Hommage an einen TITANEN

19451960198020002020

Vater der Moderne und Planer der modernen Großstadt -Otto Wagner prägt eine Zeitenwende. Zu seinem 100. Todestag würdigt ihn das MAK mit einer Ausstellung.

19451960198020002020

Vater der Moderne und Planer der modernen Großstadt -Otto Wagner prägt eine Zeitenwende. Zu seinem 100. Todestag würdigt ihn das MAK mit einer Ausstellung.

Werbung
Werbung
Werbung

Otto Wagner war ein Titan unter den österreichischen Architekten. Sein epochales Werk umfasst alle Maßstäbe vom Konstruktionsdetail, Einrichtungsgegenstand über Wohn-und Geschäftshäuser wie das berühmte Majolikahaus auf der Wienzeile und seine beiden Nachbarhäuser am und ums Eck, die Kirche am Steinhof, das dortige Spital bis hin zum großmaßstäblichen Städtebau, ungebaute, teils visionäre Projekte ebenso wie Realisierungen. Wagners Werk bezeichnet den Wandel vom Historismus zur Moderne und prägt das Aussehen Wiens auf vielerlei Weise bis heute. Als "Vater der Moderne", Architekt, Stadtplaner, Lehrer und Autor richtungsweisender theoretischer Schriften setzte Otto Wagner neue Maßstäbe, die weit über seine Lebenszeit hinaus reichten. So bekannte er sich in seinem Buch "Moderne Architektur" eindeutig zur Funktion und zum Fortschritt: "Etwas Unpraktisches kann nicht schön sein", stand da ebenso wie "dass der einzige Ausgangspunkt unseres künstlerischen Schaffens nur das moderne Leben sein soll." Wagner begriff seine Zeit als eine Epoche des Umbruchs, glaubte bedingungslos an die Technik und ihre Errungenschaften, behielt dabei aber auch die Vergangenheit respektvoll im Blick. So nennt er es einen Fehler "unserer Vorfahren","dass sie pietätlos die Werke ihrer eigenen Vorgänger unbeachtet liessen oder zerstörten."

Nach einer kurzen Zeit in Berlin, wo sich Wagner bei C. F. Busse, einem ehemaligen Mitarbeiter Schinkels, weiterbildete, studierte er an der Akademie der bildenden Künste in Wien unter August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll Architektur. Als 21-Jähriger begann er im Atelier von Heinrich Förster und arbeitete als Bauführer für die großen Wiener Ringstraßenarchitekten wie Theophil Hansen. Anfangs noch dem Stil des Historismus verpflichtet, entwickelte sich Wagner zu einem Wegbereiter der Moderne und Vorreiter des Funktionalismus. 1894 wurde er dazu berufen, die architektonische Ausgestaltung der Hochbauten und Brücken der Wiener Stadtbahn zu übernehmen.

In ihrer gesamtkompositorischen Berücksichtigung der topografischen Gegebenheiten der Stadt, ihrer im Detail je nach Umfeld und Situation differenzierten, im Gesamten aber stets wieder erkennbaren Architektur erfüllt sie ihre Funktion bis heute einwandfrei. In einzigartiger Weise verbinden sich in ihr tradierte Baukunst mit Ingenieurswesen auf der Höhe seiner Zeit. Waren einige Stadtbahnstationen in den 1970ern noch vom Abriss bedroht, wird Wagners Konzeption der Stadtbahn heute als stadträumliches Meisterwerk urbaner Verkehrsinfrastruktur endlich auch entsprechend geschätzt.

Die k.k. Österreichische Postsparkasse, von 1903-06 und 1910-1912 errichtet, gilt als ein Schlüsselwerk der Wiener Moderne: ein von einer gläsernen Decke erhellter Kassensaal, faszinierende Details wie die ebenso dekorativen wie funktionalen Aluminiumstifte auf der mit Marmorplatten verkleideten Fassade und das schlichte Design ihrer Möbel, die Wagner selbstverständlich auch entwarf.

Die Postsparkasse liegt nur einen Steinwurf vom Wiener MAK entfernt, das Wagner heuer zu seinem 100. Todestag die höchst spannende Ausstellung "Post Otto Wagner. Von der Postsparkasse zur Postmoderne" widmet. Sie wurde von Sebastian Hackenschmidt kuratiert, im wissenschaftlichen Beirat: Iris Meder, Ákos Moravánszky. Die Schau untersucht besonders den Aspekt von Wagners Einfluss auf nachgeborene Architektengenerationen und assoziiert dabei frei und lustvoll weltweit in unterschiedlichste Richtungen. Im Mittelpunkt steht Wagner als visionärer Planer der unendlich wachsenden und sich verändernden modernen Großstadt, einem seiner zentralen Themen. Ihre Bestandteile lassen sich vom großen Planungsmaßstab des Städtischen mit seinen Häuserblöcken, Straßenzügen, Boulevards und Parks bis zum Geländer an den Stadtbahnstationen wieder bis ins Detail herunterbrechen.

