6539405-1946_32_11.jpg
Digital In Arbeit

Vorfeier eines Millenniums

Werbung
Werbung
Werbung

Nicht um prunkvolle Feste zu feiern, sondern um uns und die Umwelt daran zu erinnern, welch ein missionarisches Geschehen in tausendjähriger geschichtlicher Entwicklung den Boden dieses Landes für das Abendland geheiligt hat, wird Österreich in wenigen Wochen das Gedenken an die erste urkundenmäßige Nennung seines Namens, also den sichtbaren Eintritt in die neuere europäische Geschichte begehen. Man könnte diese 950-Jahr-Veranstaltung als Einleitung und Vorspruch zu einer nicht mehr ferngerückten Tausenjahrfeier Österreichs bezeichnen.

In dem sogenannten Milleniumsjahr 1896 beging Ungarn seinen tausendjährigen Staatsbestand mit Festlichkeiten von unbeschreiblichem Glänze. Eine lange Friedenszeit unter Kaiser Franz Joseph und im Rahmen der alten Monarchie hatte ihm dieses Glück gewährt. Was sich in den 50 Jahren seit jenen stolzen ungarischen Manifestationen ereignet hat, die Umwälzung der mitteleuropäischen Ordnung, .setzt Österreich in eine andere Lage, als sie Ungarn in seinem Milleniumsjahr genießen konnte, aber es verpflichtet vielleicht um so mehr zu der Besinnung auf Werden, Wachsen und europäische Leistung innerhalb dieser bald tausend Jahre. Wieder zu einem kleinen Lande geworden, fast wie damals, ist heute Österreichs Mission ebenso schicksalhaft im europäischen Sinne wie damals.

Als der Name Ostarrichi zu Ende des Jahres 996 für uns zum ersten Mal urkundlich verbrieft überliefert wurde, hatte es geraume Zeit schon tatsächlich bestanden. Geschaffen wurde Österreich als organisierte Markgrafschaft schon etwa 40 Jahre vorher, und zwar zweifelsfrei unmittelbar nach der Schlacht am Lechfeld im Jahre 95 5. Entweder noch im gleichen Jahre dieser folgenschweren Abwehrschlacht, die bekanntlich am Laurentiustage, dem 10. August, jenes Jahres geliefert worden war, oder doch im darauffolgenden Jahre 956 werden mit der Bestellung eines neuen Markgrafen die Anfänge einer neuerlichen staatlidien Gesamtverwaltung für das durch jene Schlacht befreite Gebiet gelegt worden sein.

Über die Neubestellung eines Markgrafen sind keine zeitgenössischen Geschichtsquellen erhalten geblieben, wie leider audi aus dem ganzen langen Zeitraum vorher, aus der Zeit zwischen der Schlacht bei Preßburg im Jahre 907 und jener am Lechfeld bei Augsburg wenig auf uns gekommen ist, das uns über die Verhältnisse im Donaugebiete vor 955 Kunde geben würde. In der Schlacht bei Preßburg war das bayrische Heer von den Ungarn fast völlig aufgerieben worden, auch die darauffolgenden Jahre war das ganze Gebiet der bisherigen großen karolingischen Ostmark bis westwärts über die Enns hinaus, bis zum Ipfbach, unter der Herrschaft der hunnischen Sieger. In dem barbarischen Düster, das sich in diesem halben Jahrhundert über alles besetzte Land herabsenkte, verlöschten fast alle geschichtlichen Spuren.

