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Österreichs unbekannteste Römerstadt

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Bei den Restaurierungsarbeiten am Dom zu St. Pölten, dessen ursprünglich romanischer Bau unter Probst Johann Michael Führer durch Jakob Prandtauer eine durchgreifende Barockisierung im Innern erfahren hat, stieß man bei einer Kabellegung unter dem Fußboden der Domherrensakristei auf eine gut erhaltene hochgotische Apsis. Um sie zugänglich zu machen, wurde vom Kreuzgang aus ein Einsteigschacht ausgehoben. Dabei wurde wieder eine römische Schichte angefahren. Da die Möglichkeit bestand, daß altchristliche Reste zutage kommen, wurde im Einvernehmen mit dem österreichischen Archäologischen Institut eine genaue Untersuchung vorgenommen, die an dieser Stelle zwar keinerlei römisches Mauerwerk ergab, wohl aber eine stärkere römische Schuttschichte; sie war vor allem durch die ungewöhnlich große Zahl von SigÜlatascherben (we’it über 2000), die hier auf einem kleinen Raum gefunden wurden, bemerkenswert. Ein Teil der Scherben sowie zu Klumpen verschmolzene Glasreste zeigten Brandspuren. Da die Keramik (Lesoux- und Rheinzaberner Ware, dazu viele sogenannte rätische Gefäße) nicht jünger ist als das 2. Jahrhundert n. Chr., liegt die Vermutung nahe, daß es sich um Brandschutt handelt, der mit Zerstörungen durch die Markomanneneinfälle unter Kaiser Marc Aurel zusammenhängt.

Bischof Memelauer und Prälat Frank’ brachten den Grabungen größtes Interesse und tatkräftigste Unterstützung entgegen. Ihnen ist es zu verdanken, daß anschließend auch im Kreuzgarten selbst eine systematische Grabung, die erste auf dem Boden von St. Pölten überhaupt, vorgenommen werden konnte. Daß diese Grabungen vor allem für die Baugeschichte des ehemaligen Chorherrenstiftes, das heute als bischöfliche Residenz idient. eine ganz besondere Bedeutung hatten — wurden doch große Teile des hochromam- schen Baues von 1150 aufgedeckt —, soll hier nur nebenbei erwähnt werden. Wichtig für den A.chäologen war es, daß erstmals in St. Pölten zweifellos römische Mauern angeschnitten wurden. So fand sich gleich im ersten Suchgraben in einer Tiefe von 2Vi m ein größeres Mauerstück eines Gebäudes, das wohl als Wirtschaftsgebäude gedient haben mag, da nur der Sockel gemauert war, während das Aufgehende aus Holz mit Lehmverputt bestand. An anderen Stellen waren die Mauern wesentlich besser erhalten und reichten stellenweise noch bis l’A m unter das heutige Niveau herauf. Auch im Innern der Kirche, in der romanischen Rosenkranzkapelle, deren ursprünglicher Charakter bei den Restaurierungen in besonders feiner Weise wiederhergestellt wurde, konnte eine Sondierung vorgenommen werden, wobei eine starke Schichte von römischem Dachziegelbruch angeschnitten wurde, ein Beweis, daß also auch der Dom selbst auf römischem Boden steht. Wenngleich an einer Stelle Reste eines spätrömischen Estrichbodens zutage traten, so ergaben die Grabungen bisher doch keinerlei altchristliche Funde. Auch vom vorromanischen, karolingischen oder ottonischen Bau konnten einstweilen keine sicheren Teile festgestellt werden, es sei denn, daß die Ansätze zu einem Apsisgewölbe in der Rosenkranzkapelle diesem zuzuschreiben wären.

Bei den schwierigen Verhältnissen, unter denen die Grabungen vor sich gingen, ist es begreiflich, daß aus den einzelnen römischen Mauerresten, die von der mittelalterlichen Überbauung verschont geblieben waren, noch kein zusammenhängendes Bild der antiken Besiedlung gewonnen werden konnte. Gleichwohl sind die Ergebnisse von wesentlicher Bedeutung. Konnte doch heuer endlich d i e Frage, wo das römische Munici pium Aelium Cetium zu lokalisieren sei, einwandfrei gelöst werden. Lange war es überhaupt strittig, wo Cetium lag. Mommsen batte seinerzeit an Mautern bei Krems gedacht, das jedoch mit Favianae zu identifizieren ist. Dann wurden Traismauer, Zeiselmauer und andere Orte genannt, bis schließlich Wilhelm Kubi- tschek auf Grund des wohl noch in situ stehenden Meilensteines von Nietzing, der eine Entfernung von 26 römischen Meilen von Cetium angibt, diese Frage zugunsten von St. Pölten löste. Allein mangels ausreichender Funde daselbst blieb auch hier die genauere Lage der römischen Stadt umstritten. Man setzte sie auf der sogenannten Galgenleite westlich der heutigen Stadt an, wo eine prähistorische Siedlung festgestellt worden ist (E. Nowotny), meinte dann wieder, sie sei von der Traisen im Laufe der Jahrhunderte weggerissen worden (E. Klebel) usw. Richtiger hatte sie A. Klaar auf dem Gebiet zwischen der Bahn, Grenzgasse, Brunnenhof des Stiftes und Hofstatt angesetzt, wobei die Klostergasse und Ofnergasse etwa die Richtung der antiken Hauptstraßen, des cardo und decumanus, bezeichnen würden. Die merkwürdig gekrümmte Grenzgasse, die an die Wiener Naglergasse erinnert, die ja auch dort die Grenze des römischen Lagers angibt, ist gewiß auffallend, könnte eventuell tatsächlich auf eine spätantike Stadtmauer zurückgehen, falls Cetium, das keine militärische, sondern lediglich eine zivile Siedlung war, in der Spätantike einen Mauergürtel erhalten hat. Jedenfalls aber reichte die Besiedlung im 2. Jahrhundert n. Chr., also vor den Markomanneneinfällen, wie die heurigen Grabungen gezeigt haben, darüber hinaus, da der Dom selbst schon außerhalb -des umschriebenen Bezirkes liegt. Auch beim Bau des Hotels Pittner sollen seinerzeit römische Mauern angeschnitten worden sein, desgleichen konnten heuer in einem Keller eines Hauses an der Wiener Straße Mauerreste festgestellt werden, die vermutlich römisch sind.

Was wir bisher an römischen Funden aus

St. Pölten kennen, ist übrigens nicht so wenig, wenn es sich auch nur um Gräber oder Einzelfunde von Münzen un’d dergleichen handelt. Die Fundnachriditen sind leider sehr zerstreut und nie gesammelt worden. Aber schon der um die Geschichte von St. Pölten hochverdiente Theologieprofessor Dr. Johann Fahrngruber hat in seinem 1885 erschienenen Buch „Aus Alt-St. Pölten" darauf hingewiesen, daß sich die römischen Funde mehren, je näher man dem Domterritorium komme. Wenn man bedenkt, daß die römischen Schichten, die heuer in St. Pölten angeschnitten wurden, rund 2A m tief liegen und nur in vereinzelten Fällen näher an die Oberfläche heranreichen, daß überdies das Gebiet der antiken Stadt unter der modernen liegt, wird man verstehen, daß es bisher nicht gelingen wollte, das alte Cetium zu finden.

Während das vorrömische Cetium, wie erwähnt, wahrscheinlich auf der Terrasse westlich der Stadt lag, wo auf der Galgenleiten eine jungsteinzeitliche und eine hallstättische Siedlung gefunden wurden, haben die Römer, wie auch sonst so oft, den Ort in die Ebene, in die Nähe des Traisenüberganges, verlegt. Unter Hadrian hat dieser dann das Stadt recht bekommen. Wie das heutige St. Pölten verdankt auch das alte Cetium seine Entwicklung sowohl der günstigen Lage am Flußübergang wie auch der Tatsache, daß sich hier zwei wichtige alte Handelswege kreuzten: die alte Westostverbindung, die etwa der heutigen Westbahn und der Reichsstraße entspricht — römische Gräber in der Radetzky- und Andreas-Hofer-Straße sowie am Eisberg zeigen ihre Richtung an —, und die aus den Salz- und Eisenlagern ln den Alpen kommende und entlang der Traisen an die Donau führende Südnordlinie.

Auf eine Frage konnte heuer freilich noch keine vollkommen befriedigende Antwort erzielt werden. Haben die Tegernseer Benediktiner bei der Gründung ihres Klosters zu Traisma noch an antike Bauten angeknüoft? Es ist jedenfalls bezeichnend, daß der Klosterbau von 1150, der sicherlich auf älteren Bauten fußt, genau dieselbe Orientierung zeigt wie die römischen Mauern.

Es war nur ein erster Anfang, der heuer mit der Erforschung von Cetium gemacht wurde, allein das rege Interesse, das die Grabungen in weiten Kreisen der Bevölkerung ausgelöst haben, läßt hoffen, daß nunmehr das Eis gebrochen ist und daß auch die bisher unbekannteste Römerstadt auf österreichischem Boden allmählich aus dem Dunkel der Geschichte heraustritt.

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