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Katholischer Antisemitismus?

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Der Versuch einer objektiven Einordnung des katholischen Antisemitismus.

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Der Versuch einer objektiven Einordnung des katholischen Antisemitismus.

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„Auf den Spuren des Henkers“ — so nannte eine bundesdeutsche Fernsehstation eine historische Dokumentarsendung, die sich anläßlich des Eichmannprozesses mit den tiefer liegenden Wurzeln beschäftigte, die manches an der geistigen Entwicklung des SS-Mörders erklären sollten. Dabei kam man natürlich auch auf Herkunft und Jugend Eichmanns zu sprechen, der ja bekanntlich in Österreich aufwuchs. Die Sendung erweckte den Eindruck — wir wissen nicht ob vom Autor als eine Art deutscher „Entlastung“ beabsichtigt, — als ob Eichmanns brutaler Antisemitismus schon im Rahmen seiner als „streng katholisch“ bezeichneten Erziehung grundgelegt wurde. Dabei blieb die Darstellung aber nicht bei der Untersuchung des psychologischen Einzelfalles stehen, sondern verallgemeinerte ihre Feststellungen durch Hinweise auf den ehemaligen Bischof von Linz, Dr. Gföllner, und den durch ihn angeblich repräsentierten katholischen Antisemitismus. Die nachfolgende wissenschaftliche Untersuchung der bekannten österreichischen Historikerin Dr. Erika Weinzierl-Fischer, die bereits mit mehreren sehr beachteten Veröffentlichungen zur neueren österreichischen Kirchengeschichte hervorgetreten ist, bezweckt demgegenüber eine objektive Darstellung der nicht ganz einfach überschaubaren Zusammenhänge. Sie will nichts beschönigen, die Tatsachen aber auf ihren rechten historischen Platz rücken.

Johannes Maria Gföllner wurde 1867 in dem oberösterreichischen Markt Waizenkirchen geboren — in einer Zeit, in der der österreichische Kulturkampf schon seinem Höhepunkt zustrebte: Der Verhaftung des streitbaren Linzer Bischofs Franz Joseph Rudigier wegen seines Hirtenbriefes gegen die staatlichen konfessionellen Gesetze vom Mai 1868. Das katholische Volk von Linz ist damals für seinen Bischof auf die Straße gegangen, und man hat daher dieses Ereignis später als die Geburtsstunde der demokratischen Bewegung des österreichischen Katholizismus bezeichnet. Die katholischen Kreise Oberösterreichs befanden sich in jenen Jahren in einem Zustand angespanntester Erregung und formierten sich im aktiven politischen Kampf gegen den Liberalismus ihrer Zeit.

In dieser Atmosphäre ist Johannes Maria Gföllner herangewachsen, ist sein Entschluß zum Priestertum gereift. 1887 wurde der zielstrebige Zwanzigjährige von seinem Bischof nach Rom geschickt. Dort studierte er als Alumne des Collegium Germanicum-Hungaricum, in dem junge Theologen aus allen Teilen eines großen übernationalen Reiches versammelt waren, Philosophie und Theologie. In sieben Disziplinen erwarb er den Doktorgrad. 1893 wurde Gföllner zum Priester geweiht. Nachdem er zwölf Jahre als Religionsprofessor am bischöflichen Gymnasium Petrinum in Linz als Religionsprofessor gewirkt hatte, ernannte ihn Bischof Hittmair 1909 zum Professor für Pastoraltheologie an der Linzer Diözesanlehranstalt. Sechs Jahre später ist Gföllner der Nachfolger Hittmairs als Bischof der Diözese Linz geworden, die er von 1915 bis zu seinem Tod 1941 leitete. In das runde Vierteljahrhundert seines Episkopats fielen zwei Weltkriege, der Zusammenbruch der Monarchie und der Untergang der Ersten Republik.

Der Bischof hat an all diesen Ereignissen leidenschaftlichen Anteil genommen, seine Ansichten über sie nie verhehlt und sie in seinen zahlreichen Hirtenbriefen öffentlich kundgetan. So hat er zum Beispiel die oberösterreichischen Bauern sehr energisch an ihre moralische Verpflichtung zur Lieferung von Lebensmitteln erinnert, als nach dem Ende des ersten Weltkrieges auch in Linz Not und Hunger herrschten. Nicht minder energisch ist er aber auch gegen den allgemeinen Sittenverfall zu Felde gezogen, der nach seiner Meinung besonders deutlich in den Freibädern und der Mode der zwanziger Jahre zutage trat.

Politisch gehörte Gföllner jenem Flügel der christlichsozialen Partei an, die den Zusammenbruch der Monarchie nicht verwinden konnte und nach Kräften für eine Restauration eintrat. In seiner Neujahrsrede 1935 an die Linzer Domherren hat er sogar schon von der bevorstehenden Rückkehr der Habsburger nach Österreich gesprochen. Er wurde daher auch als monarchistischer Vertrauensmann von Bundeskanzler Schuschnigg nach Steenockerzeel geschickt, um Otto von Habsburg vor verfrühten legitimistischen Aktionen zu warnen (Franz Langoth, Kampf um Österreich, Wels 1951, S. 193 und 373). Der Heimwehr und dem Experiment des Ständestaates galten seine Sympathien nicht in erster Linie, was auch aus seinen Kontakten mit einer Gruppe von Beratern des Bundespräsidenten Miklas hervorgeht, die jedoch trotz aller Bedenken Dollfuß und Schuschnigg im Abwehrkampf um die Eigenstaatlichkeit Österreichs nicht in den Rücken fallen wollte. (Adam Wandruszka in: Geschichte der Republik Österreich, Wien 1954, S. 347).

Das war also der Mann, der es neun Tage vor der Machtergreifung Hitlers im Jahre 1933 unternahm, die Katholiken seiner Diözese in einem Hirtenbrief über „wahren und falschen Nationalismus“ aufzuklären. Gföllner war alles andere als ein Nationalsozialist, und er hat das dabei auch klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Sein Hirtenbrief hat schon bei Erscheinen großes Aufsehen erregt, er wurde binnen kurzer Zeit an die zehnmal aufgelegt und in mehrere Sprachen übersetzt. Diese ungewöhnliche Verbreitung hat ihn auch heute noch nicht ganz in Vergessenheit geraten lassen.

Inhaltlich ist dieser bekannteste Hirtenbrief Gföllners in eine Art Einleitung, in der der Bischof erklärt, es sei seine Hirtenpflicht, einmal offen und deutlich über den Nationalsozialismus zu sprechen, „bevor noch weitere Kreise vom Irrtum des modernen Nationalismus ergriffen und mit fortgerissen werden“ und in vier Abschnitte gegliedert. In diesen werden folgende „Grundwahrheiten“ erörtert: 1. Die Menschheit ist eine einheitliche Familie. 2. Der wahre christliche Nationalismus ist von Gott gewollt und wird von der Kirche gebilligt. 3. Nation und Staat sind verschieden und der Staat ist über der Nation. 4. Über allem Nationalismus steht die Religion, die nicht national, sondern übernational ist.

Jede dieser Thesen belegt der Bischof mit Schriftstellern, Zitaten aus der Summa theologica des hl. Thomas, aus dem Syllabus von 1864 und aus Enzykliken der Päpste seit Gregor XVI. Sie alle werden auch zur Widerlegung von einzelnen Punkten des nationalsozialistischen Parteiprogramms, Äußerungen Rosenbergs im „Mythos des XX. Jahrhunderts“ und Hitlers in „Mein Kampf“ verwendet. Ein „richtig verstandener Nationalismus“ wird bejaht, ganz besonders hervorgehoben wird die Berechtigung des „österreichischen Gedankens': „Großösterreich war die Verkörperung des christlichen Nationalismus in seiner idealsten Ausprägung und wird auch heute noch von den edelsten und verständnisvollsten Männern begeistert festgehalten. Darf man deutsch fühlen, dann darf man mindestens mit gleichen Recht österreichisch fühlen, denn die Nation geht nicht im Staate auf. ..“

Die Stellungnahme Gföllners zum Nationalsozialismus gipfelt in folgendem Satz: „Der Nationalsozialismus krankt innerlich an materialistischem Rassenwahn — an unchristlichem Nationalismus — an nationalistischer Auffassung der Religion — an bloßem Scheinchristentum; sein religiöses Programm weisen wir darum zurück.“ Es sei daher unmöglich, „gleichzeitig guter Katholik und wirklicher Nationalsozialist zu sein“. Den Nationalsozialismus hat Gföllner also vom religiösen Standpunkt aus ganz entschieden verurteilt.

Nicht ganz so klar ist jedoch seine Stellung zum Antisemitismus. Der Bischof sagt zwar ausdrücklich, dass der nationalsozialistische Rassenstandpunkt mit dem Christentum völlig unvereinbar und daher abzulehnen sei, was auch für den radikalen Rassenantisemitismus gelte. Von diesem unterscheidet er aber einen „geistigen und ethischen Antisemitismus“, den in sein Programm aufzunehmen der Nationalsozialismus durch nichts gehindert sei. Denn etwas anderes als jüdisches Volkstum und jüdische Religion sei der „jüdische, internationale Weltgeist“, dessen schädlichen Einfluss auf fast allen Gebieten des modernen Kulturlebens zu bekämpfen und zu brechen „nicht nur gutes Recht, sondern strenge Gewissenspflicht eines jeden überzeugten Christen“ sei: „In früheren Zeiten hat man. namentlich in italienischen Städten, der jüdischen Bevölkerung ein eigenes Wohngebiet, ein sogenanntes Ghetto, angewiesen, um jüdischen Geist und Einfluss tunlichst zu bannen; die moderne Zeit braucht zwar die Juden nicht des Landes zu verweisen, sollte aber in Gesetzgebung und Verwaltung einen starken Damm aufrichten gegen all den geistigen Unrat und die unsittliche Schlammflut, die vorwiegend vom Judentum aus die Welt zu überschwemmen drohen.“

Es kann also nicht geleugnet werden, dass selbst ein so entschiedener und aufrechter Gegner des Nationalsozialismus wie Bischof Johannes Maria Gföllner nicht frei war von antisemitischen Tendenzen. Sie wurzeln zweifellos im alten religiösen Antisemitismus der Christen und in der jahrhundertealten Abneigung derer, die Zins zahlen mussten, gegen jene, die ihn nahmen. Ganz besonders stark ausgeprägt sind sie in der Mitte des 19. Jahrhunderts in der „Wiener Kirchenzeitung“ Sebastian Brunners zu finden. Von den katholischen politischen Parteien in Österreich wurde der Antisemitismus von Anbeginn an leidenschaftlich vertreten. Gewiss haben die Führer des katholischen Volkes immer wieder — so wie Gföllner — betont, „dass es auch im Judentum edle Charaktere“ gebe und daher gelegentlich persönlich mit einzelnen Juden sogar Freundschaft geschlossen, aber selbst die gemäßigsten von ihnen haben den Antisemitismus zumindest als lokale Erscheinungsform der sozialen Frage überall dort definiert, „wo die sozialen Übelstände zum überwiegenden Vorteil jüdischer Stammesangehöriger dienen, also von ihnen energisch verteidigt werden“. Diese Haltung kann aus der sozialen und politischen Situation der christlichsozialen Partei, aus ihrem Kampf gegen liberalen Kapitalismus einerseits und bolschewistischen Kommunismus anderseits ebenso erklärt und verständlich gemacht werden wie später aus zweifellos vorhandenen Mißständen in Krisenzeiten, zum Beispiel in jener nach dem ersten Weltkrieg. Trotzdem müssen wir Katholiken von heute uns sagen, daß sie eine Saat des Unheils war, die zu einem Teil im Grauen der nationalsozialistischen „Lösung der Judenfrage“ aufgegangen ist.

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