Dimension, Form, Konstruktion

Die Ausstellung im MAK beginnt mit einer Wand voller Porträts des großen Architekten, die streiflichtartig sein Leben umreißt: Ein Porträt von Georg von Kempf, das Otto Wagner um 1900 an seinem Zeichentisch zeigt, hängt hier neben der Todesanzeige unter Verwendung einer Fotografie von Wenzl Weiss aus dem Jahr 1918 und einer Postkarte zu seinem 70. Geburtstag. Darstellung in bester Jugendstilmanier aus der Wiener Werkstätte. Dazu noch ein zeitgenössisches Bild von Elke Krystufek: "Nur der Stern ist authentisch".

Anhand von etwa 650 Objekten kann man in das vielgestaltige Universum von Wagners Gedankenwelt und Formensprache sowie deren Auswirkungen im Werk seiner Schüler, Epigonen und Nachfolger eintauchen. So wurden viele seiner Schüler wie Karl Ehn, Rudolf Perco und Hubert Gessner maßgebliche Architekten der "Superblöcke" des Roten Wien und deckten so eine soziale Komponente ab. Auch hier findet sich mit dem als Flaggschiff dargestellten Karl-Marx-Hof von Missing Link (1977) eine seltene Pretiose zum Thema. Auf Beschriftungen wurde verzichtet, in aufliegenden Broschüren werden die Exponate beschrieben und erläutert. Optisch tut das der Ausstellung sehr gut, die von Claudia Cavallar und Lukas Lederer gestaltet wurde. "Für uns war es sehr genussreich, mit so heterogenem Material zu arbeiten." Die Architekten führten einen Raster ein, der um 45 Grad von den Ausstellungswänden verdreht ist, ansonsten aber analog zur Orthogonalität der Wagner'schen Großstadt funktioniert. Ähnlich einer Stadtbeschriftung verweisen leuchtende Symbole, die an Wagners Stadtbahngitterornament, den Typus der Villa, die Kuppel der Kirche am Steinhof und andere wesentliche Themen angelehnt sind, auf die gezeigten Inhalte. Viele Originale lassen sich hier finden, was den Reiz noch erhöht.

1911 erstellte Wagner eine visionäre Studie für eine Großstadt, die Wien in einer radialen Anordnung in unterschiedlichen Bezirken "unbegrenzt", aber nach einem "wohl erwogenen Plane in bestimmten Intervallen" wachsen lässt. Aus demselben Jahr stammt sein Lageplan für den XXII. Wiener Gemeindebezirk, der konsequent einem orthogonalen Blockraster folgt, dazwischen aber auch Parks und Grünflächen als "Luftzentren" vorsieht. Ausgehend von diesen Visionen werden auch andere Vorstellungen von Stadt gezeigt: Ludwig Hilberseimers Perspektive auf die Nord-Süd-Straße einer Hochhausstadt in Berlin (1924), sein Vorschlag für eine Mischbebauung

(1930), Le Corbusiers Studien für eine moderne Stadt mit drei Millionen Einwohnern (1922), aber auch die späteren Stadtutopien von Superstudio aus den 1970ern, die technoiden Megastructures eines Raimund Abraham (1965), ähnliche Studien für die Stadt Ragnitz von Günther Domenig und Eilfried Huth (1965-69) oder die sehr popartig anmutenden Zeichnungen für die Plug-in City von Peter Cook/Archigram (1964). Auch postmoderne Entwürfe von Aldo Rossi, Oswald Mathias Ungers und anderen Protagonisten dieser Strömung sind hier vertreten. Sie werden allesamt als logische Folge von Otto Wagners Glauben an die Technik und Infrastruktur einer Stadt gedeutet und erzählen ganz nebenbei auch eine Geschichte von Plandarstellungen, Grafik, architektonischen Werkzeugen und Moden.

Ebenso verhält es sich mit dem System Stadtbahn: Wagners großartiges Infrastrukturbauwerk wird hier einerseits in einer Fotoserie von Stefan Oláh in seinem jetzigen, gleichsam überformten Zustand mit eingenisteten Werkstätten, aber auch Aufbauten wie dem Haus auf Stelzen von Zaha Hadid gezeigt. Auch spätere Erweiterungen sind ausgestellt: So ist ein faszinierendes Modell der U-Bahn-Station Kagran der Arbeitsgruppe U-Bahn aus dem Jahr 1976 im Maßstab 1:50 zu bewundern, auch die Erweiterung der U6 durch Johann Georg Gsteu darf hier nicht unerwähnt bleiben.

Nach demselben Prinzip werden alle Kapitel der Schau lustvoll, assoziationsreich und generationsübergreifend abgehandelt. Generell besticht sie mit großartigen Plänen, Modellen und auch unzähligen Möbeln, von denen vor allem die aus der Postsparkasse in ihrem radikal modernen Design beeindrucken. Die Postsparkasse ist übrigens derzeit leer: Während der Dauer der Ausstellung ist sie mit einem Ticket des MAK zugänglich. Eine Möglichkeit, die man nutzen sollte.

Post Otto Wagner bis 30. Sept. MAK Wien Di bis So 10 bis 18 Uhr, Di bis 22 Uhr www.mak.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung