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Heruler in Österreich

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Die Bedeutung des nordgermanischen Stammes der Heruler (Eruier) für die Frühgeschichte Österreichs und der angrenzenden Länder ist erst im Laufe neuerer Forschungsarbeiten klar geworden. Haben sie auch — zum Unterschied etwa von den Langobarden — blutmäßig wohl nur sehr wenig zur Bildung der heutigen österreichischen Bevölkerung beigetragen, so spielten sie doch durch mehr als 100 Jahre eine größere Rolle Im Nordwesten unseres Staatsgebietes und haben ihre Spuren hier und im unmittelbar anschließenden Raum vielleicht sogar in Form einiger geographischer Namen zurückgelassen.

Aus ihrer skandinavischen Heimat sind immer wieder und wieder herulische Scharen nach dem Süden gezogen, teils Kampf- und Raubgemeinschaften, teils aber auch ganze Stammesteile mit Frau und Kind. Vergleichbar den späteren Wikingern und Warägern, den Normannen, waren sie hervorragende Seefahrer und besaßen auch wie sie eine besondere staatenbildende Kraft, die Gabe, fremde Völkerschaften zu organisieren und unter ihrer Führung zu politischer Bedeutung zu bringen. Ihr erstes Auftreten in der Geschichte erfolgte im ostgotischen Gebiet am Nordufer des Schwarzen Meeres. Hier ist ein herulischer Staatsverband am Gestade der Asowschen See um die Mitte des 4. Jahrhunderts unter ostgotische Botmäßigkeit gekommen. Wir hören, daß der Herulerkönig Alarich damals dem Ostgotenkönig Ermenrich im Kampf unterlag und mit seinem Volk die Selbständigkeit verlor. Kulturell sind jene Heruler in ihren pontischen Sitzen wohl vor allem von seiten der Ostgoten, aber auch von den ihnen im Osten benachbarten sarmatischen Alanen beeinflußt worden.

Der Hunnensturm, der 375 die gotischen Reiche am Pontus und an der unteren Donau zerschlug, hat den Heru-lern vorübergehend die Freiheit wiedergebracht. Es scheint, daß es dem Volk damals gelang, auf dem Weg entlang des Karpatenbogens nach dem Westen zu entkommen und sich im Marchland niederzulassen. Zwischen den Markomannen (in Mähren, Niederösterreich) und den Quaden (in der Slowakei) führt sie die Kosmographie des Julius Honorars in der Zeit gegen Ende des 4. Jahrhunderts an. Der Abzug der westlichen Gaue der Quaden aus dem Gebiet zwischen March und Waag mit dem Van-dalenkönig Godigisel im Jahre 401 mag eine Folge dieser herulischen Invasion gewesen sein; jedenfalls schuf er Platz für die Neuankömmlinge. Die historischen Nachrichten schweigen nun über ein halbes Jahrhundert. Wie alle Germanenvölker der Donaugebiete sind auch die Heruler dann unter Attilas Herrschaft gekommen. Wissen wir doch, daß sie an der großen Befreiungsschlacht dieser Stämme nach dem Tod des großen Hunnenkönigs 453 teilgenommen haben. In der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts saßen sie offenbar als die Ostnachbarn der Rugier im östlichen Niederösterreich, im Räume nördlich und nordöstlich von Wien und in der Slowakei bis an die Waag. Man nimmt an, daß der von Jordan es 469 als „Swebenkönig“ neben Hunimund genannte Alarich in Wirklichkeit ihr Fürst gewesen sei, der im selben

Jahr in der Schlacht an der Bolia in Pannonien gegen die Ostgoten fiel. Es scheint, daß der Sklre Odoakar darauf die Führung der Heruler übernommen hat. Als Beherrscher der Ostnachbarn der Rugier erklärt sich auch sein Besuch beim hl. Severin in Mautern am besten. Wird uns doch auch berichtet, daß es eben seine Heruler waren, die ihn 476 in Italien zum König von Westro^ ausriefen.

