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„Kleine deutsche Geschichte“

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Unter diesem Titel legt Hubertus Prinz zu Löwenstein, der bekannte Autor, eine zur Massenverbreitung im heutigen Deutschland bestimmte Kurzfassung seiner „Deutschen Geschichte“ vor (Verlag Heinrich Scheffler, Frankfurt am Main, 167 Seiten, 8 Bildtafeln, 1953), die unsere Beachtung verdient. Nicht nur wegen ihrer Fehlurteile, sondern als ein Symptom dafür, wie heute wieder unter dem Mantel eines „abendländischen“ Konservativismus oft ein engstirniger und harter Nationalismus sich birgt. — Nicht ohne Zweideutigkeit ist bereits das Bekenntnis der Vorrede: das deutsche Volk „muß den Glauben wiedergewinnen, daß es noch immer berufen ist, im Weltgeschehen und in Gemeinschaft mit den anderen Nationen eine ehrenvolle und im Plane der geschichtlichen Vorsehung begründete Rolle 2 u spiele n“. Man kann diese These sehr ernst verstehen, in einem europäischen Verantwortungsbewußtsein, das zur harten und selbstlosen Liebe zum deutschen Volk verpflichtet, und deshalb zur Selbstkritik und Selbstkontrolle: so haben etwa die großen Preußen Wilhelm von Humboldt, Clause-witz, der ältere Moltke ihr Volk geliebt, so haben Hölderlin, Goethe, Nietzsche und Theodor Momm-sen ihrem geliebten Volke den Spiegel vorgehalten, gleichermaßen beeindruckt durch seine großen Begabungen, Chancen und Versuchungen. Unseres Erachtens tut heutigen deutschen Historikern nichts mehr not als diese harte Liebe zu ihrem Volk (ein Musterbeispiel: Sell's Geschichte des deutschen Liberalismus). Hier, bei dem katholisch-konservativen Historiker Löwenstein begegnet uns aber eine romantizistische Verunklärung, welche die dramatische und tragödienreiche deutsche Geschichte verharmlost zu politischen Gefechten und zu linear-glanzvollen Kulturleistungen. — Zuerst also wird die deutsche Kaiserzeit abgeschildert, in jener unproblematischen Weise, die nichts wissen will von ihrer inneren Fragwürdigkeit, die doch in den letzten hundert Jahren mehr als einmal dem deutschen Wissen und Gewissen vorgestellt wurde. Symptomatisch: ein Gregor VII. wird hier, vom katholisch-nationalen Historiker, ebenso abgeurteilt, ohne jedes Verständnis für die europäischen Hintergründe, oder gar für die spirituellen Dimensionen, wie etwa in Kolbenheyers bekanntem Drama. Was dem Poeten recht sein kann, dürfte dem Historiker heute nicht mehr recht und billig sein. Da heißt es also, frisch nach alter Weise: „Im selben Jahre wurde Hildebrand Papst (1073 bis 1085). Gestützt auf die Pseudo-Isidorianischen Dekretalien versuchte er sogleich, eine unbedingte Herrschaft nicht nur über die Kirche, sondern auch über das Reich aufzurichten“. „Da hat sich Kaiser Heinrich IV. 1077 in Canossa vor dem Papst gedemütigt...“ — Nichts von den Schwierigkeiten der Kirchenreform, von der Feudalisierung der Kirche, von der inneren Problematik der mittelalterlichen Kaiserpolitik. Friedrich II. wird verharmlost, dieses Genie aus der arabisch-normannischen Mittelmeerwelt der „drei Ringe“, der das Reich im Norden durchaus hintansetzte gegenüber dem reicheren und ihm viel interessanteren Südraum, wird einfach als „wahrhafter Mehrer des Reiches“ (S. 47) glorifiziert. — Im Fluge geht es dann durch das deutsche Spätmittelalter, diese ungeheuer sämige keimreiche Zeit wird gestreift — ebenso aber auch Luther und die Reformation, die mit ganz wenigen Sätzen wahrhaft unzulässig kurz abgetan wird, wobei Luther nur das „welthistorische Verdienst“ zugeschrieben wird, das Konzil von “Trient „herbeigeführt, man könnte sagen durch seine Tat erzwungen zu haben“ (S. 59). Das ist eine Simplifizierung, die weder der europaweiten Arbeit der katholischen Frühreform [(zwischen Cues, Erasmus, Colet, Bude, Cisneros und Thomas Morus) gerecht wird, noch auch der „theologischen Atombombe“, wie Karl Eder Luther genannt hat, diesem mächtigen Gewitterregen, wie Luther selbst sich sah. Die ungemein tiefreichenden gesellschaftlichen, geistigen, religiösen Folgen der Reformation für die deutsche Kultur und Geistigkeit — ohne sie kein deutsches achtzehntes, Jein deutsch-europäisches neunzehntes Jahrhundert — werden nicht einmal angedeutet ... — Im Flug geht es dann weiter auf dieser fragwürdigen Informationstour durch die deutsche Geschichte. Schon landen wir bei Friedrich dem Großen, bei seiner „großen Heldensaga“ !(S. 72). Um nicht mißverstanden zu werden: wir haben durchaus Verständnis für den heroischen inneren Kampf dieses Mannes aus südfranzösischem, englischem, polnischem und deutschem Geblüt, für seinen Versuch auch, im Ostraum Inseln der Ratio, einer aufgeklärten Humanität, zu errichten. Nicht zufällig sind die Schwärmer aus Deutschlands chaotischem Untergrund, diese Hamann und Herder, seine allerbittersten Gegner. Hier aber wird der preußische König zwar kurz kritisiert, in seiner inneren Problematik und Vieldeutigkeit gar nicht angesprochen. — Dasselbe gilt für die romantische Skizze „Die Befreiungskriege und die große deutsche Sehnsucht“. Fichte, dieser dunkle untergründige Prophet eines überhitzten Nationalismus, einer der frühen großen Demagogen Europas, Ahnherr des Totalstaates („Der geschlossene Handelsstaat“, 1800) wird bieder als „idealistischer Philosoph“ angesprochen, sein Janushaupt, dem aufgeklärten Westen und dem östlichen Untergrund zugleich verbunden, wird ebenso freundlich übersehen wie Hegels ambivalente Potenz. „Hegel hat nicht, wie eine seichte

Auslegung behauptet, den Staat vergottet oder Gott mit der Welt gleichgesetzt. Er ist durchdrungen vom christlichen Erbe, und er sieht im Menschen den Sinn der Entwicklung“ (S. 83). Kein Wort hier über Hegel, den Alleszerstörer, der zumal in seinen Jugendschriften schon alles vorwegnimmt, was die linken Junghegelianer an Religionskritik vorbringen werden. Es muß wundernehmen, daß das für Deutschlands politische und geistige Entwicklung so folgenschwere Phänomen der Romantik kaum gestreift wird. — Ausführlich wird erst Bismarck behandelt, wobei er so gesehen wird, wie die meisten nationalliberalen Politiker und Professoren seiner Zeit, berauscht von seinen Erfolgen, und nicht ohne Rücksicht auf den innenpolitischen Terror des eisernen Kanzlers, der alle seine Gegner diffamiert und zu „Reichsfeinden stempelt, inklusive den Kronprinzen Friedrich, ihn sehen wollten, um ihre eigene mangelnde Widerstandskraft zu legitimieren. Wie verhängnisvoll diese euphorische Schau „Bismarcks, des Staatsmannes Europas“ (S. 112) ist, zeigen die Folgen: die Verzeichnung der deutschen innerpolitischen und außenpolitischen Situation im Reich Wilhelms II. bis zum ersten Weltkrieg. Hier wird das alte falsche Bild vorgestellt: Deutschland verfällt, nachdem der große Lotse (gemäß der Punch-Karikatur) das Schiff verlassen hat.

Wie anders die Wirklichkeit. Bismarck ging, nachdem der Karren verfahren war. Er hinterließ seiner Kreatur, dem Geschöpf seiner Machtpolitik, eben Kaiser Wilhelm II., eine ausweglose isnere Situation, die Bismarck selbst nur durch eine Diktatur gegen die Massen retten zu können glaubte; er hinterließ ihm, da er alle fähigen charakterstarken Politiker in den Staatsämtern ausgemerzt hatte, eine Handvoll von Strebern und Bürokraten. Wilhelm IL, dem es keineswegs an Verantwortungsgefühl fehlte, mußte ein verhängnisvolles Erbe übernehmen, das ihm der Diktator Deutschlands, der weder an Europa noch an Deutschland glaubte (wohl aber an sein eigenes dämonisches Ingenium) vermachte, mit dem sicheren Wissen, daß der junge Kaiser sich hier zu Tode regieren mußte. — Dreißig Seiten skizzieren dann den Weg Deutschlands von 1919 bis 1945. Unkritisch werden alle nationalistischen Schlagworte über den Versailler Vertrag übernommen (S. 133 f). Stresemann, bis zum Kriegsende ein wütender Alldeutscher (was verschwiegen wird), wird mit Recht herausgestellt, das Zusammenspiel der inneren Totengräber der deutschen Republik aber wird schamhaft umschwiegen. Die inneren Ursachen des Nationalsozialismus werden nicht berührt. Wohl aber ist Platz da für eine unziemliche Bemerkung über Oesterreich, die hier zitiert werden muß, weil sie typisch ist für eine gewisse binnendeutsche Mentalität, die uns Oesterreichern heute, 1953, bereits wieder vorrechnet, wie viele „Aufträge“ des „Abendlandes“ oder (und) Deutschlands wir bereits wieder nicht „|rfüllen“. „Die Besetzung

Oesterreichs im März 1938 machte sich den berechtigten Anschlußwillen zunutze, den die Friedensverträge unterdrückt hatten. Nach dem 30. Jänner 1933 hätte Oesterreich einen gesamtdeutschen, ja europäischen Auftrag zu erfüllen gehabt: Hort zu sein deutscher Freiheit und damit Keimzelle eines neu zu begründenden, einigen und freien Deutschen Reiches. Aber diese Aufgabe hat die Regierung des Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß zerstört, als sie auf Drängen Mussolinis die Wiener Arbeiterschaft im Februar 1934 blutig niederwarf und die demokratische Verfassung durch ein faschistisch-autoritäres Regime ersetzte. Mit der Einnahme 0*e sterreichs im Sommer 19 3 7 (sie!), gegen die kein wirksamer Protest laut wurde, war die Tschechoslowakei umflügelt“. — Diese wenigen Sätze stellen ein Meisterwerk der Verwischung und Verunklärung dar: kein Wort vom Dollfuß-Mord — das Mitgefühl für die österreichische sozialistische Arbeiterschaft (kein Wort fällt über die rechtsradikalen Arbeitermorde und Putsche in Deutschland !) soll den Vorwurf legitimieren, daß sich Oesterreich seiner deutschen Sendung entzogen habe — bekanntlich waren aber, sehr zum Leidwesen vieler Warner, Dollfuß und Schuschnigg, der noch wenige Tage vor dem Ende im März 1938 eine Rede über Fichtes Reden an die deutsche Nation hielt, tief überzeugt davon, daß eben Oesterreich die deutsche Kultur zu bewahren habe, bis es wieder hell werde im Reich. — Mit Sorge liest man dann noch den Schlußsatz dieser für die Verwirrung unserer Zeit signifikanten „Deutsche Geschichte“: „Selbst wenn von außen eine neue Knechtschaft zeitweilig über das Land käme, so kann es, wenn nur sein Geist wach bleibt, doch nicht vernichtet werden. Der Tag der Auferstehung würde heranreifen, bis alle Trübsal und Dunkelheit durch höchste Fügung weichen und das deutsche Volk von neuem zum Werke berufen wird, zum Dienst eines einigen, dem Abendlande geweihten Reiches des Rechtes, des Friedens und der Freiheit“. — Die Unterstreichungen stammen von uns, sie sollen einige Worte aus dem gefährlichen Phrasenschatz der Vergangenheit, die so ungeheuer virulent heute ist, anzeichnen. — „Neue Knechtschaft“? göttliche „Fügung“? (Hitler Sagt: „Vorsehung“). „Der Tag der Auferstehung“? —„Berufung zu neuem Werk?“ — Wie gefährlich, wie ressentimentgeladen sind doch solche Anrufungen und Verheißungen! — Das deutsche Volk ist bereits am Werk. Und es arbeitet emsig, eifervoll, angestrengt und schwer. Seinen Freiheitswillen hat soeben sein Osten bekundet. Was ihm aber jetzt not tut, mehr als jeder Bissen Brot, sind Männer, die ohne Phrasen ihm helfen, seinen Weg in die Zukunft zu finden. Aufgabe des deutschen Historikers wäre es, eine Des-illusionierung, eine nüchterne Untersuchung der Vergangenheit zu verbinden mit einer Erhellung der Chancen, der Möglichkeiten, in der Mittte Europas, als potenzstärkstes und eben deshalb ge-fährdetstes Volk Europas, neue Wege zu gehen. — Das alles wird hier verabsäumt.

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