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Der linke Antisemitismus

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Es geht dem Autor in Zusammenhang mit Bielohiawek weniger um den Zusammenstoß der Banausen mit den Gebildeten als um den Antisemitismus, der der katholischen Volksbewegung in Österreich angelastet werden soll. Die Linke brauetot diese Entlastungsoffensive. Zwar gehört es zu ihrem Defensionssystem, jeder gegnerischen Orientierung vorweg die antisemitische Tendenz zu unterstellen, indes kommt sie nicht an der Tatsache vorbei, daß die Linke dort, wo sie in den kommunistischen Ländern die Macht besitzt, einen latenten Antisemitismus unterhält. Man darf derartige Ausfälle nicht einfach als Exzesse gewisser Abweichler bagatellisieren. Ersetzt man in jedem Fall eines solchen Ausfalls die Worte „Zionismus“ und „Israel“ mit dem Wort „Juden“, dann hat man den ganzen Umfang und die Intensität dieser Aggression vor Augen. Betreffs des Zuganges zum Antisemitismus, den nach der Ansicht Heers und anderer Adolf Hitler von der Position der Wiener Christlichsozialen gefunden hat, gibt es keinen kompetenteren Taitzeugen als den Betroffenen. In „Mein Kampf“ tut Hitler die Judenbekämpfung auf religiöser Grundlage als wertlos ab; sie entbehre der „inneren und höheren Weihe“ und sie rechtfertige jenen „Scheinantisemitisrous“, der einlullt und schlimmer ist als gar keiner.

Die Tatsache, wonach sowohl der Vulgär-Antisemitismus “als auch der Vulgär-Antiklerikalismus aus dem Inferioritätsgefühl der kleinbürgerlichen und proletarischen Massen emporstieg, so wie sich diese der früheren adeligen und großbürgerlichen Eliten entledigt hatten, wird in der Darstellung Heers nur schwach sichtbar. Um diese Mentalität sichtbar zu machen, hätte es der Ursprungsbezeichnung des Antiklerikalismus bedurft, jenes Dinges, das dem Marxismus nicht als Eischale des Liberalismus anhängt, sondern in seinem Kern steckt.

Die schwarze Legende aller Zeiten geht pfeilgerade auf die Behauptung zu, daß es sich bei der Inferiorität der Bielohiaweks gegenüber Männern vom Schlag Adolf Loos' nicht um historische Zufälligkeiten handelt, sondern um prinzipielle Notwendigkeiten. Sehen wir davon ab, daß heute die Philister und die Beatniks so ziemlich gleichmäßig unter der Linken wie unter der Rechten verstreut existieren, so ist, was das Wien der christlichsozialen Ära zwischen 1895 und 1918 anlangt, die Tatsache bemerkenswert, daß hier in Wien gleichzeitig der Auftakt und das Finale einer unwieder-holbaren Epoche europäischer Geistigkeit stattgefunden hat. Gewiß, es handelt sich um verschiedene Ereignisreihen; aber sie fanden gleichzeitig statt. So wenig das alte Österreich der Völkerkerker der Nationen gewesen ist, als der sich die meisten Nachfolgestaaten erwiesen, so wenig war das christlichsoziale Wien eine Exklave europäischer Geistigkeit. Um das festzustellen, darf man allerdings nicht den Popanz, zu den man die Gestalt Bielohiawek gemacht hat, einer Gestalt wie Loos gegenüberstellen. Was zusammengehört, das war

• das Continuum Bruckner — Mahler — Schönberg, die Ära Wagner-Loos, das Malerische der Welt von Klimt bis Schiele, die Literatur von Bohr bis Hofmannsthal und die Nobelpreisträger der Naturwissenschaften sowie

• das, was Lueger als Schöpfer der Verwaltung der damals fünftgrößten Stadt der Welt geleistet hat; als Sprecher der stärksten staatstragenden Partei im Staat einer europäisehen Großmacht; als Vodlksmann an der Spitze einer klassenlosen Vollks-partei, die dort ihre soziale Bewährung gefunden hat, wo die italienischen Populari, die deutschen Zentrumsieute und die französischen Katholiken vergebens den Durchbruch zu den Massen versucht haben. Ohne diese gediegene staatsmanni-sche Leistung, bei deren Erbringung sich die Christiichisozialen nüt vielen Österreichern gefunden halben, die nicht ihr Programm gewählt haben, wäre der Staat, dessen ermüdete Struktur vor afllem in der k. k.-Reichshaupt- und Residenzstadt spürbar gewesen ist, nicht haltbar gewesen. Dazu genügte nicht die elegische Lesebuchwelt Joseph Roths, das skurille Märchenreich Herzma-novsky-Orlandos, die subtile Atmosphäre, wie sie Hofmannsthal und Schnitzler erspürt, und die wüste Landschaft damals kaum erklärlicher Absurditäten, wie sie nachher Kafka und Mttsil beschrieben haben. In einem solchen Klima zwischen Salon und Psychiatrie ist kein Staat existenzfähig oder so widerstandsfähig, daß ein halbes Dutzend Großmächte und ihre fünften Kolonnen viereinhalb Jahre Krieg führen mußten, um das Ganze zu zerschlagen.

Von diesem Dienen ohne Lakaiengesinnung; von der Österreichgläubigkeit ohne Prämie im Risikofall; von der Courage für Österreich ohne Gewinnerzielungsafasicht weht aus den 1500 Seiten betreffs Adolf Hitler und Österreich und Katholizismus wenig entgegen; nicht einmal so viel, wie Joseph Roth in seinem französischem Exil als Ingredienzien des Wiener Apfelstrudels nannte: tausend Jahre Kaitholizismus und das Haus Österreich.

Keine Gestalt scheint hier besser dazu geeignet, um den Schwarzweißkontrast zwischen den brennenden Menschen und den lethargischen kleinbürgerlichen, dumpf-bedrohlichen christlichsozialen Antisemiten besser zu charakterisieren, als Adolf Loos. Diese unorthodoxe, die ausgefahrenen Geleise der Tradition verlassende, allen tragfähigen Zukunfts-ideen erschlossene, echt engagierte Persönlichkeit in einen Gegensatz zum „Herrgott von Wien“ zu setzen, scheint Licht in die finstersten Hinterhöfe der Antipoden der Moderne zu bringen. Und doch, es war Loos, ausgerechnet Adolf Loos, der 1910 den Tod Luegers, in dem er den Schultzherren seiner städtebaulichen Konzepte für Wien verehrt hat, der das erschütternde Wort der Klage gefunden hat. Es hätte dem verstorbenen Bürgermeister leicht zustoßen können, mit dem Leader einer Avantgarde in Konflikt zu geraten. Indes hält die Geschichte dieses Beispiel nicht parat; und so muß jenes gewohnte Image herhalten, das jenseits der Facts existiert, um ein Kombinat aus Banausentum und Roheit zu exemplifizieren, das verstreut auf 1500 Seiten das geistige Klima der Schwarzen Legende adjustiert. Denn: Irgendwo muß der Adolf Hitler doch hierzulande seine Vorbilder gehabt haben.

Drei Generationen katholischer Publizisten haben an der Schwarzen Legende gearbeitet, von der jetzt ein zweibändiger Kodex vorliegt:

• Ernst Karl Winter, Vizebürger-meister von Wien im Ständestaat. Er hat nach 1938 in seinem amerikanischen Exil das Fundament des ganzen gelegt: Zwei Österreicher sind es darnach, die an den beiden Weltkriegen die Schuld tragen: Kaiser Franz Joseph I. (1914) und Adolf Hitler (1938/39).

• August Maria Knoll, auf dessen behauptete Funktion als Privatsekretär Ignaz Seipels auch Heer reflektiert, wurde gewollt oder ungewollt zum Tatzeugen, den die Linke dann aufruft, wenn sie über den „Prälaten ohne Milde“ herzieht und über dessen geistigen Söhne in der österreichischen Resistance 1934/38.

• Friedrieft Heer, der sich in seiner „Genesis des österreichischen Katholiken Adolf Hitler“ die eigene Vergangenheit, von der Seele schreibt; sein Engagement im Dollfuß-Öster-reich; sein Dienst am Boden der Luftwaffe, sein ganzes Schicksal inmitten der Generation, die aus dem Feuerofen kam und zu der er gehört, seit er 1934 einer katholischen Studentenverbindung beitrat.

Was dem Werk, so wie der theatralischen Anklage des Rolf Hoch-huth, am Historischen, Wissenschaftlichen und Evidenziellen abgeht, das wächst der Genesis jener Wanderer zwischen den Welten und Horizonten zu, die Exulanten aus Österreich wurden. Es ist nicht so gewesen, wie es Heer beschreibt; aber so haben unzählige an der Vergangenheit gelitten, gezehrt, geglaubt und gezweifelt. Erst, als ihnen Österreich 1938 weggenommen wurde, fühlten sie, was Österreich ist. So wird dieser große Irrtum zu einer großangelegten Dokumentation der Irrtümer der Generation der Österreicher im Transitorium von heute; einer Generation,1 cue-laagsami im Grab sinkt.

Man wäre kein Österreicher, würde man zum Schluß nicht ein wenig resignieren oder sarkastisch werden. Indes steht über dem ganzen eine brennende Säule:

• Das Werk geht die zwei Völker an, die im letzten Jahrhundert das innigste geistige Convivium und nachher in einer furchtbaren Auseinandersetzung die tiefsten, unheilbaren Wunden empfangen haben: Die Deutschen und die Juden.

• Wo immer der Wind über die Gräben und Gräber streicht, die zwischen den beiden Völkern sind, er trocknet keine Tränen und lindert keine Wundschmerzen, sondern erweckt das Gefühl aus Schmerz und Haß und Schuld.

• Es sind zwei Völker von deren heutigen Grenzen die Gefahr des Krieges nicht gebannt werden konnte. Hier geht es nicht um eine unbewältigte Vergangenheit, sondern um Leben und Tod in der Gegenwart und um die Chance, in der Zukunft zu leben.

• Deswegen wäre es ein Verbrechen, würde man das ganze so sehen wie Rudolf Augstein: Eine Atombombe zwischen zwei Buchdeckeln; oder wie Helmuth Gollwitzer: Eine geballte Ladung.

Die Welt braucht keine Monumente einer Vergangenheit, die sie angeblich nicht bewältigen kann; denn für jeden von uns ist Geschichte Gegenwart. Noch weniger brauchen wir jene Versteinerungen dieser Vergangenheit, die so leicht Munitionsdepots neuer Vernichtungskämpfe werden können. Heer hat dieses Gefährliche nicht gewollt. Aber er ist im Gespräch mit dem Feind langsam auf dessen Wurzelboden übersiedelt. So sieht er vielleicht nicht die Gefährlichkeit jener, die das kalkulierte Risiko der Gewaltanwendung offen bekennen und in einem Atem von Revolution und Bomben und geballten Ladungen reden.

Friedrich Heer, „Gottes erste Liebe“ (Genesis des österreichischen Katholiken Adolf Hitler) und „Der Glaube des Adolf Hitler“ (Anatomie einer politischen Religiosität); beide Bände 744 und 752 Seiten, Bechtte-Verlaf/, München, 1967 und 1968.

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