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Die Fabrik als Kulturdokument

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Daß auch Industriebauten Objekte sein können, für die sich der Denkmalschutz interessieren muß, spricht sich erst in den allerletzten Jahren herum. Immerhin denkt heute niemand mehr daran, die letzten Vordemberger Radwerke, die stillgelegten alten Anlagen der Hirter Brauerei oder die noch aus dem vorigen Jahrhundert stammenden ältesten Simmeringer Gasometer abzureißen (letzteres stand allerdings noch vor kurzem zur Disposition). Wie auf so vielen anderen Gebieten, hat Österreich auch hier eine Pionierstellung - wie so viele Avantgardeleistungen Österreichs, wird auch diese kaum zur I emithis genömmieiiu Faktum ist aber, daß im Bundesdenkmalamt schon in der Zwischenkriegszeit ein eigenes Referat die Einbeziehung reiner Zweckbauten in den Denkmalschutz in Angriff nahm - allerdings über längere Perioden kaum Lebenszeichen von sich gab.

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Daß auch Industriebauten Objekte sein können, für die sich der Denkmalschutz interessieren muß, spricht sich erst in den allerletzten Jahren herum. Immerhin denkt heute niemand mehr daran, die letzten Vordemberger Radwerke, die stillgelegten alten Anlagen der Hirter Brauerei oder die noch aus dem vorigen Jahrhundert stammenden ältesten Simmeringer Gasometer abzureißen (letzteres stand allerdings noch vor kurzem zur Disposition). Wie auf so vielen anderen Gebieten, hat Österreich auch hier eine Pionierstellung - wie so viele Avantgardeleistungen Österreichs, wird auch diese kaum zur I emithis genömmieiiu Faktum ist aber, daß im Bundesdenkmalamt schon in der Zwischenkriegszeit ein eigenes Referat die Einbeziehung reiner Zweckbauten in den Denkmalschutz in Angriff nahm - allerdings über längere Perioden kaum Lebenszeichen von sich gab.

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Im Historischen Museum der Stadt Wien findet gegenwärtig (bis 27. Februar) eine vom Leiter dieses Museums, Robert Waissenberger, gestaltete Schau „Beispiele früher Industrie- und Nutzbauten in Wien“ statt, die - ebenso wie schon die Ausstellung „Beispiele früher Ingenieurbauten in Wien - Eisenkonstruktionen“ vor knapp zwei Jahren - nicht nur dokumentieren, sondern auch bewußtseinsbildend wirken, das Problembewußtsein schärfen will.

Die Auswahl des gezeigten Materials ist freilich hauptsächlich vom historischen Zufall bestimmt, denn ausstellen kann man nur das Erhaltene. Nun gab es aber im vorigen Jahrhundert nur wenige Photographen, die Fabriken oder gar die häßliche und inhumane Industrie-„Landschaft“ ihrer Zeit für lohnende Objekte hielten, und erst recht die Maler sparten diese

Dinge aus, wo sie konnten. Möglicherweise ist die starke Stellung der romantischen, idyllisierenden Malerei des vorigen Jahrhunderts ja nicht zuletzt als Reaktion auf eine Umweltzerstörung zu verstehen, die wir uns kaum mehr vorstellen können. Ein kunsthistorischer Faktor, der heute eben deshalb nicht „ins Auge fällt“, weil die Industrialisierung literarisch sehr viel stärker als optisch festgehalten wurde:

„Beispielsweise bot das Stadtbild an der Wien einen geradezu völlig desolaten Eindruck. Noch war das Flußbett nicht reguliert, teilweise bestanden hohe Kaimauern. Andere Bauten lagen an flachen Ufern. Baukörper verschiedener Art schlossen aneinander, unmittelbar Wohn- an Fabrikshäuser, Lagerhallen an Werkstätten, relativ geplant errichtete Gebäude an adaptierte und improvisiert zusammenge setzte. Typisch war auch die Fülle von Fabriksschornsteinen, deren große Anzahl dadurch zu erklären ist, daß die Dampfmaschine eben das Hauptantriebsmittel für die Maschinenanlagen war. Man sah in die Hinterhöfe mancher Häuser, zwischendurch befand sich mitunter noch ein Hausgarten, daneben stand eine gleichsam improvisiert errichtete Werkhalle, dahinter ragte die hohe Feuermauer eines Gründerzeithauses auf. Eine solche Mischung unterschiedlicher Baukör- . per stand aber letzten Endes doch wiedęr in einem immer noch ländlich geprägten Landschaftsbild, das den’ gesamten Wienflußlauf von Hietzing bis zur Inneren Stadt charakterisierte. Vielfach befanden sich auch noch Ziegelgruben und daneben gleich ein kleiner Ziegelbetrieb, wo man das Rohmaterial gleich verarbeitete, das man in dieser Zeit der rasch expandierenden Stadt dringend benötigte. Es gab Trockenschuppen und Förderbänder und in der Mitte aufragend immer wieder den typischen, überhohen Fabriksschornstein. Auch an den Augebieten, die man sich vielfach noch völlig unberührt vorstellt, befanden sich bereits Industriebauten, und hie und da bildete eben ein neu errichteter Fabriksbau zur umliegenden Landschaft einen scharfen Kontrast. Dieses willkürlich wirkende Nebeneinander von bäuerlichen Betrieben, Gärtnereien und industriellen Bauten hat sich beispielsweise in Simmering noch bis ins 20. Jahrhundert erhalten“ (Waissenberger).

Nur zu begreiflich, daß der Wunsch, Dokumente dieser Entwicklung zu erhalten, erst sehr spät aufkam. Die ersten vom Bundesdenkmalamt in den dreißiger Jahren unternommenen Se lektionsversuche werden heute von mancher Seite als viel zu wenig weitgehend abqualifiziert, was aber ungerecht ist, da sie „sich am Maximum des damals Durchsetzbaren orientierten“ (Präsident Thalhammer vom Bundesdenkmalamt), um nicht die Sache als Ganzes mit dem Odium der Lächerlichkeit zu belasten. Ein Denkmalschutz für die Stadtbahnbauten von Otto Wagner war damals noch kaum diskutierbar - die Zerstörung der Stadtbahnstation Hietzing in den frühen sechziger Jahren - allerdings bereits längst ein Vandalenakt, denn damals war der Wert dieser Bauten bereits erkennbar.

Für den Wert von Zweckbauten als Denkmal gibt es vor allem zwei Kriterien: ihr Stellenwert in der Entwicklung der Industriearchitektur und ihr ästhetischer Wert. Relativ wenige Objekte sind nach beiden Kriterien gleicherweise schutzwürdig - daß die Stadtbahnbauten von Otto Wagner zu dieser kleinen Gruppe gehören, ist erst seit ganz wenigen Jahren unangefochten.

Dabei ist aber zu beachten, daß sich die Arbeit der Denkmalschützer keinesfalls auf die Erhaltung der relativ wenigen Objekte beschränken darf, deren Schutzwürdigkeit bereits allgemein einleuchtet. Einerseits ist es oft erst nach langen Untersuchungen möglich, festzustellen, welche unter den noch erhaltenen Anlagen einer bestimmten Art tatsächlich einen Entwicklungssprung oder den Höchststand einer Entwicklung dokumentieren - anderseits aber geht es gerade hier nicht nur um die Erhaltung, sondern vor allem auch um die wissenschaftliche Erfassung dessen, was nicht erhalten werden kann.

Noch viel weniger als eine ganze Stadt kann eine noch in Betrieb stehende Fabrik zum Museum gemacht werden - zumal schon die Größe etwa einer eisernen Hallenkonstruktion, deren Erhaltung an sich wünschenswert wäre, der Erfüllung dieses Wunsches entgegensteht. So erscheint es zum Beispiel auch ökonomisch unproblematisch, Radwerke zu erhalten, wo es noch welche gibt - solange das Eisen in Österreich mit Holzkohle verhüttet wurde, wanderten die Hütten den Holzbeständen nach, zum Teil aüfStändcrrte extremer Entlegenheit, wo elfte efhaltengebliebene Anlage niemanden behindert. Sie kann sogar, wie in Eisenkappen, wo ein sanierter „Ofenstock“ zum Wahrzeichen wurde, zu einem Faktor des Fremdenverkehrs werden.

Ganz anders sieht die Sache aus, wenn die Erhaltung einer historisch bedeutenden Anlage die Entwicklung eines Betriebes blockieren würde. In solchen Fällen muß man sich mit der Vermessung und photographischen Dokumentation begnügen.

