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Die Pforte der Wachau

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Die Geschichte der am Wachauausgange gelegenen Doppelstadt Krems-Stein ist für die ältere Zeit nur im Zusammenhang mit der Rolle verständlich, welche die dritte Stadt im Herzen Niederösterreichs, Mautern, das römische Favianis, spielt. Wie der Name besagt, war dieser noch heute wichtige Donauübergang eine karolingische Mautstätte (Raffelstettener Zollordnung von etwa 903), deren Aufgaben im Laufe der Zeit auf das am Nordufer der Donau gelegene Stein übergingen, und dessen Mauttarif von anno 1190 noch erhalten ist. Im 5. Jahrhundert befand sich auf dem heutigen Steiner Frauenberge der Königssitz der Rugier mit Markt und Münzstätte. Erst seit dem 9. Jahrhundert entsteht dann auf dem Felsen im Mündunigswinkel von Krems und Donau auf Reichsboden eine Fluchtburg, die uns allerdings erst 995 als Urbs Chremisa entgegentritt. Die rasche Entwicklung der bald auch von Gewerbsleuten und Händlern besiedelten Anlage auf dem Berge ist durch die Gründung der Pfarre (1014) verbürgt. In der Folge dehnte sich die Stadt von den noch heute als „Burg“ bzw. „Hoher Markt“ benannten Plätzen rasch nach Südwesten aus, um bereits gegen 1100 die Donau zu erreichen, die bis um 1850 mit einem Arm unmittelbar an der Südmauer vorbeifloß. Die Südwestecke der Befestigung bildete der „Herzogshof“ mit Kapelle und Speicher; die Pfarrkirche wird gegen 1150 auf ihren heutigen Standort in die Ebene heraibverlegt; „Landstraße“ und „Täglicher Markt“ — senkrecht aufeinandergestellt — bezeichnen die Hauptverkehrsadern. Für die Bedeutung der Stadt, vor allem auch als Handelsplatz, spricht die Errichtung der ältesten landesfürstlichen Münzstätte durch Markgraf Leopold III. (um 1115/20) und die Verleihung ihrer Handelsrechte 1201 an Zwettl. Wenn Krems um 1136 als Oppidum bezeichnet wird, so ist sein Charakter als Stadt erwiesen und damit auch der Anfang einer Bürgergemeinde gesichert, aus der sich die Verwaltungsorgane, Richter und Rat, herausbildeten. Zum Charakter der Stadt als Handelsplatz mit Kaufmannswaren kommt dann schon früh ihre überragende Stellung in der Weinwirtschaft, sowohl was die Erzeugung wie die Ausfuhr in das Oberland betrifft. Auch als Getreideverschiffungsort spielen die Städte frühzeitig eine gewisse Rolle; der Kremser Metzen steigt schließlich zum Landmaß für Getreide in ganz Niederösterreich und Wien auf. In allen Fällen spielt Stein die Rolle des Kremser Hafens, über den die Donautransporte auf und ab ihren Weg nahmen. Dieser für ein weiteres Gebiet beherrschenden Stellung im Donauhandel entspricht die Nennung von Krems nebst Ulm, Regensburg, Passau und Wien in einem arabischen Reisebericht (1153).

Um die Mitte des 13. Jahrhunderts erreichen Krems und wenig später auch Stein im großen und ganzen jenen Umfang, den sie bis in den Beginn des 19. Jahrhunderts hatten. Es waren vor allem die Predigerordenskloster der Dominikaner und Mino-riten, die eine Vergrößerung des Mauerringes notwendig machten. Inzwischen war aber Wien als unvergleichlich günstigerer Fernhandelsplatz und als Residenz jäh emporgestiegen, wodurch Krems-Stein auf eine nur regionale Bedeutung beschränkt wurde. Immerhin blieb es durch mehr als ein halbes Jahrtausend die zweitgrößte Stadt Niederösterreichs mit ansehnlichem Handel, vor allem ins Waldviertel und nach Nordosten in Richtung Mähren, Schlesien, Polen. Als Handelsgüter sind außer Tuch vor allem Salz und Eisen zu nennen, während das heimische

