Kaiser Karl I Anfang 1918 in Italien. - Abschiedsgruß der Monarchie - © Foto: DEA / Biblioteca Ambrosiana

Nur ein Revolutiönchen?

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Die österreichische Gesellschaft sollte 1918/19 umgebaut werden, die Kultur war als Wegbereiterin vorgesehen. Der Germanist, Historiker und Literaturwissenschaftler Norbert Christian Wolf im Gespräch über Stimmung und Positionierung der „literarischen Intelligenz im politischen Umbruch“.

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Die österreichische Gesellschaft sollte 1918/19 umgebaut werden, die Kultur war als Wegbereiterin vorgesehen. Der Germanist, Historiker und Literaturwissenschaftler Norbert Christian Wolf im Gespräch über Stimmung und Positionierung der „literarischen Intelligenz im politischen Umbruch“.

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DIE FURCHE: 1914 waren die meisten Schriftsteller und Intellektuellen glühende Patrioten, die den Krieg begrüßten. Vier Jahre später standen sie auf der Seite eines revolutionären Neubeginns. Wie war dieser Wandel möglich?
Norbert Christian Wolf: Die meisten deutschsprachigen Schriftsteller und Intellektuellen Österreichs stammten aus dem Bürgertum, häufig mit einem jüdischen Hintergrund. Diese soziale Schicht identifizierte sich sehr stark mit der Habsburgermonarchie und ihrer übernationalen Kultur, wobei für sie gleichzeitig eine kulturelle Dominanz des Deutschen selbstverständlich war. Insbesondere die Juden sahen die habsburgische Herrschaft 1914 als Garantin für die Errungenschaften der Emanzipation und Assimilation, wohingegen sie etwa die panslawischen Bestrebungen und deren Orientierung am Russischen Reich, das für seine Duldung antisemitischer Umtriebe berüchtigt war, als große Gefahr wahrnahmen. Ihr Habsburg-Patriotismus ist nicht zuletzt vor diesem Hintergrund zu sehen, und tatsächlich hat die jüdische Bevölkerung mit dem Untergang der Monarchie wohl am meisten verloren, war sie doch die einzige soziale Gruppe, die danach keinen eigenen Nationalstaat bilden konnte. Die brutale Erfahrung des Krieges und die oft katastrophalen Zustände innerhalb der k. u. k. Armee haben die Begeisterung für die Monarchie aber kontinuierlich schwinden lassen, sodass viele Angehörige insbesondere der jüngeren Generation den Glauben an die kulturelle Mission Österreich-Ungarns verloren und den erwünschten demokratischen Neubeginn mit einer Überwindung der Monarchie und der überkommenen Gesellschaftsstruktur verbanden.

DIE FURCHE: Ist die „österreichische Revolution“, wie Sie den radikalen Wandel nennen, angelehnt an deutsche Vorbilder, die Münchner Räterepublik etwa?
Wolf: Die „österreichische Revolution“ verlief parallel zu den revolutionären Vorgängen in München und Berlin, weshalb nicht von „Vorbildern“ im engeren Sinn gesprochen werden kann. Allerdings gab es sehr wohl eine gewisse Orientierung am nördlichen Nachbarn und an den von dort kolportierten Geschehnissen, die vor dem Hintergrund des Anschlusswunsches fast aller politischen Gruppen zu einer abwartenden Haltung führte, was es den beharrenden Kräften erheblich erleichterte, den revolutionären Elan auszubremsen – zumal die Nachrichten von den Gewaltexzessen in München, Berlin und auch in Budapest nicht sehr attraktiv im Sinne radikaler Experimente wirkten.

DIE FURCHE: „Die Umkehrung der Hierarchien war nur von kurzer Dauer“, schreiben Sie. Wir wirkte die Wiederkehr der alten Eliten auf die widersetzlichen Intellektuellen?
Wolf: Die relativ rasche Wiederkehr der alten Eliten in Machtpositionen der neuen Republik wirkte auf viele Intellektuelle extrem frustrierend und führte bei manchen von ihnen zu einer innerlichen Abwendung vom neuen Staat, was dessen Attraktivität und die ohnehin nicht sehr stark ausgeprägte Abwehrkraft gegenüber antidemokratischen Kräften seitens der extremen Rechten und Linken weiter schwächte.

DIE FURCHE: Nehmen wir Robert Musil als Beispiel. Wie reagierte er auf die revolutionäre Umbruchsstimmung in Wien? Als bekennender Optimist ist er nicht in die Literaturgeschichte eingegangen.
Wolf: Robert Musil war von der „Wiener Revolution“ bald sehr enttäuscht, er ließ sich von der revolutionären Umbruchsstimmung kaum anstecken und kritisierte die planlose Realpolitik führender Politiker, insbesondere der Sozialdemokratie, deren taktische Kooperation mit den Christlichsozialen und Deutschnationalen aus seiner Sicht einen wirklichen gesellschaftlichen Neuanfang inhaltlich kompromittierte. Er maß die Politik an ihren utopischen Entwürfen sowie am Wünschenswerten, nicht an den konkreten Zwängen des Tages, für ihn musste sich das Denken am Möglichen orientieren, weniger an der tristen Wirklichkeit, damit eine bessere Gesellschaft entstehen könnte.

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