Ernst Klebel hat nun bereits vor mehr als einem Jahrzehnt mit guten Gründen die These aufgestellt, daß die Heruler, die nach der Vita Severini von Südböhmen aus in den siebziger Jahren des 5. Jahrhunderts die Stadt Iovaco (bei Aschach an der Donau) plünderten, nicht mit den Donauherulern nördlich Wien identifiziert werden dürften. Es handle sich bei diesen im Gegenteil offenbar um einen Verband, der damals eben oder kurz vorher aus seiner nordischen Heimat neu zugewandert sei. Es waren das jene Heruler, die als Herrenschichte

über die Völker des böhmischen und des benachbarten Raumes das Reich errichteten, das auch die Langobarden umfaßte. Daß sie (wohl nach 472, dem Abzug Odoakars nach Italien) auch mit ihren Landsleuten im Marchgebiet Fühlung aufnahmen, ist klar. Ja wir haben dafür sogar einen kleinen archäologischen Hinweis in Gräberfunden in Leopoldau (die man früher irrig den Rugiern zuschreiben wollte). Denn neben Schwertern von donauländischer Form hat sich dort eine Tonware gefunden, die ausgesprochen skandinavische Charakterzüge aufweist.

487 und 488 hat Odoakar in zwei Feldzügen das Rugierreich an der niederösterreichischen Donau zerschlagen. 489 führte er in Zusammenhang mit der Räumung der östlichen Außengebiete Westroms vor dem Anmarsch Theoderichs die Romanen der Donaustädte nach Italien heim und ließ gleichzeitig die ihm und seinem Bruder Hunwulf untertänigen Germanenstämme Pannoniens, die Bayern, nach dem Westen ziehen. Bald darauf müssen die Langobarden das freigewordene „Rugiland“ besetzt haben. Daß das nicht aus freien Stücken, sondern unter der Direktive der Heruler geschah, wissen wir heute. Im Kampf mit Odoakar hat Theoderich 493 (Jen Sieg davongetragen. Wie uns Isidor von Sevilla berichtet, hat der Gotenkönig nach der Befestigung seiner Stellung in Italien auch die Außenprovinzen des Weströmischen Reiches zu sichern unternommen. So hat er insbesondere in Rhätien die Führerschichte der neu zugewanderten Bayern über die Donau (wohl ins Thüringerreich) hinausgetrieben und, für kurze Zeit wenigstens, die alte römische Grenze hier wiederhergestellt. In Niederösterreich hatten die Heruler inzwischen auch das ehedem von den Rugiern beherrschte (aber niemals besiedelte) Land zwischen der Donau und dem Alpennordfuß in Besitz genommen. An der Erlaf errichteten sie ihre Grenzburg gegen die Bayern beziehungsweise die Ostgoten Theoderichs im Westen. Diese „Herilungoburg“ wird noch in der Karolinger-Zeit erwähnt. Daß ihr Name zwischen 500 und 800 sich aus Herulo-burg in Herilungoburg wandelte, ist bei der allgemeinen Verbreitung, die die Herilungensage damals im Volke hatte, nicht zu verwundern. Die Tatsache, daß die Heruler damals die in ihrem Rücken sitzenden Langobarden nach Osten ins Marchgebiet abschoben, scheint dafür zu sprechen, daß diese Inbesitznahme des Landes südlich der Donau als der Auftakt zu einer beabsichtigten Weiterausbreitung nach Süden zu werten war. Sie waren so weiter vom Schuß und konnten ihnen im Falle der Eröffnung der Feindseligkeiten im Süden nicht unangenehm werden. Theoderich erkannte jedoch die ihm drohende Gefahr und vermochte sie mit oft bewährtem diplomatischem Geschick zu meistern. Er sandte an den Herulerkönig Rodulf eine Gesandtschaft, übermittelte ihm wertvolle Geschenke und verlieh ihm die Würde seines „Waffensohnes“. So mußte denn die Tatenlust der Heruler andere

Wege zur Bewährung ihres Kampfmutes suchen. Das Opfer war das Langobardenvolk, das unter der Führung seines Königs Tatto friedlich seine Äcker bebaute. Aus nichtiger Ursache kam es um 508 zum Kampf; die mit Recht über diesen Friedensbruch empörten Langobarden wehrten sich verzweifelt und konnten einen glänzenden Sieg erfechten. König Rodulf fiel in der Schlacht und damit war das Ende der Heruler-herrschaft an der Donau besiegelt. Die Reste der Unterlegenen flohen ins Oströmische Reich, wurden dort zum Teil angesiedelt oder ins Heer eingereiht, zum Teil zogen sie heim in ihre nordische Heimat.

