Kraft bedurft, um sich wieder in die Höhe zu arbeiten. Noch 1616 wird Krems als „reich und blühend” genannt. Es zählte damals 440 Häuser. Nach Abschluß des Dreißigjährigen Krieges waren viele von ihnen zerstört und noch 1707 lagen 107 in Trümmern 1727 ist die Stadt „an goldt und volckh mangel leidend”. An Hand von Matrikstudien ist für das 17. und 18. Jahrhundert die Bevölkerung auf 4000 geschätzt worden. Das bedeutet viel, denn eine Stadt im Range Leipzigs hatte um die Wende des 16. Jahrhunderts kaum mehr als 14,000 Einwohner.

DIE STROMLANDSCHAFT von Krems erfuhr große Veränderungen. Zum Teil war es die Donau selbst, die hier eingriff, zum anderen die Menschen. Eine vergleichende Gegenüberstellung der josefinischen Aufnahme, 1:28.800, und einer modernen Karte macht dies augenfällig. Wo einst der schiffbare Donauarm dahinzog, verläuft jetzt die Ringstraße; wo einmal der große Werder zwischen ihm und dem Hauptstrom lag, grünen die breiten baumbestandenen Straßen und die Parkanlagen der Gartenau. Der Bahnhof — nach der Kriegszerstörung wieder leider etwas klobig und wenig einfallsreich aufgebaut — nimmt jene Stelle im Werd ein, wo früher der Güterumschlag vom Strome auf die Straßen nach Böhmen und Mähren erfolgte. Als 1909 Krems zum Schnittpunkt einer dritten Bahn, der Donau-Uferbahn wurde (1872 bekam Krems einen Zweigarm zur Franz-Josefs-Bahn nach Absdorf, 1889 über die zweite Strombrücke die Bahn nach St. Pölten) plante man die Strecke knapp am Strom — es scheint, damals war man so „fortschrittlich” wie jetzt mit Straßen —. aber es gelang damals diese Zerstörung des ursprünglichen Stadtbildes abzuwehren.

DAS STADTBILD VON KREMS mit der Häufung kulturell wertvoller Bauten ist mehrfach schon mit einem „Freilichtmuseum” verglichen worden. Wer wirklich nicht nur alle architektonisch bedeutsamen Gebäude, sondern die überaus große Zahl wundervoller Höfe, die Innenräume und ihre Decken, die Fresken und Gemälde und das Städtische Museum mit seinen reichen prähistorischen und römischen Funden, seinen Stadtansichten und Trachtenmodellen geruhsam ansehen will, der wird bald finden, daß ein Tag viel zu kurz ist. Freilich: eine altertümliche Stadt, die behutsam das Ueberkommene in den Rhythmus des heutigen Lebens hineinretten will, muß als Gemeinwesen tief in die Tasche greifen, aber auch den Bewohnern, die verständnisvoll die Kunstdenkmäler hegen, mit Rat zur Seite stehen. Diese lebendige Kunstgesinnung ist es, die den Einklang zwischen Besucher und Besuchten dauernd erneut. Hier in dieser Stadt, deren alte Lateinschule im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts ein Zentrum der Reformation war — sie verkehrte direkt mit Melanchthon —, ist der pädagogische Geist immer regsam und wandlungsfähig geblieben.

DAS KREMS DER GEGENWART zählt 20.3 53 Menschen der Wohnbevölkerung, gehört also zu den rund drei Dutzend Gemeinden Oesterreichs, in denen ein Zehntel unseres Volkes lebt. Nach der wirtschaftlichen Zugehörigkeit der Bewohner führen Industrie und Gewerbe mit 8278, gefolgt von Handel und Verkehr mit 3129, Eisen- und Metallgewinnung und -bearbeitung mit 2348. Auffallend in der Sparte „Freie Berufe” die 751 Personen der Gruppe „Unterricht” (St. Pölten, das doppelt so groß ist wie Krems, zählt deren nur 837)’— bezeichn endr,fjjii dĮie größte Sfhulstadt ;Miesleröst reichs. D,ie Anliegen,) der Stadt si d nWohqbwfc Krankenhaus, Sozialfürsorge, Straßen, Schulen und Industrie. Wohnbau: an acht Stellen entstanden und entstehen 222 Wohnungen; neue Projekte sehen weitere 200 Wohnungen vor, Vorbesprechungen für ein Haus der Bundesbediensteten (120 Wohnungen) fanden statt. Krankenhaus: der Grundstein für ein 40-Mil- lionen-Projekt, dessen erster Bauabschnitt 1958. abgeschlossen sein wird, ist gelegt. Sozialfürsorge: die Aktion „Kremser Hilfswerk”, im Vorjahr sehr erfolgreich, geht weiter. Das Geldaufkommen je Kopf betrug 6 Schilling (für ähnlichen Zweck in Wien: Aufkommen 80 Groschen). Die Straßen werden zügig ausgebaut. Das Bauvorhaben Bahnhofsplatz erforderte allein 2,5 Millionen. An die bisherigen acht Arbeitsplätze werden sich sechs weitere reihen. Man hofft auf eine neue gute Verbindung nach Wien. Der Stromweg gewinnt immer größere Bedeutung. Eben fand die Gleichenfeier für einen der modernsten Kräne statt, die wir besitzen; die Ausweitung der Industrie wird bald die Errichtung eines zweiten Krans nötig machen. Krems entwickelt sich rasch zu einem bedeutenden Donauhafen und gewinnt-’ seine Funktion als Umschlagplatz in erhöhtem Ausmaß wieder.

EIN BESUCH IM RATHAUS und im Kulturamt unterrichtet von künstlerischer und volksbildnerischer Regsamkeit. Zur Filmstadt wird nun auch die „Fernsehstadt” treten, ein Spielfilm, der die Landschaft ins rechte Licht rücken wird, steht bevor. Die Konzerte finden einen weiten Besucherkreis — die Organisation bezieht das ganze Waldviertel ein. Ein detailliertes Kulturprogramm mit Planung bis Juni 1958 wird gedruckt. Im November errichtet man eine Kinder-Freihandbücherei. Das ist deswegen von Bedeutung, weil man in Krems an der Bibliothek 700 aktive Kinderleser zählt — ebensoviel wie in Salzburg, das fünfmal mehr Einwohner hat. Die Denkmalpflege geht daran, das Haus des Kremser Schmidt zu restaurieren und würdig auszubauen. Die Gozzoburg bekommt ihr ursprüngliches Aussehen mit den Grundarkaden wieder. Dieser Bau aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts sucht in ganz Oesterreich seinesgleichen. Das Ziel der Stadtverwaltung, unter ihrem Bürgermeister Dr. Karl Wilhelm, der sich eben in diesen Tagen mit dem Gemeinderat zur Neuwahl stellt, heißt, auf einen Satz gebracht: Zukunft aus Vergangenheit zu machen durch tätige Anteilnahme aller Bürger.

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