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LINKE LEUTE VON RECHTS. Die nationalrevolutionären Minderheiten und der Kommunismus in der Weimarer Republik. Von Otto-Ernst Schüddekopf. W.-Kohlhammer-Verlag. Stuttgart. 547 Seiten. Preis 39 DM.

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LINKE LEUTE VON RECHTS. Die nationalrevolutionären Minderheiten und der Kommunismus in der Weimarer Republik. Von Otto-Ernst Schüddekopf. W.-Kohlhammer-Verlag. Stuttgart. 547 Seiten. Preis 39 DM.

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Im Jahre 1930 gab der Schreiber dieser Zeilen — vierundzwanzigjährig — im Auftrag einer nationalrevolutionären Gruppe junger Idealisten der Deutschen lugend- bewegung, die als eine Art Querverbindungskreis von „rechten“ (nationalistischen) und „linken“ (sozialistischen) Außenseitern angesehen werden kann, eine Schrift heraus, die unter dem Titel „Sozialrevolutionärer Nationalismus“ so etwas wie eine programmatische Geburtsanzeige „nationalkommunistischer“ Entscheidung gegen den Hitler-Faschismus mitten im Lager der nationalen und völkischen lugend dar- stellte. Das Presseecho war unerwartet groß. Und in der „Weltbühne“ hat Doktor Kurt Hiller, der Führer des Bundes Revolutionärer Pazifisten, damals unter dem Titel „Linke Leute von rechts“ den Herausgebern attestiert: „... Demnach stehen die Paetel-Sozia-

listen, sosehr sie vom Nationalismus, von etwas zu Überwindendem, kommen, mit der Zukunft enger im Bunde als das marxistische Gros — eine Tatsache, die uns verpflichtet, der Entwicklung dieser Gruppe mit erheblicher Aufmerksamkeit zu folgen ..

Die Hillersche Überschrift aufnehmend, hat jetzt Professor Otto-Ernst Schüdde- köpf zum erstenmal den Gesamtkomplex des deutschen „Nationalbolschewismus" — an dessen Profilierung die eingangs genannte Gruppe einen vielleicht nicht unwichtigen, aber in keiner Weise den wichtigsten Anteil hatte — einer eingehenden historischen Betrachtung unterzogen.

Das Buch Schüddekopfs, das einen ersten, aber verunglückten Versuch von anderer Hand über die sogenannte „Konservative Revolution“ ersetzt, ist geeignet, der zeitgeschichtlichen Forschung über den sogenannten deutschen „Rechtsradikalismus“ genauere Begriffsbestimmungen zu ermöglichen. Man muß das fast überwältigende Material allerdings, doch — so scheint es jedenfalls dem, der,, füll fundfünfzigjährig, sich noch einmal die Jahre in Erinnerung zurückruft, als er „dabei" war — entscheidend umgruppieren, um wirklich verständlich zu machen, daß es sich bei den „nationalrevolutionären Minderheiten“ überhaupt nicht mehr um „rechtsradikale“ Zirkel handelte, sondern um einen völlig aus der „Rechts-Links“- Parlamentsgeographie herausfallenden, heute mehr oder minder „utopisch“ erscheinenden Versuch, eine Brücke „zwischen die sozialistischen Fronten“ zu schlagen, die sich an beiden Extremen gebildet hätten. Vor allem aber muß man wohl die Fragestellung überhaupt ändern. Die Geschichte des „Nationalbolschewis- mus“ in Deutschland (der im übrigen in viel geringerem Grade, als es der Autor zu realisieren scheint, eine einheitliche, auf einen Generalnenner zu bringende Bewegung war, sondern ein Mosaik von nicht nur durch Führereifersucht, sondern auch durch tiefgehende, grundsätzliche Unterschiede differenzierten, recht individualistischen Gruppen) widerspiegelt keineswegs eine ideologische und tagespolitische Auseinandersetzung mit dem marxistischen Kommunismus. Es handelte sich vielmehr um den Versuch, in der ideologischen und tagespolitischen Kampfansage des Hitler- sehen Nationalsozialismus die Position eines echten, radikalen, glaubwürdigen „Nationalen Sozialismus“ („Kommunismus“) herauszuarbeiten, dessen Kennwort „sozialistische Revolution“ im Innern als Gegenschlag gegen den Faschismus, und dessen entschiedene Wendung zum Osten als Sicherung der Revolution nach außen durchaus „in der Luft“ lagen. Nicht nur der jungkonservative Mitherausgeber des sich — wenngleich zögemd — dem Nationalsozialismus annähernden Stapelschen „Deutschen Volkstums“ spürte das. Albrecht Erich Günther warnte: „Die Stärke des Nationalbolschewismus kann nicht aus den Mitgliederzahlen einer Partei oder Gruppe, nicht aus der Auflagenhöhe von Zeitschriften abgelesen werden. Man muß ein Gefühl haben für die Bereitschaft der radikalen Jugend zur nationalbolschewistischen Entscheidung, um zu erfassen, wie plötzlich eine solche Bewegung aus einem Sektierer- kreis in das Volk überspringen kann.“

Schiiddekopf hat das mit großer Objektivität und Fairneß in seinem Textteil verständlich gemacht, sich jede nachträgliche Verurteilung aus der Sicht des kalten Krieges von heute versagend.

Ein Wort bedauernder Kritik muß leider angefügt werden, die 150 Seiten um fassende Materialzusammenstellung betreffend (Anmerkungen und Bibliographie). Da man anscheinend dem Autor nicht genug Zeit zum Korrekturlesen gegeben hat, finden sich, demjenigen auffallend, der ein wenig Bescheid weiß, falsch geschriebene Namen, ungenaue Titelangaben, irrige Jahreszahlen. Was aber bedenklicher ist: der Autor verläßt sich sehr oft zu vertrauensvoll auf Polizeiberichte der Weimarer Zeit, die fast ausnahmslos, ihrer ganzen Natur nach, voreingenommen und in Aufbauschung oder Verharmlosung schief, in Kombinationen unrichtig und irreführend sind. Dadurch ergeben sich an einer Reihe von Stellen Gewichtsver- schiebungen, die das Gesamtbild verzerren, auch wenn Tatsachenfehler in Details vermutlich nur die, die „dabei“ waren, stören mögen. Ich könnte ohne weiteres etwa ein Dutzend unexakter Polizeiberichte nachweisen, und vermute, daß ich mehr als ein anderer noch lebender „Mitspieler“ das in seinem Erlebnis- sektor vervielfachen kann.

Den Wert des Buches kann das nicht wesentlich einschränken. Über die verschlungene, widerspruchsvolle und wenig bekannte Welt des nationalbolschewisti- sehen Niemandslandes zwischen Kommunismus und Nationalismus jener lahre nach Versailles und vor Hitlers Machtübernahme wird wahrscheinlich erst dann genügend authentische Klarheit geschaffen werden können, wenn sich aus sorgfältiger Koordination historischer — in Bibliotheken beheimateter — Quellenforschung mit den — autobiographischen — Selbstaussagen derer, die sie mitgestalteten (Niekisch, Hielscher, v. Salomon, Jünger und mancher, die noch fehlen!), die entscheidende Frage beantwortet werden kann: „Was fehlte bei aller Intensität ihres Wollens, aller Integrität ihrer Wortführer dieser Bewegung an politischer Substanz, daß es dem Nationalsozialismus gelang, sie — so mühelos — zu überspielen?“

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