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Der heilige Markgraf

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So populär auch die Gestalt des heiligen Markgrafen Leopold in Österreich sein mag, sobald ein Österreicher von Ausländern gefragt wird (und das kommt öfter vor), worin denn nun eigentlich die Heiligkeit dieses österreichischen Patrons bestanden habe, wird der Gefragte verlegen und weiß nicht viel mehr zu berichten, als daß er fromm und wohltätig gewesen sei und einige Klöster gegründet habe. Dies sind nun gewiß Kennzeichen eines guten Christen, aber sehr viele Fürsten des Mittelalters übten die gleichen Tugenden, ohne deshalb gleich zur Ehre der Altäre erhoben zu werden. Und so geschah es auch schon öfter, daß man ganz offen diesen religiösen Minimalismus, dieses durchschnittliche Christentum als kennzeichnend für unser Land ansah, als typisch österreichische Haltung. Und doch zeigte dieser Mann als christlicher Fürst eine Größe, die wenige seiner Zeitgenossen erreichten. Aber freilich, das wissen wir Österreicher nicht.

Was wissen wir denn überhaupt vom heiligen Leopold? Nicht viel mehr als die romantische Gründungslegende des Stiftes Klosterneuburg: kurz nach seiner Hochzeit im Jahre 1106 stand Markgraf Leopold eines Tages mit seiner Gemahlin, der Kaisertochter Agnes, auf dem Söller seiner Burg, hoch oben auf dem Kahlenberg (dem heutigen Leopoldsberg). Die Luft war ganz still, doch da fuhr plötzlich ein heftiger Windstoß daher, packte den Schleier der

Markgräfln und trug ihn davon. Alles Suchen half nichts, das kostbare Gewebe, das der hohen Frau sehr teuer war, blieb verschwunden. Neun Jahre später jagte der Markgraf in den Auen der Donau, als seine Hunde plötzlich anschlugen. Er kam näher, und siehe, da hing an einem Holunderbaum der Schleier seiner Gattin, so unversehrt, als wäre er erst heute hierhergekommen. Und es erschien dem Markgrafen die Gottesmutter und befahl ihm, dies als Zeichen anzusehen und ihr an dieser Stelle ein Gotteshaus zu weihen. So erbaute er das Kloster „zur neuen Burg“.

Diese Legende ist erst 1371 zum erstenmal nachweisbar und entspricht keineswegs den historischen Tatsachen. Hier sei nur so viel angedeutet, daß Klosterneuburg nicht erst neun Jahre nach der Hochzeit des Markgrafen, sondern wohl schon um 1100 gegründet wurde. Zudem stand seine Burg nicht auf dem Kahlenberg — das dortige Schloß ist viel späteren Ursprungs —, sondern wurde von ihm unmittelbar neben dem Stift in Klosterneuburg errichtet. In den Höfen einiger Häuser kann man noch die Reste der bedeutenden Anlage sehen. Und drittens war dieser Platz längst kein Auwald mehr. Schon die Kelten und die Römer saßen hier, und zu Leopolds Zeiten war das Gelände dicht verbaut, wie Ausgrabungen der letzten Jahre erwiesen haben. Zur Jagd gab es hier keine Gelegenheit mehr.

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