Es gibt natürlich Grenzfälle. Die (zum Teil innerhalb von wenig mehr als zwei Monaten errichteten) gemauerten Gasometer im Simmeringer Gaswerk sind beispielsweise nicht nur wichtige Zeugnisse der Industriearchitektur des ausgehenden 19. Jahrhunderts und ihrer romantisierenden und bemäntelnden stilistischen Bemühungen (gut 50 Jahre früher baute ein William Lindley in Hamburg „nackte“ Gasbehälter, wie man sie heute längst wieder errichtet). Ein gewichtiges Argument für den Schutz dieser Simmeringer Gasometer ist ihre Funktionalität: Hier ist keine „Revitalisierung“ nötig, da sie niemals außer Betrieb gestellt wurden und noch sehr lange verwendet werden; können - wenn man sie instandhält. (Leider verschwand nach dem Zweiten Weltkrieg, als man es nicht besser wußte oder wissen wollte, ein Teil des gußeisernen Dekors über den Toren und auf den Bekrönungen der Fassaden - eine Wiederherstellung sollte in Betracht gezogen werden!)

Ein echter Grenzfall hingegen sind die Apparaturen im „Regulatorenhaus“ (heute „Reglerhaus“), die mitsamt dem darunterliegenden Labyrinth gewaltiger Gußrohre dem Vernehmen nach schon sehr bald dem Fortschritt zum Opfer fallen sollen. Hier wäre zu prüfen, wo es außerhalb Wiens überhaupt noch solche „technische Fossilien“ gibt - möglicherweise bietet sich die Transferierung zumindest in einen Lagerraum des Technischen Museums an; wenigstens von einem Teil der Geräte.

Aus der frühesten Industrialisierungsperiode gibt es in Österreich - so Professor Frodl, der an der Technischen Universität dem Institut für Kunstgeschichte und Denkmalpflege vorsteht - „sehr wenige charakteristische Objekte, eigentlich nur klägliche Reste“. Anderseits hat auch jede spätere Epoche charakteristische Zeugnisse hinterlassen, die man, wie auch anders, immer mehr zu schätzen lernt, je jnehr ihre Zahl zusammenschmilzt Das Traurige daran ist, daß die massive Brutalselektion durch den technischen Fortschritt oft gerade die frühen und daher im Rückblick bedeutendsten Zeugnisse einer technologischen Entwicklung zuerst wegräumt.

Das meiste, was in der Ausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien in zeitgenössischen Darstellungen zu sehen ist, verschwand schon vor langer Zeit. Da industrielle Anlagen, aber auch Verkehrsbauwerke, * Wassertürme und Leitungen, Brücken und so weiter nur sehr bedingt zu Technischen Museumsstücken gemacht werden können, soll das Vorhandene wenigstens wissenschaftlich katalogisiert werden. Einerseits, um zu dokumentieren, was nicht erhalten werden kann - aber auch, weil ein gezielter Schutz nur möglich ist, wenn man die volle Spannweite der vorhandenen Objekte kennt. Anders istįjąihr ‘Stellenwert; in der’ Entwicklung nicht feststellbar!

Diese wichtige Arbeit wurde kürzlich in Angriff genommen, sie wird von Manfred Wehdom, Assistent im Institut für Kunstgeschichte und Denkmalpflege, durchgeführt, vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und von Pro Austria No- stra finanziert und soll zwei Jahre dauern. Die Vorstudien führten, nach dreimonatiger Reise durch Österreich und einjähriger Aufarbeitung der Ergebnisse, zur Publikation „Die Baudenkmäler des Eisenhüttens in Österreich“ von Manfred Wehdorn - die demnächst in einem bundesrepublikanischen Verlag erscheint!

Was nun in Gang ist, ist nicht mehr und nicht weniger als eine Katalogisierung sämtlicher „historischer“ Objekte in Österreichs Industrie mit Vermessung, photographischer Dokumentation, Aufnahme der Baugeschichte, technischer und funktioneller Beschreibung und denkmalpflege- rischer Charakterisierung und Wertung. Eine Arbeit von erstrangiger Bedeutung, die zumindest rund eintausend Objekte erfassen wird.

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