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Scherenschnitte zur Zeitgeschichte

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Die bisherige Literatur über Hitler und den Nationalsozialismus vermochte nicht die letzten Schleier über einem Geheimnis zu lüften: Hitler blieb — zum Unterschied von der nichts zu wünschen übriglassenden Klarheit seines Werkes — im letzten unerkannt. Die Autoren folgten entweder den Spuren Hindenburgs, der ihn als „böhmischen Gefreiten“ abtun zu können glaubte und — unterschätzte. Oder sie sdiilderten die Ungeheuerlichkeit ihres Erlebens in den Händen seiner Schergen und schlössen auf den Bluthund in ihm. Beide Richtungen wurden dem Phänomen nidit gerecht, wollten es oft audi gar nicht. Der Blick in die Hintergründe wurde nicht frei. Offen blieb die Frage: Wie war das alles möglich?

Die Antwort konnte nur aus der nächsten Nähe des Diktators kommen. Nur ein Mensch, der einerseits das Vertrauen Hitlers und seiner engsten Getreuen besaß, aber auch andererseits jene innere Geordnetheit, die zur echten Kritik unerläßlich ist, konnte sie geben.

Hermann Rauschning, der Sohn eines westpreußisdien Offiziers, erlebte als Landwirt in der Nähe Danzigs die Wirkungen der Weltwirtschaftskrise am Ende der zwanziger Jahre. Seine Zuwendung zum Nationalsozialismus geschieht aus der Not seines Standes und im Aufbäumen gegen die in Versailles verkündete Neugestaltung der territorialen Verhältnisse im Osten Deutschlands. Drei Jahre, von 1931 bis 1934, gehört er zu den Vertrauten Hitlers und wird, als die NSDAP unter den Parteien der Freien Stadt die größte Stimmenanzahl erhält, zum Danziger Senatspräsidenten gewählt. In dieser Zeit gewinnt er, nicht zuletzt durch die unbewußte Mithilfe des mit ihm rivalisierenden Gauleiters Forster, Hitlers „Benjamin“, völligen Einblick in die Hintergründigkeit des „Führers“ und seiner „Bewegung“. Da er nicht bereit ist, die Verantwortung für die von Hitler verlangte gewaltsame Gleichschaltung des Freistaates auf sich zu nehmen, tritt er 1934 zurück. Sein Leben auf seinem Gut wird ihm durch Boykottmaßnahmen und Anschläge bald unmöglich gemadit. Aus dem freigewählten Exil richtet er seine Warnungen an die Welt. „Die Revolution des Nihilismus“ (1939) ist seine Interpretation des nationalsozialistischen „Aufbrudies der Nation“. Die letzten Enthüllungen des Phänomens bringen die „Gespräche mit Hitler“ im engsten Kreise seiner Eingeweihten.

„Hitler m'a dit“ — Hitler hat mir gesagt ... Es ist schade, daß der Titel uer französischen Ausgabe in der deutschsprachigen keine Verwendung, gefunden hat. Er trifft das Wesen des Diktators besser. Denn Hitler its nicht imstande, „Gespräche“ zu führen. Die Menschen, zu denen er spricht, sind ihm nicht mehr als Umgebung. Die Form seiner Äußerungen ist der Monolog. „Es war kein Gespräch, es wir vielmehr eine leidenschaftliche Selbstinterpretation, in die jedes Gespräch mit Hitler schließlich immer ausmündete.“ Seine Reden, in die er sich hineinsteigert, ähneln einer körperlichen Ausschweifung. „Auf solche Weise madite sich Hitler Mut.„ Er war wie ein Mensch, der sich soeben eine Morphiumspritze gegeben hatte.“

Hinter dieser Ausdrucksform wohnt keineswegs der Schönerianer, der nationale Bündnispartner der Harzburger Front. Gegenüber Rauschning erklärt Hitler: „Der Begriff der Nation ist leer geworden. Ich habe mit ihm aus zeitgeschichtlich bedingten Gründen noch beginnen müssen.“ Vor diesem falschen Begriff, der als Hilfsmittel von Demokratie und Liberalismus politisch belastet erscheint und daher aufzulösen ist, steht der Begriff der Rasse. „Das ist die. große umwälzende Bedeutung unseres langen, zähen Kampfes um die Madit, daß in ihm eine neue Herrenschicht geboren wird, berufen, nicht bloß tdie Geschicke des deut-sdien Volkes, sondern der Welt zu lenken.“

Schwerer als gemeinsame nationale Interessen mit Danzig und Ostpreußen wiegen Hitlers Parteiinteressen. Aber auch die Partei ist nidit die höchste Stufe in der Hierarchie des Weltimperiums. „Muß ich das Ihnen sagen, was es mit diesem Programm auf sich hat? Wer es wörtlich versteht und nicht als den großen Prospekt im Hintergrund unserer Bühne, der mag bei den einfältigen Seelen bleiben.“ Und der Vordergrund der Bühne? — „Für uns ist dies, nicht bloß eine blutlose Lehre: dieser Wille* zur Macht, sondern buchstäblich der, Sinn und Inhalt dieses Lebens.“ Wir? Uns? Dieser Plural wird von Hitler selbst immer wieder als Mystifikation enthüllt. Ziel seiner „jagenden Hyste-r i e“, wie er sein fieberhaftes Ringen selbst nennt, ist letztlich immer nur er selbst. Er verträgt es nicht, Vorläufer zu haben. Mit Ausnahme Richard Wagners verleugnet er alle seine geistigen Vorfahren. Es ist ihm peinlich, wenn er auf die Verwandtschaft seiner Ideen mit dem Erbe Nietzsches, Darwins, Paretos, Sorels hingewiesen wird. Das gleiche Schicksal teilen seine Vertrauten, die Männer seiner Umgebung. „Er greift soeben Gehörtes auf und weiß es so zu verwenden, daß es dem Zuhörer als alter geistiger Besitz Hitlers erscheinen muß.“

Hitler spricht von der „Vorsehung, die ihn zu dem größten Befreier der Menschheit vorbestimmt hat“. Er anerkennt also die Vorsehung, er dankt immer wieder dem „Allmächtigen“? Nein, er wird noch deutlicher, er enthüllt sein Inneres bis zur letzten Konsequenz: „Ja“, erwiderte Hitler, „die vor der Gesdiichte Verantwortlichen wüchsen immer sichtbarer in die Rolle des Schicksals und einer die irdischen Grenzen fast schon überschreitenden Allmacht hinein“, oder: „Der Mensch wird Gott, das ist der einfache Sinn. Der Mensch ist der werdende Gott.“ Das ist seine Gottheits-idee. Eine Art' größenwahnsinniger Pantheismus. — In diesen Tagen ging eine Notiz durch die Tagespresse, Hitler habe für sidi die Errichtung seines Grabmals in Form einer Pyramide nach der Art der ägyptischen Riesenbauten iri der Nähe der „Hauptstadt der Bewegung“ geplant. ..

Wenig später als ein Jahrzehnt, nachdem der faschistische Staatsphilosoph das Wort von der „ecclesiasticä“, von der Kirchlichkeit des Staates geprägt hatte, sagt Hitler: „Das war schon was, die Kirche! Jetzt sind wir die Erben. Wir sind-auch eine Kirche... Die Partei ist allumfassend. Sie regelt das Dasein in seiner ganzen Breite und Tiefe.“

Diese Worte sind nicht nur darum bedeutsam, weil Hitler es in „Mein Kampf“ abgelehnt hatte, als Religionsstifter gewertet zu werden. In ihnen kommt vielmehr zum Ausdruck, daß Hitler das „Erbe des Katholizismus“ anzutreten sich vermaß. Die allumfassende Ordnung ist — unter veränderten Vorzeichen — erhalten geblieben. So ist es nicht verwunderlich, daß ihm in den Augen seiner Leute bald Wind und Wolken gehorchen, daß es ihm als dem „großen Magier“ gegeben ist, das Wetter zu machen, wie es seinen Zwecken dienlich ist.