Über das halbe Jahrhundert vor der Schlacht am Lechfeld besitzen wir nur erzählende Berichte, die aber aus späteren Tagen stammen, doch keinen Anlaß zu kritischen Bedenken geben. Nach dem einen Bericht hatte Bischof Drakolf von Freising im Jahre 926 eine Reise ins Donaugebiet unternommen, offenbar der hiesigen freisin-gischen Besitzungen halber, und war hiebei im Donaustrudel bei Grein zugrunde gegangen; gemäß der anderen Nachricht habe Arnulf, der bekanntlich von etwa 907 bis 937 Herzog von Bayern' gewesen war, dem Kloster Nieder-Altaich auch „in Austria“ Grundbesitz entzogen (Zibermayr, S. 381). Diese beiden Berichte zeigen, daß in der Landschaft unter der Enns auch nach dem Jahre 907 nicht nur Reisen möglich waren, sondern auch die Wirtschaft auf kirchlichem Grundbesitz weiterbetrieben wurde, daß sogar Regierungshandlungen des Bayernherzogs hierselbst gegen Klosterbesitz durchgeführt werden konnten. Die unter der Herrschaft der Ungarn stehende und gelegentlich ihren Plünderungszügen ausgesetzte Landschaft hatte also in der ersten Hälfte der Ungarnepoche von 907 bis 955 noch immer Siedlungen und Wirtsdiaftstätigkeit aufzuweisen. Freilich nach 955 mag in der neuen Mark ein ganz anderes Leben eingesetzt haben; allüberall werden sich hier wohl in der befreiten Mark neue Kräfte unter der neuen Markverwaltung geregt haben.

Wenn wir auch über das genaue Datum und sonstige Umstände der Einrichtung der neuen Mark Ostarridii keine quellenmäßige Nachricht besitzen, so vermögen wir uns doch immerhin ein klares Bild zu machen wenigstens über die Ausdehnung, über die Grenzen dieser neu eingerichteten Markgrafschaft. Das Nibelungenlied führt sowohl die West-, als auch die Ostgrenze für den Amtsbereich an, über welchen der Markgraf Rüdiger von Pechelaren gebot. Nach den neuesten Forschungen (Ignaz Zibermayr: „Noricum, Bayern und Österreich“) darf man nunmehr endgültig annehmen, daß jene im Liede angeführten Grenzen den tatsächlichen Grenzen der historischen Mark Österreich entsprachen, und zwar für die Zeit des Bischofs Piligrim (seit 971 Ober-hirte des Hochstiftes Passau), in dessen Bistumssprengel auch die Mark Österreich eingeschlossen war; gerade dieser Passauer Bischof war es nun bekanntlich, in dessen Auftrag die Sage von den Nibelungen in einer lateinischen Niederschrift aufgezeichnet worden war, die Grundlage für die erst um das Jahr 1200 endgültig zum Abschluß gelangte mittelhochdeutsche Dichtung.

Die neue, offenbar 9 5 5/5 6 eingerichtete Mark wird demgemäß ursprünglich gereicht haben von der West-erstreckung des Lorchfeldes (somit vom Ipfbach im heutigen Oberösterreich) bis zum großen Tulln im Osten, vom Donautal im Norden bis zu den Alpenbergen im Süden (Zibermayr a. a. O., S. 382 und 384).

Ob schon damals (955/56) der neue Herr bereits der später genannte Markgraf Burkhard gewesen ist, ist heute nicht mit Sicherheit zu sagen. Denn auch aus den 21 Jahren seit der Schlacht am Lechfeld bis zum Erstauftreten des ersten babenbergischen Markgrafen Luitpold (976) haben sich bloß zwei Geschichtsquellen (allerdings zeitgenössische) über unsere Mark erhalten, die beide nun den damaligen Markgrafen auch ausdrücklich nennen: die eine ist eine sogenannte Traditionsnotiz über eine Besitzwidmung an die Bischofskirche von Passau unter Bischof Adalbert, der von 945 bis 971 regierte; von letzterem wird nun in der Notiz ausdrücklich festgestellt, daß er „sub Burdbardo marchione“ (unter dem Markgrafen Burkhard) Bischof von Passau gewesen sei. Die zweite Quelle ist eine Urkunde Ottos L, des Großen, vom Jahre 972, ausgestellt ebenfalls für das Bistum Passau, über einen Besitz in der Wachau, gelegen in der Grafschaft des Markgrafen Burkhard. Jedenfalls ist er der erste bekannte Herrscher in dem nun bald tausendjährigen Österreich gewesen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß er gleichzusetzen ist dem Burggrafen Burkhard von Regensburg.

Von den gewaltigsten Folgen war es aber, daß nach ihm durch mehr als ein Vierteljahrtausend eine einzige Familie die Geschicke des jungen Österreich lenkte, das Haus 3er Babenberger, das In einer einheitlichen, zielstrebigen und folgerichtigen Politik sein Herrschaftsgebiet Österreich zu Ansehen und Macht emporführte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung