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Wegbereiter des Unheils

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In dem Aufsatze „Falsche Propheten“, den die „Furche“ in ihrer letzten Augustfolge veröffentlichte, kennzeichnete Universitätsprofessor Dr. Oskar Herget mit klaren Strichen die Gestalten jener Philosophen, die mit wissenschaftlichem Gepränge den Heerbann Hitlers begleiteten, mit dem Unternehmen beschäftigt, der nationalsozialistischen Lehre nach Bedarf wissenschaftliche Mäntelchen umzuhängen. Wenig davon war Original; ihr Lehrsystem schleppte viel fremdes Gut früherer Philosophengenerationen mit. Mit Recht urteilte kürzlich der Vizepräsident der Universität Georgetown, Dr. Edmund Walsh: „Die deutsche Philosophie des vorigen Jahrhunderts war die Wurzel des nazistischen Systems. Sie wurde von bekannten Philosophen interpretiert und durchdrang schließlich alle deutschen Bildungsinstitute. Hitlers Werk war es, diese Philosophie mit Waffengewalt in die Tat umzusetzen.“

Schon Schopenhauer, dessen Einfluß als Philosoph auf das Geistesleben in Deutschland nur von Nietzsche übertroffen wurde, hat den berühmten Satz geprägt: „Das Höchste, was ein Mensch erreichen kann, ist ein heroischer Lebenslauf“, ein Satz, an dem sein Schüler Friedrich Nietzsche weiterbaute. Allerdings war die Huldigung, die Nietzsche insbesondere von dem Organisator der neuen Weltanschauung Alfred Rosenberg erfuhr, für alle Kenner dieses wandlungsreichen Denkers keine geringe Uber-raschung, denn seine Ideen stehen in grundlegenden Belangen im Gegensatze zur nationalsozialistischen Ideenwelt. Nietzsches Urteil über die für politische Zwecke mißbrauchte Rassenlehre war ja doch: „Mit keinem Menschen umgehen, der an dem verlogenen Rassenschwindel Anteil hat.“ (Nachlaß II, Z. 1190.) Aber alle Gegensätzlichkeiten verzieh ihm der Nationalsozialismus, denn Nietzsche bot dieser Weltanschauung seinen selbstzerfleischenden Furor gegen das Christentum, die maßlose Selbstherrlichkeit und die morallose Erfolgsanbetung; er war der Prediger des Willens zur Macht und der Schöpfer der Lehre vom Übermenschen, der nach dem Gesetze des heroischen Willens die neue Ordnung bestimme. Er schrieb doch in seinem „Willen zur Macht“ einleitend:

„Was ist gut? — Alles, was das Gefühl der Macht, den Willen zur Macht, die Macht selbst im Menschen erhöht.

Was ist schlecht? — Alles, was aus der Schwäche stammt.

Was ist Glück? — Das Gefühl davon, daß die Macht wächst, daß ein Widerstand überwunden wird.

Nicht Zufriedenheit, sondern mehr Macht; nicht Friede überhaupt, sondern Krieg; nicht Tugend, sondern Tüchtigkeit.

Die Schwachen und Mißratenen sollen zugrunde gehen: erster Satz unserer Menschenliebe. Und man soll ihnen noch dazu helfen.“

Die Rosenbergsche Lehre und die Praxis der. Hitler-Herrschaft haben sich daran gehalten.

Den Krieg verherrlichte Nietzsche:

„Der Krieg und der Mut haben mehr große Dinge getan als die Nächstenliebe. — Der gute Krieg ist es, der jede Sache heiligt.“ (Zarathustra 48-50.)

„Eine Gesellschaft, die endgültig und ihrem Instinkte nach den Krieg und die Eroberung abweist, ist im Niedergang, sie ist reif für Demokratie und Krämergeist.“ („Wille zur Macht“, 490, 728.)

„Das Paradies ist unter dem Schatten der Schwerter.“ („Wille zur Macht“, 635, 952.) Anläßlich des 100. Geburtstages Nietzsches bezeichnete Rosenberg in einer Gedenkrede am 15. Oktober 1944 den Philosophen des Machtwillens als ,;die größte Erscheinung der deutschen und europäischen Geisteswelt seiner Tage“, nannte ihn den „aktiven soldatisch ausgerichteten Philosophen“ und erklärte:

„Wir begrüßen ihn über die Zeiten hinweg als einen nahen Verwandten, als einen geistigen Bruder im Kampf um die Wiedergeburt einer großen deutschen Geistigkeit, um die Gestaltung eines großzügigen und großräumigen Denkens \ind als Verkünder einer europäischen Einheit.“ Heinrich Härtle, der Verfasser des im nationalsozialistischen Parteiverlage im Jahre 1939 erschienenen Buches „Nietzsche und der Nationalsozialismus“, macht diesen Philosophen sogar zum „wichtigsten Baumeister der nationalsozialistischen Philosophie“ und schreibt '(S. 168): „Deshalb glaube ich, daß an künftiger Wirkung Nietzsche alle geistigen Wegberei-, ter des Nationalsozialismus überragen wir d.“

So war es ganz geziemend, daß Hitler dem Duce zu dessen 60. Geburtstag am 21. Juli 1943 die gesammelten Werke Nietzsches in einer Prachtausgabe durch Generalfeldmarschall v. Kesselring als persönliches Geschenk überreichen ließ.

Von nicht geringem Einfluß auf Hitler persönlich war der alte Verherrlicher der Gewalt und Morallosigkeit in der Politik, Nicolo Machiavelli, der in seinem Buche „Ii Principe“ schrieb: „Ein Fürst, der sich behaupten will, muß imstande sein, schlecht zu handeln, wenn es notwendig ist... Ein kluger Herrscher kann und soll sein Wort nicht halten, wenn ihm dies zum Schaden gereicht...“

Selbst Friedrich II. urteilte, als er noch Kronprinz war, 1740, in seinem „Anti-machiavell“: „Ich wage es, die Menschheit gegen dieses Ungeheuer in Schutz zu nehmen . . . Ich habe Machiavells Fürstenspiegel stets für eines der gefährlichsten Werke angesehen, die auf Erden verbreitet sind Hätte Machiavell eine Sammlung von Spitzbübereien für Diebe verfaßt, er hätte kein verwerflicheres Buch schreiben können als dieses.“

„II Principe“ hatte sich Hitler als Lehrbuch ausgewählt. Darüber teilt uns Hermann Rauschning, der vom Jänner 1933 bis Ende 1935 der nationalsozialistische Präsident des Senats des Freistaates Danzie war und sich dann enttäuscht von Hitler abwahdte, in seinem 1939 in Paris erschienenen Buch „Hitler m'ä dit“ im Kapitel „Ein neuer Machiavell“ (S. 299) mit:

„Hitler sagte mir, daß er den Fürstenspiegel des großen Florentiners wiederholt gelesen habe. Nach seiner Ansicht sei dieses Buch für jeden Politiker unentbehrlich. Lange Zeit hatte er es unter seinem Kopfkissen liegen. Die Lektüre dieser einzigartigen Zeilen, sagte er, wirke auf den Geist wie ein Reinigungsbad. Es habe ihn von einer Reihe falscher Ideen und Vorurteile befreit. Erst nachdem er den Fürstenspiegel gelesen habe, hätte er verstanden, was in Wahrheit Politik s e i.“

Hitler hat die Kenntnisse für seine Staatskunst aus einem noch viel verderblicheren Buche ergänzt. Es waren dies die „Prot o-kolle der Weisen von Zio n“, die das angebliche jüdische Weltherrschaftsprogramm enthalten, ein Buch, das als Fälschung ziemlich eindeutig erwiesen ist. Der große, in Bern von 1933 bis 1937 in zwei Instanzen geführte Prozeß brachte keine endgültige Entscheidung über die Herkunft dieses Dokuments, aber feststeht, daß der bis heute unbekannte Verfasser der im Jahre 1895 entstandenen „Protokolle“ hiezu das als Satire auf Napoleon III. geschriebene und 1864 in Brüssel erschienene geistreiche Buch „Dialogue aux enfers entre Machiavell et Montesquieu“ des Pariser Reditsanwaltes Maurice Joly mißbrauchte, indem er daraus ganze Sätze abschrieb, in denen Machiavell in seinem in der Unterwelt stattfindenden Gespräch mit Montesquieu seine politischen Ansdiauungen verteidigt. Aus der Verwendung gerade dieses Buches erklärt es sich, daß die in den „Protokollen“ aufgestellten Richtlinien zur Errichtung einer jüdischen Weltherrschaft machiavellistisches Geistesgut sind.

Rauschning berichtet (S. 265), daß Hitler eines Tages bei Erörterung der Judenfrage auch auf die „Protokolle“ zu spredien kam: „Als ich vor langer Zeit die .Protokolle der Weisen von Zion' las, war ich bestürzt. Diese gefährliche Heuchelei, diese Allgegenwart dieses Feindes! Ich habe sofort begriffen, was mit den Juden zu geschehen hat, nadi unserer Art wohl verstanden. Stellen Sie sich diese ewig beweglichen Menschen vor und andererseits uns mit unserem neuen Glauben an die ewige Bewegung, Wie sind sie uns doch ähnlich und andererseits dodi so verschieden! Welch ein Kampf zwischen ihnen und uns entwickelt sich da! Der Einsatz ist ganz einfach das Sdiicksal der Welt.“

Ich frug Hitler, ob er die Bedeutung der Juden rucht überschätze. „Nein nein“, schrie er, „der Jude ist kein Feind, den man überschätzen könnte.“

Ich machte die Bemerkung, daß die Protokolle der Weisen von Zion' eine offenkundige Fälschung seien. „Und warum nicht?“ ereiferte sich Hitler. „Ob authentisch oder nicht, was liegt daran? Die innere Wahrsdieinlichkeit wäre im Falle i der Fälschung nur um so überzeugender. Wir . müssen den Juden mit seinen eigenen Waffen schlagen. Das steht für mich fest, seit ich dieses Budi gelesen habe.“

„Die Protokolle' frug idi, „sind also der Ausgangspunkt Ihres Kampfes?“

„Jawohl; von ihnen ließ ich mich“ bis in die kleinsten Einzelheiten führen. Ich habe aus diesen Protokollen' enorm viel gelernt.“

Wie weitgehend sich Hitler tatsächlich von den „Protokollen“, auf die er auch in „Mein Kampf“ Bezug nimmt, leiten ließ, ist erschütternd. Dafür seien einige Sätze aus „Mein Kampf' angeführt:

„Nur ein unabhängiger Herrscher kann seine großzügigen Pläne verfolgen. Daraus folgt, daß die Regierung nur in den Händen eines einzigen Mannes liegen darf.“ (1, 21.)

„Das wesentlichste Problem unserer Regierung ist, den öffentlichen Geist durch Kritik , zu lähmen, den Menschen das Denken abzugewöhnen, weil Überlegen Widerstand erzeugt, und den Geist durch . Phrasendrescherei ohne Sinn und Verstand auf Abwege zu lenken.“ (5, 11.)

„Wir haben bereits große Sorgfalt darauf verwendet, die christliche Geistlichkeit in den Augen des Volkes herabzusetzen.“ (17, 2.) Von dieser Pseudophilosophie gelenkt, führte Hitler zwangsläufig Volk und Staat in den Abgrund.

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