Arisches Oij-Oij-Oi-Theater

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Die österreichische Ästhetik zur Zeit des Dritten Reiches war das Kind einer heute diskreditierten, mächtigen Gegenströmung zur Moderne.

Seine Denkmäler wurden wiederholt gestürzt und durch andere Denkmäler aus seiner Hand ersetzt. K.u.k. Feldherrenporträts, Dollfußbüsten, Hitlerbüsten, ein sowjetisches Befreiungsdenkmal: Der steirische Bildhauer Wilhelm Gösser erhielt in Monarchie, Erster Republik, Ständestaat, NS-Diktatur, sowjetischer Besatzungszeit und Zweiter Republik öffentliche Aufträge. Er schuf ein Denkmal für die Opfer des nationalsozialistischen Putschversuchs 1934 ebenso wie später ein Denkmal für einen bei ebendiesem Putschversuch umgekommenen SA-Sturmführer, nach dem Krieg gedachten Denkmäler aus Gössers Hand der Opfer der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft.

Ob es einen österreichischen Sonderweg innerhalb der NS-Kunst gebe, fragte unlängst eine Tagung mit dem Titel "Die ,österreichische' nationalsozialistische Ästhetik". Eine erste Antwort fiel abschlägig aus: Nein, denn es gibt schon einmal keine NS-Ästhetik im Sinne eines genuinen Kunststiles, da waren sich die Teilnehmer einig. Die auf den ersten Blick bizarre Karriere des Wilhelm Gösser belegt eindrucksvoll die "Verwechselbarkeit der Formensprache" (Matthias Boeckl), die in den unterschiedlichsten politischen Systemen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbindlich war. Die beiden grimmigen Adler am Wiener Heldenplatz zum Beispiel (siehe Abbildung oben) entsprechen exakt der verbreiteten Vorstellung von Nazi-Kunst, sind aber Teil des zentralen politischen Denkmals des Ständestaats, des Heldendenkmals im Burgtor.

Eine genauere und nüchterne Beschäftigung mit "nationalsozialistischer Kunst" eröffnet einen neuen Blick auf die Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Offenbar gab es ungefähr seit der Jahrhundertwende eine mächtige parallele Gegenströmung zur Moderne und zur Avantgarde: klassizistisch und monumental in der Form, traditionalistisch, antiindividualistisch, antiintellektuell, großstadtfeindlich, "volksnah" im Inhalt. Eine Strömung, die sich in vielen Ländern mit totalitären politischen Systemen verbündete, mit diversen Spielarten des Faschismus, aber auch mit dem Stalinismus - aus genau diesem Grund ist sie auch in einem Maß in Misskredit geraten, dass sie heute aus der Kulturgeschichte so gut wie eliminiert ist. Doch es gab diese Strömung auch in demokratischen Ländern: der Trocadéro und das Musée d'Art Moderne in Paris, die öffentlichen Bauten der zwanziger und dreißiger Jahre in Washington sind steinerne Zeugen eines global verbreiteten, gegen die Moderne gerichteten Neoklassizismus. Die NS-Kunst ist eine Spielart dieser Strömung, ebenso wie die österreichische Kunst jener Zeit, auch wenn Österreich von 1938 bis 1945 von der Landkarte verschwunden war.

In diesem Sinne, das ist die zweite Antwort der vom Verein "pro arte" organisierten Tagung, gab es doch eine eigene "österreichische nationalsozialistische" Ästhetik, zumindest teilweise: Auf dem Gebiet der Architektur, der Bildhauerei und der Malerei haben Österreicher während der NS-Zeit nichts Eigenständiges hervorgebracht, sehr wohl aber auf dem Gebiet der Literatur, des Theaters, des Films und der "Kulturwissenschaft".

Dass die österreichische Ästhetik während der NS-Zeit die spezielle Manifestation einer allgemeinen Strömung war, bedingt, dass es diese Ästhetik auch davor und danach gegeben hat. Nicht zuletzt davon zeugt der Lebensweg eines Wilhelm Gösser. Das Deutlichmachen dieser Kontinuitäten ist ein drittes Ergebnis der Tagung.