Die zahlreichen Spuren, die die Langobarden in unseren Gebieten hinterlassen haben, sind durchwegs dinglicher Natur. Von ihren von Seiten der tschechischen Bodenforschung erst im Vorjahr nächst Brünn entdeckten, leider seit alters ausgeraubten Königsgräbern — gewaltigen Bauwerken mit 7 Meter tief in den Boden versenkten Grabkammern — bis zu den zahlreichen Einzelgräbern und Gräberfeldern im nördlichen Niederösterreich und Südmähren zeugen diese Funde vom ausgesprochenen Bauernkriegertum dieses Volkes. Anders die Spuren der Heruler, die keine eigentliche Wohnbevölkerung, sondern eine Herrenschichte mit einzelnen Stützpunkten, insbesondere an den Grenzen ihrer Herrschaftsgebiete, gewesen sind. Ihnen können wir an Bodenfunden bisher bloß die Gräber von Leopoldau mit einiger Wahrscheinlichkeit zuschreiben. Aber sie dürften ihr Andenken hier in anderer Form über die Jahrhunderte hinweg wachgehalten haben. Vom Namen der Herilungoburg an der Erlaf sprachen wir bereits. Es gibt nun aber noch eine ganze Reihe anderer Namen, die man mit den Herulern des 5. Jahrhunderts in Zusammenhang bringen kann. Wir wissen, daß die Wikinger des 9. und 10. Jahrhunderts „Ros“ genannt wurden. Ihr Name ist zum Beispiel in der Bezeichnung für Rußland erhalten geblieben, waren es doch Wikinger, die als erste die slawischen Stämme im heutigen Rußland organisierten und zu machtvollen Reichen zusammenfaßten. Vieles spricht nun dafür, daß diese Bezeichnung „Ros“ bereits für die Heruler jener Frühzeit gebräuchlich gewesen ist. Denn wenn zum Beispiel die Rausche-Mühel im oberösterreichischen Mühlviertel im Mittelalter (1130) Ruzischemuehel hieß, so gibt das zu denken. Warägersiedlungen kennen wir in jenen Gegenden nicht. Doch wissen wir, daß Heruler eben dort bereits zu St. Severins Zeiten aufgetreten sind, wir haben oben schon davon gesprochen. Wenn sich nun an der Ostgrenze des seinerzeit herulischen Machtbereichs, an der Waag, ebenfalls ein ähnlicher Ortsnamen findet, nämlich Dea-kovce, das im 13. Jahrhundert „villa Russorum“ genannt wird, so scheint sich der Kreis zu schließen. Man vermutet, daß nach dem Abzug der Ostgoten aus Pannonien im Jahre 471 die bisher nur nördlich der Donau gesessenen Heruler 6ich zwischen dem Wienerwald und der Raab über den Strom auch nach Süden ausgebreitet haben. Nun liegt am südlichen Donauufer unweit Preßburg der Ort Karlburg, ungarisch Orosvir, und unweit von Gran Ravazd, in dem man das Roßdorf der Karolingerzeit erblickt. Beide Orte enthalten das Wort „Ros“, das man auch hier auf die Heruler zurückführen möchte, deren Ostgrenze zu Ende des 5. Jahrhunderts sie bezeichnen. Für Warägersiedlungen des 10. Jahrhunderts ergeben sich auch hier keine Anhaltspunkte. Denn diese Gegend war damals weder ein besonderes Zentrum noch auch eine Grenze, deren Schutz die ersten Arpaden Wikingern hätten anvertrauen können.,

Hat die Forschung der letzten Jahrzehnte die Bedeutung der Langobarden für die Siedlungsgeschichte unseres Landes klar herausarbeiten können, so scheint nun auch das Wirken der Heruler langsam aus dem Dämmer der Frühgeschichte ins Licht zu treten.

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