Seiner Stellung als Stifter der Gegenkirche entspricht der Haß gegen Judentum und Christentum. Der Angriff gegen das Judentum ist das „bedeutungsvollste Stück seines propagandistischen Arsenals und fast überall von todsicherer Wirkung“. Und die Kirchen? „Wir werden sie zwingen, ihre Konfessionen von innen zu zerstören, indem sie die Autorität beseitigen und aus allem ein blasses und unverbindliches Phrasenwesen machen.“

In der Welt hat nach der von Hitler durchgeführten Zeitenwende die Wahrheit keinen Platz mehr. Es gibt sie „weder im moralischen, noch im wissenschaftlichen Sinne“. Das Gewissen wird dementsprechend zu einer „jüdischen Erfindung“ und der Ausdruck Verbrechen „stammt noch aus einer überwundenen Welt“.

Rauschning sieht in Hitler keinen Willensmenschen. Der „Führer des deutschen Volkes“, der in seinem Geschmack und seiner Halbbildung die kleinbürgerliche Herkunft nie verleugnen kann, der sein siegreiches Führerkorps als Belohnung zu Kaffee und Streuselkuchen wie „bei Muttern“ einlädt und dann vor ihnen in seine Monologe ausbricht, schöpft seine Erfolge aus den schmutzigen Gelegenheiten, die ihm eine bis ins letzte dekadente Epoche tausendfach bietet. Seine unwahrscheinliche Erfolgsserie ist nicht das Ergebnis eines „stahlhaiten“ Willens, sondern ein raffiniertes Ausbeuten aller günstigen Zufälle, ein Ausnützen der Schwächen und Laster der Gesellschaft, vor allem in ihren Spitzen. Er ist ein Genie im Beziehen aller Gelegenheiten auf sich selbst und in seinem halben Wissen auf allen Gebieten. Wenn ihn aber seine „Umgebung“ verläßt, geht Hitler ruhelos auf und ab, ein Gehetzter seiner eigenen Leere, ein Opfer seiner Furcht vor dem Nichts in sich selbst.

Prototyp des modernen Menschen, ist er cjie „Erfüllung“ unseres Zeitatters im negativen Sinne. Er ist nur denkbar in einem Jahrhundert, in dem Fritz Mautner sagen konnte: „Die Gegenwart ist so ruhig atheistisch, daß über Gott gar nicht mehr gestritten zu werden braucht.“ Er wäre nie über das Maß einer kleinbürgerlichen Existenz hinausgekommen, ohne „alle diese kleinen, verwachsenen Sehnsüchtigen, die keine rechte Erfüllung finden“, weil sie mit Gott zugleich den Sinn und die Mitte ihres Daseins verloren haben; alle „Nacktkultu-risten, Vegetarianer, Edengärtner, Impfgegner, Gottlosen, Biosophen, Lebensreformer . . . lassen heute ihre geheimen Wünsche in die vielen Gaszellen des Riesenluftballons der Partei einströmen, um mit diesem großen Schiff als neuer Luftschiffer

Gianozzo einen noch höheren Flug zu wagen, als sie es bisher in ihren Konven-tikeln taten“.

Hitler ist tot. Das Schicksal, das ihm Hermann Rauschning 1939 vorausgesagt, hat sich erfüllt. Als sein Leichnam in den Trümmern der Reichskanzlei verkohlte, wich von der Welt der Druck eines fürchterlichen Krieges und von einem gepeinigten Volk die Tyrannis eines Nichtswürdigen. Seitdem ist die Erde Schauplatz neuer Greuel geworden. Fast scheint es, als hätte Rauschning recht, wenn er urteilt: „Hitler ist nicht bloß der Ausdruck des Pangerma-nismus, sondern eines ganzen, mit Verblendung geschlagenen Zeitalters.“

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