Eines der prominentesten Beispiele für eine solche künstlerische Kontinuität ist der Eiserne Vorhang in der Wiener Staatsoper, wohl das einzige noch bekannte Werk von Rudolf Eisenmenger. Der Maler, 1939 bis 1945 Präsident des Wiener Künstlerhauses, hatte gegen Größen aus dem "Altreich" - wie etwa den später aufgrund seiner sterilen Akte als "Maler des deutschen Schamhaares" verspotteten Adolf Ziegler - keine Chance, doch im Nachkriegs-Österreich strahlte sein Stern immerhin noch so hell, dass ihm bei der Gestaltung des "Eisernen" der Vorzug gegenüber Marc Chagall gegeben wurde. Bedeutungslosigkeit im Dritten Reich und Kontinuität innerhalb Österreichs auch auf dem Gebiet der Bildhauerei: Gegen Arno Breker - dessen monumentale Skulpturen unter anderem die Berliner Reichskanzlei zierten - hatte Wilhelm Frass, der bekannteste Bildhauer der "Ostmark", kein Leiberl. Er konnte sich damit trösten, dass er als Mitglied des Kunstbeirates der Stadt Wien schon die Kunstpolitik des Ständestaates mitgeprägt hatte, nach 1945 zur Verschönerung von Gemeindebauten in Wien herangezogen und mit dem Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst der Republik Österreich ausgezeichnet wurde.

So mancher österreichische Schriftsteller stand dem Nationalsozialismus nicht abgeneigt gegenüber: Josef Weinheber etwa huldigte dem Führer im "Hymnus auf die Heimkehr" oder der "Ode an die Straßen Adolf Hitlers" geradezu obsessiv (Führer, heilig und stark / Führer, wir grüßen dich!) und meinte einmal, "Mein Kampf" sei das "größte Buch deutscher Sprache". Auch Paula Grogger, Karl Heinrich Waggerl oder Max Mell freuten sich im "Bekenntnisbuch österreichischer Dichter" (Wien 1938) über den Anschluss. Doch es gibt nur drei damalige österreichische Erfolgsautoren, die glatt als Nazi-Schriftsteller bezeichnet werden können: Mirko Jelusich, Robert Hohlbaum und Karl Hans Strobl. Alle drei schufen sie historische Romane, die dem "Geschichtsverlangen" (Ernst Jandl) der damaligen Zeit entsprachen. Ihre Geburtsorte liegen heute in Tschechien, für alle drei war der Zusammenbruch der Donaumonarchie die prägende politische Katastrophe. Vor allem Jelusich und Hohlbaum waren herausragende Vertreter einer "Platzhalterliteratur" (Wendelin Schmidt-Dengler), in der von 1918 an - noch bevor der Name Adolf Hitler irgendjemandem etwas sagte - der kometenhafte Aufstieg einer rettenden Führerpersönlichkeit beschworen wurde. Heute sind Jelusich, Hohlbaum und Strobl so gut wie vergessen, doch sie verschwanden nicht schon 1945 in der Versenkung. Auch nach dem Krieg war ihre Blut und Boden-Literatur am Buchmarkt gut vertreten. Hohlbaum erhielt 1951 den Adalbert Stifter-Preis und bis vor wenigen Jahren war eine Straße in Graz nach ihm benannt. Jelusich saß zwar nach dem Krieg mehrere Jahre in Untersuchungshaft, aber noch 1973 wurde die Lektüre seines Romans "Caesar" (1929) vom deutschen Schulbuchverband empfohlen.

"Österreich 1942" lautet die Erläuterung in den Fernsehzeitschriften, wenn der Film "Wiener Blut" am Programm steht. Das ist kein Zufall, ist doch die "ostmärkische" Filmproduktion jener Zeit stark österreichisch geprägt: Die Streifen aus dem Haus der Wien Film wie "Wiener Blut", "Operette" (1940), "Wiener Mädeln" (1945) strichen die Vorzüge der Wiener Lebensart gegenüber der deutschen heraus. "Wiener Blut" kann sogar als subversiv bezeichnet werden, erklingt doch darin die österreichische Hymne - mit anderem Text - und tritt doch darin eine Zigeunerin als positive Figur auf. Trotzdem fügten sich diese Filme, zum Beispiel in ihrem "reaktionären Frauenbild" (Gertraud Steiner), nahtlos in den herrschenden Zeitgeist ein und müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, sytemstabilisierend gewirkt zu haben.

