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Als Zeugen erhalten, neu nutzen

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In der Mitte des 19. Jahrhunderts intensivieren sich in vielen Ländern Europas die Bestrebungen zur Erforschung und Pflege der Werke historischer Baukunst. Vorerst an den Schöpfungen des klassischen Altertums - in unseren Ländern auch der archäologischen Überreste der Römerzeit - sowie den Klöstern, Domen und Burgen des Mittelalters interessiert, erfaßt diese Bewegung allmählich auch die Bürgerund Bauernhäuser als Gegenstände eines nun umfassenderen Kulturbegriffes, um zuletzt in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auch auf die Zeugnisse von Technik und Wirtschaft (Technische Denkmale genannt) mit ihrer besonderen sozialgeschichtlichen Komponente ausgedehnt zu werden.

Erbe der Arbeitswelt

Durch wachsende Schulbildung und das Informationsangebot der Massenmedien wurde das Interesse an den Zeugnissen der eigenen Geschichte und Kultur in immer breiteren Bevölkerungsschichten geweckt. Während der Kulturtourismus zu den international anerkannten Höhepunkten führt, erfahren die Gegenstände der Wirtschafts-, Technik- und Sozialgeschichte vor allem bei den Bewohnern ihres Umfeldes Beachtung, abgesehen von der Begeisterung, die die sogenannten Industriearchäologen bekunden.

In dem Maße als den Menschen der Stellenwert der Arbeitswelt in unserem Leben bewußter wird, erhalten die Zeugen vergangener Arbeitswelten wachsende Bedeutung als Teil des kulturellen Erbes. Damit werden sie auch iden-titätsstiftend in einer Zeit, in der die Internationalisierung der Wirtschaft nun als Gegenbewegung die Regionali-sierung als Mittel der Identitätsbewahrung auslöst.

Bauwerke, wie etwa die kleine Dorfschmiede oder der massige Komplex einer ehemaligen Textilfabrik, werden zu Denkmälern der Ortsgeschichte, wie es früher die alte Kirche oder die malerische Burgruine waren. Sie werden zu Fixpunkten, an denen sich Geschichte, vor allem die des eigenen Ortes beziehungsweise der Region, „festmachen” läßt, das heißt, an sichtbaren Zeugnissen lebendig wird.

Besonders signifikant und optisch wirksam sind dabei die Fabriksbauten des späten 19. Jahrhunderts, als sich mit

Tuchfabrik

Pottenstein, Dampfkraftwerk Muthgasse und die Remise Vorgarten als Beispiele

der Rohziegelbauweise eine eigene Stilrichtung entwickelte, die sich klar von der in historischen Stilen schwelgenden Repräsentations- und Wohnhausarchitektur unterscheidet.

Die großvolumigen Fabriksbauten im zu Ende gehenden 18. Jahrhundert bis weit hinein in das 19. Jahrhundert, im Zeitalter der „Industriellen Revolution”, waren vor allem hier in Mitteleuropa noch ganz am Schloßbau dieser Zeit orientiert: Eh-renhofartige Anordnung der Baukörper, repräsentative Fassadengestaltungen und herrschaftlich wirkende Mansarddächer.

Den Formen des Barock folgen solche des Klassizismus und - vor allem im Eisenhüttenwesen - sogar die einer einfachen Neugotik (Industriegotik). Ab 1850 werden die Fabriksbauten nüchterner, aber infolge ihrer typischen Gestaltungselemente wie der großflächigen Eisensprossen-fenster sowie einer aus Putz-und Ziegelelementen kombinierten Fassadengestaltung, immer signifikanter. Die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts bis in die Zeit nach der Jahrhundertwende sind dann durch die „klassischen”, oft reich gegliederten, reinen Ziegelarchitekturen gekennzeichnet, wie wir sie etwa von den monumentalen Gasometerbauten in Wien-Simme-ring kennen.

