Praktiken und Methoden bis heute bestimmend

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Die Ausstellung "Wien. Die Perle des Reiches" im Az W ist überfällig. 70 Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs richtet sie den Blick auf Planungen der NS-Zeit.

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Die Ausstellung "Wien. Die Perle des Reiches" im Az W ist überfällig. 70 Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs richtet sie den Blick auf Planungen der NS-Zeit.

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Niemals vergessen!" Unter diesem programmatischen Titel fand 1946 die erste große Antifaschismus-Ausstellung im Wiener Künstlerhaus statt. Für die planende Zunft gab es scheinbar nichts zu vergessen: in den meisten Werkslisten und Lebensläufen klaffte von 1938 bis 1945 eine große Lücke. Bis auf Juden wie Josef Frank, die sich in die Emigration retten mussten, machten die meisten de facto dort weiter, wo sie vor und während des Krieges aufgehört hatten. Viele Weichen für die spätere Entwicklung Wiens wurden in der NS-Ära gestellt, Professoren behielten ihre Lehrstühle, die meisten Studierenden fragten nicht weiter. Klaus Steiner war anders. Als "Lebensborn-Kind" geboren, studierte er in Wien Architektur und war bei Rudolf Wurzer Assistent.

Baustellen zur Aufarbeitung

Als Friedrich Tamms - unter anderem Architekt der Wiener Flak-Türme und der Linzer Nibelungenbrücke - das Ehrendoktorat für "Industriebauten" bekam, beendete Steiner seine Tätigkeit am Institut. Er begann zu forschen, studierte alte Telefonbücher, Handbücher des Reichsgaus Wien, interviewte noch lebende Architekten, bat die Witwen der verstorbenen um Nachlässe, durchstöberte Flohmärkte und Antiquariate. In über 30 Jahren trug er an die 4000 Dokumente zusammen und erfasste so rund 445 Objekte. 2011 übergab er sein Archiv dem Architekturzentrum Wien. Es bildet nun den Kern der Ausstellung "'Wien. Die Perle des Reiches' Planen für Hitler."

Siebzig Jahre nach Kriegsende rückt sie einen leeren Fleck heimischer Architekturgeschichte ins Zentrum. "Eine große wissenschaftliche Aufarbeitung ist noch ausständig, diese Forschung bietet nur einen ersten Einblick", so die Kuratorinnen Ingrid Holzschuh und Monika Platzer. Daher bezieht sich Architektin Gabu Heindl in der Gestaltung auf die Antifaschismus-Schau im Künstlerhaus. Die Ausstellung wirkt wie eine Baustelle: work in progress. Leitern stehen im Raum, die Pläne auf den Tischen scheinen eben erst aufgebreitet, die Wände sind rosa gestrichen, aber nicht fertig. Rosa war die Farbe der Homosexuellen, Doppelbödigkeit und Baustellencharakter sind gewollt. Sie bewirken eine Dekontextualisierung der gigantomanischen NS-Planungen. Verweise darauf, dass der Großteil nicht verwirklicht wurde und wie sehr einige Entscheidungen und Praktiken - Entwicklungspläne, Infrastruktur wie U-Bahn und Höhenstraße, das Branding als Kulturstadt, die Methode, statistische Daten als Basis zur Raumforschung zu erheben -bis heute bestimmend blieben. "Das NS-Regime nutzte die wissenschaftlichen Disziplinen der Raumordnung und -forschung als Legitimationsinstrumente", so Monika Platzer, die auch auf Kontinuitäten verweist.

97 Gemeinden wurden in Groß-Wien eingemeindet, das man zum Tor nach Südosten ausbauen wollte. "...diese Stadt ist in meinen Augen eine Perle!", sagte Adolf Hitler bei der Ansprache im Rathaus am 9. April 1938. Trotzdem stand er der Stadt wegen seiner Zeit im Männerwohnheim Meldemannstraße ambivalent gegenüber. Groß-Wien war zwar nach Berlin flächenmäßig die zweitgrößte Stadt im Dritten Reich, aber keine Gauhauptstadt. Das stachelte den Ehrgeiz der Architekten an. 120.000 Wohnungen - doppelt so viel wie im Roten Wien - sollten entstehen. Viele Lehrende lieferten "Professorenvorschläge" mit Aufmarschsalleen und Partei-Foren zur Neugestaltung von Wien, und opferten dafür die Leopoldstadt und Brigittenau mit ihrem hohen Anteil jüdischer Bevölkerung als unwerte Stadtteile. 1941 entwarf Reichsarchitekt Hanns Dustmann die "Führervorlage" mit einem riesigen, streng achsial im rechten Winkel zur Donau aufgebauten Stadtteil, der bis nach Kaisermühlen reicht.

Neuer Blick auf die Geschichte

Bis dato unbekannte Kehrseiten vieler moderner Architekten wie Franz Schuster, Eugen Wörle, Max Fellerer und andere sind hier zu entdecken. So entwarfen Siegfried Theiss und Hans Jaksch, die Planer des Hochhauses in der Herrengasse 1939, mit Werner Theiss ein pathetisches Denkmal für Walther von der Vogelweide am Leopoldsberg und erstellten 1940-43 eine städtebauliche Studie für die Wohnstadt Süd am Laaerberg. Josef Hoffmann gestaltete 1940 die Deutsche Gesandtschaft in Wien zu einem "Haus der Wehrmacht" um. Oswald Haerdtl setzte an der Kunstgewerbeschule die Tradition der "Wiener Schule" fort, entwarf Möbel für die deutschen Werkstätten, 1944/45 das Interieur der Deutschen Gesandtschaft in Madrid - mit Reichsadler - und 1948 die Repräsentationsräume im Bundeskanzleramt der jungen Republik.

"Wien. Die Perle des Reiches"

Planen für Hitler

bis 17. August

Architekturzentrum Wien

Mo-So 10-19 Uhr

www.azw.at

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