Gewerbe wohl die Bedürfnisse einer weiteren Umgebung befriedigte, nicht aber für eine größere Ausfuhr in Betracht kam. Die 1349 bzw. 1416 vom Landesfürsten bewilligten beiden Jahrmärkte von je

vierzehntägiger Dauer bestätigen offenbar nur schon längst eingebürgerte Verhältnisse; ebenso unterstreicht das Donaubrückenprivileg Kaiser Friedrich III. von 1463 neuerdings die Bedeutung dieses uralten

Stromüberganges, der an beiden Ufern seine Fortsetzung in zahlreichen sternförmig verlaufenden Straßenzügen findet.

Das älteste Stadtrecht ist nicht erhalten, dagegen besitzt Krems neben Villach das älteste erhaltene Siegel einer österreichischen Stadt (1250). Das neue Stadtrecht von 1305 deckt sich weitgehend mit dem Wiener. Der Charakter der Doppelstadt Krems-Stein als einer Gerichts- und Verwaltungsgemeinde wird darin geradezu als selbstverständlich vorausgesetzt. Seit 1416 wird abwechselnd in Krems und Stein der Bürgermeister gewählt, der als Vorsitzender des Rates alle nicht dem Gerichte zufallenden Agenden zu betreuen hatte; vor allem natürlich die gesamte Verwaltung, die Finanzen und die militärischen Angelegenheiten. Die wohlhabenderen Bürger nahmen eine gewisse Vorzugsstellung ein; in der Person des Stadtrichters Gozzo (1247—1290) tritt uns ein rei-

eher Mann entgegen, der sich auf dem damaligen Hauptplatze, dem „Hohen Markt“, gegenüber dem alten Rathause eine förmliche Burg mit Kapelle und Bergfried errichtete, welche dann im 14. Jahrhundert in habsburgischen Besitz überging.

Ihrem Berufe nach waren diese Bürger vorwiegend Kaufleute; sie spielten aber bis in die neueste Zeit auch in der Weinwirtschaft eine gewisse Rolle. Diese

im Wesen mit der Schichte der Ratsbürger identische Klasse schloß sich, ebenso wie der Stand der Handwerker und Weinhauer, in zahlreichen Zechen (Zünften) zusammen, die neben religiösen und sozialen auch ihre Berufsinteressen verfolgten. Diese Verbände reichen vielfach über den engeren Stadtbereich hinaus und beziehen die Standesgenossen des Umlandes ein. In der neueren Zeit wurden diese Organisationen unter die Aufsicht der Stadt gestellt, deren Verwaltungsapparat Behördencharakter erhält. Anderseits entsteht in den Zentralstellen der Länder (Kammer und Regierung) eine Aufsichtsstelle, welche die Gestion der Städte durch Erlassung von Ordnungen einengte und ständig überprüfte. Den Abschluß findet diese Entwicklung in den Reformen der Kaiserin Maria Theresia.

Mit der Errichtung des Kreisamtes für das Viertel ober dem Manhartsberg (Waldviertel) in Krems

(1753) wird eine staatliche Behörde der Stadtverwaltung unmittelbar vorgesetzt, welche seit 1783 durch den Magistrat als unterstes Organ ergänzt wurde. Damit war auch der alte Begriff der städtischen Freiheiten dahingeschwunden und erst das Jahr 1848 brachte hier den Wandel. In der Folge wurde Krems-Stein auch eine Stadt der Behörden, Garnison war es schon seit Kaiser Karl VI.

Wenn auch die Stadt infolge der geänderten Verkehrsverhältnisse (Eisenbahnen!) gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht die entsprechende wirtschaftliche Entwicklung nehmen konnte, so hat sie sich gerade damals an ihre alte kulturelle Sendung erinnert und die Errichtung neuer Mittel-und Fachschulen nach Kräften gefördert. Das aus der alten lateinischen Stadtschule hervorgegangene Jesuiten- und Piaristen- und Bundesgymnasium (1616) zählt zu den ältesten Oesterreichs. Seit 1722 widmet sich das Institut der Englischen Fräulein der Mädchenerziehung. Eine weitere Vermehrung und Spe-, zialisierung erfuhr das höhere Schulwesen in den letzten Jahrzehnten. Hand in Hand ging damit die Errichtung entsprechender Neubauten und die weitgehende Verwendung der großen Kaserne für Fachschulen und staatliche Internate, denen eine Anzahl gleichartiger privater Einrichtungen parallel geht.

Das kulturelle Leben ist durch die großen profanen und kirchlichen Bauten aus allen Epochen sowie durch die ansehnliche Ueberlieferung an Nachrichten und Werken der Skulptur und Malerei bestätigt; in der romanischen Zeit, am Ausgang des Mittelalters und im 18. Jahrhundert sind hier bedeutende Werkstätten nachweisbar. Der Wiener Schottenmeister stammt sehr wahrscheinlich aus Krems und hat sogar Kremser geheißen. Jörg Breu d Ae. und sein Bruder Niklas waren nacheinander hier tätig (um 1500 bzw. 1530), Karel van Mander schmückte die Arkaden des Friedhofes mit Fresken und der Kremser Schmidt (1718—1801) erlangt durch seine Kunstarbeit und ansprechende Malweise geradezu Volkstümlichkeit. Eine Auswahl seiner Werke ist in der Steiner Mino-ritenkirche ständig allgemein zugänglich. Schmidts Vater war Bildhauer und als solcher vorwiegend beim Neubau von Dürnstein und Güttweig tätig, während gleichzeitig Josef M. Götz in Krems Hauptwerke schuf (Hochaltar der Pfarrkirche, Dreifaltigkeitssäule u. a.). Unter den Baumeistern wäre Cipriano Biasino aus dem Val d'Intelvi (Como) als Schöpfer der frühbarocken Pfarrkirche (vollendet 1630) zu nennen.

Der Musik hat Stein den Mozart-Forscher Ludwig R. v. Kochel, Krems die Mutter Franz Liszts geschenkt. Im Volkston schrieben Rudolf Süß und Ludwig Muther ihre Lieder.

Der Bestand einer Druckerei schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts förderte das Schrifttum. Schon früher hatte ein Kremser Arzt erstmals die Badener Schwefelquellen wissenschaftlich behandelt. Von dem durch fast 150 Jahre blühendem Jesuitendrama sind aber nur wenige Texte erhalten geblieben. Um 1850 schrieb der Piarist Josef Misson in Krems sein Epos in niederösterreichischer Mundart „Der Naz“, während der Vorarlberger Josef Wichner in der Wachau eine zweite Heimat fand, die ihn zu regem Schaffen inspirierte. Auf dem Gebiete des Theaters ist der Debüts von Girardi und Anzengruber zu gedenken. Auf dem Gebiete der Erziehung sind Gaheis und V. E. Milde unvergessen. Propst Anton Kerscbbaumer schrieb die Geschichte seiner Vaterstadt, er ist auch der Gründer des reichhaltigen

Städtischen Museums; eine Besonderheit besitzt Krems in seinem Weinmuseum.

Seit etwa hundert Jahren beherbergt die Stadt auch namhafte industrielle Betriebe (Leder, Maschinen, Teppiche, Tabak, Eisen, chemische Produkte). Die Wertheims und Fischer von Ankern sind allerdings aus Krems abgewandert. Ein Donauhafen erweckt Zukunftshoffnungen, auch der Fremdenverkehr ist in starker Zunahme begriffen. Er findet hier neben den alten Sehenswürdigkeiten neue Brücken, Straßen-

fcorrekturen und -neubauten großen Ausmaßes, Bäder, Sportanlagen und vor allem den neuen Bahnhof. Wein und Obst üben eine ständige Anziehungskraft aus, nicht minder die zentrale Lage, welche eine bequeme Fahrt zu Sehenswürdigkeiten hohen Ranges, wie die Klöster Zwettl und Göttweig, ermöglicht.

Auch als Ausstellungs- und Tagungsort hat sich Krems seit dem Aufkommen solcher Veranstaltungen besonders bewährt. Heuer findet in der Zeit vom 29. August bis 6. September die Niederösterreichische Landesausstellung, verbunden mit einem Wachauer Volksfest, wieder in Krems statt.

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