Ähnlich hielten es die Theaterleute: Eine idyllisierte österreichische Vergangenheit und das Wiener Wesen wurden auf den Rampen der "ostmärkischen" Bühnen hervorgekehrt. Mit Widerstand dürfe man das jedoch nicht verwechseln, betont die Theaterwissenschaftlerin Evelyn Deutsch-Rainer: "Die waren Piefke-Gegner und nicht Nazi-Gegner". Das "Lyrische", der "leise, noble Ton", das "anmutsvoll Schwebende", die "Wortmusik": so charakterisierte das "Neue Wiener Tagblatt" 1943 den Wiener Theaterstil - auch ein Kind der Antimoderne, das den Untergang des Dritten Reiches überlebte. Zurückgekehrte Emigranten äußerten sich entsetzt über das österreichische Nachkriegstheater: "Reichskanzleistil", ätzte der Regisseur Berthold Viertel über eine "zum Selbstzweck verkommene Rhetorik" und sein Kollege Fritz Kortner machte sich über das "arische Oij-Oij-Oi-Theater" lustig und über "Schauspieler, die sich ihr Beuschel herausreißen und es als Herz offerieren". Sogar Paula Wessely - der weibliche Top-Star von Burgtheater und Wien-Film während des Dritten Reiches und durch ihre Mitwirkung in dem Nazi-Propagandastreifen "Heimkehr" (1941) belastet - meinte kurz nach dem Krieg selbstkritisch: "Künstlerisch sind wir so stehengeblieben, als ob wir all die Jahre überhaupt nicht gespielt hätten."

Großen Einfluss gewann nach 1945 der in Baden geborene Kulturhistoriker Hans Sedlmayr mit seinem "Verlust der Mitte", der sich allein bis 1960 über 150.000 mal verkaufte. Der Generalangriff auf die Moderne ("entfesseltes Chaos") entstand in den Jahren 1941-44, als Sedlmayr Ordinarius für Kunstgeschichte an der Universität Wien war, veröffentlicht wurde es erst 1948, nachdem Sedlmayrs Lektor Taras Borodajkewycz geflissentlich alle antisemitischen Passagen hinausredigiert hatte; jener Historiker, dessen antisemitische und neonazistische Äußerungen 1965 in Wien zu einer Massendemonstration führten.

Das Auditorium maximum der Universität Wien soll seinetwegen errichtet worden sein: Josef Nadler, der eine vielgelesene vierbändige "Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften" (1912-28) verfasste - eine aus heutiger Sicht lächerliche und wissenschaftlich unhaltbare Germanentümelei. Die zum Teil verblüffende Kontinuität von Ästhetik und Zeitgeist in Zwischenkriegszeit, Drittem Reich und Nachkriegszeit findet in dem in Böhmen geborenen Nadler ein besonders bestechendes Sinnbild: Derselbe Autor, der die - vom heutigen Kanon radikal abweichende - "Literaturgeschichte des deutschen Volkes" (1938-41) schrieb, ist auch Autor und gleichsam auch Erfinder der "Literaturgeschichte Österreichs" (1948).

Wenn Wolfgang Müller-Funk Josef Nadler als "Kulturwissenschaftler" bezeichnet, so ist das eine ziemliche Provokation. Denn jegliche Kunst und Kulturtheorie, die auch nur das mindeste mit dem Nationalsozialismus zu tun hat, gilt kanonisch als "Schund". "Ich habe einen zu hohen Begriff von Ästhetik, um ihn mit dem Nationalsozialismus in Verbindung zu bringen", verkündet etwa Wendelin Schmidt-Dengler. Interessanterweise vertrauen die Richter ihrem eigenen apodiktischen Urteil jedoch nicht wirklich: Bei der Tagung "Die ,österreichische' nationalsozialistische Ästhetik" unterstützte Oliver Rathkolb seinen Vortrag mit Dias. Dazu wurde das Licht ausgeschaltet. Prompt entschuldigte sich der Historiker: die Dunkelheit diene nicht der "Mystifizierung", sondern lediglich dazu, dass alle Anwesenden die Lichtbilder auch sehen können.

Von einer nüchternen Betrachtungsweise kann also noch keine Rede sein.

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