Kein Recycung

In der Folge wurde dieser Weg wieder verlassen, Industriebauten werden nun oft von im Wohn-Repräsentati-onsbau erfolgreichen Architekten in eben dieser Art und mit diesen Stilmitteln gestaltet. Als Beispiele seien zwei Otto-Wagner-Schüler herausgegriffen, nämlich Mauriz Balzarek mit seinem an die Wiener Stadtbahnarchitektur gemahnenden Elektrizitätswerk in Steyr-Durchbruch in Oberösterreich, und Hubert Gessner, der neben den Hammerbrotwerken in Schwechat noch eine Reihe weiterer Fabriken plante.

Die Erhaltung derartiger Bauwerke ist, wenn sie ihre ursprüngliche Nutzung verloren haben, meist äußerst schwierig. „Revitalisierung”

lautet das heute vielzitierte Schlagwort, doch enden solche Unternehmungen - wenn die Gegebenheiten einfach nicht zusammenstimmen wollen - mitunter in einem reinen „Architekturrecycling” (Manfred Wehdorn). Das heißt, es wurde Bausubstanz erhalten, aber die Architektur wesentlich, mitunter bis zur Unkenntlichkeit verändert.

Ein äußerst positives Beispiel einer erfolgreichen Revitalisierung stellt die neue Straßenmeisterei in Pottenstein, Niederösterreich, dar. Zuerst war ein Neubau auf grüner Wiese geplant. Dann beschloß aber die NÖ-Landes-regierung für diesen Zweck die nahezu abbruchreife „alte Tuchfabrik” in Pottenstein anzukaufen, um dieses mit der Geschichte des Ortes eng verbundene Industrieensemble im Sinne engagierter Ortsbildpflege zu erhalten.

Neunutzung schwierig

Die Revitalisierung brachte nicht nur ein „Herausschälen” der eigentlichen, historischen Bausubstanz, sondern auch eine durchgreifende Sanierung des gesamten durch frühere Nutzungen verschiedener Art belasteten Geländes. Die Kosten konnten dank guter Planung und Bauleitung auf dem Niveau des ursprünglich projektierten Neubaues gehalten werden. 1989 fand im Obergeschoß dieser ehemaligen Tuchfabrik die niederösterreichische Landesausstellung „Magie der Industrie” statt.

Ebenso erfolgreich war vor ein paar Jahren die Revitalisierung eines 1898 errichteten Dampfkraftwerkes in Wien XIX. Muthgasse, wo nun verschiedene Büros, unter anderem das des planenden Architekten, untergebracht sind.

Für eine erfolgreiche Revitalisierung muß es gelingen, die Anschaulichkeit der wesentlichen denkmalschutzwürdigen Bausubstanz mit uneingeschränkter Neunutzung bei vertretbaren Um-baukosten zu harmonisieren. Dabei die geeignete Nutzung zu finden, ist der schwierigste

Teil. So harren die Gasometer in Wien, bei denen sich ein sehr engagiertes Projekt vorerst zerschlagen hat, ebenso einer Neunutzung, wie die eine Fläche von zirka 25.000 Quadratmetern deckende Viehmarkthalle des Wiener Schlachthofes (eine 1878 errichtete Stahlkonstruktion

von europäischer Bedeutung). Sie teilen damit das Schicksal der großen Salinenanlage in Hallein - in ihr fand die Salzburger Landesausstellung 1994 statt - oder des kürzlich stillgelegten Sudhauses der Adambrauerei in Innsbruck. Sie wurde 1829 nach Plänen des Architekten Lois'Welzen-

bacher errichtet, für die neuere Tiroler Architekturgeschichte kommt ihr besondere Bedeutung zu.

Mitunter ergeben sich Lösungen in letzter Minute: Die schon zum Abbruch freigegebene Halle der aufgelassenen Wiener Straßenbahnremise Vorgarten erlebt nun als Veranstaltungsort verschiedener kultureller Aktivitäten eine zweite Blüte. Bei der ebenfalls aus der Jahrhundertwende stammenden Anlage der Re-mise in Wien Kreuzgasse hat ein Architektenwettbewerb interessante. Vorschläge einer baulichen Erweiterung zur Schaffung von Wohnungen erbracht, an deren Realisie-rung derzeit gearbeitet wird.

Der Autor ist als Hofrat im Bundesdenkmalamtfür „Technische Denkmale” zuständig

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