Antisemitismus und die Ambivalenz der Intellektuellen

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Antisemitismus ging of mit Anti-Intellektualismus einher. Doch an den Universitäten der USA erhält er heute auch ein "intellektuelles" Gewand.

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Antisemitismus ging of mit Anti-Intellektualismus einher. Doch an den Universitäten der USA erhält er heute auch ein "intellektuelles" Gewand.

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Im Jänner 1898, auf dem Höhepunkt der Dreyfus-Affäre und auf dem Gipfel der antisemitischen Ausschreitungen in den Straßen von Paris, veröffentlichte Georges Clemenceau sein „Manifest der Intellektuellen“. Es waren nun „die Intellektuellen“, die ihre Stimme im Namen der Gerechtigkeit einsetzten und den Geist der französischen Revolution gegen den reaktionären Furor der Anti-Dreyfusards verteidigten. Natürlich gab es Gebildete auf beiden Seiten der Affäre, und gerade der Antisemitismus vieler Studenten gehörte zum traurigen Alltag jener Zeit. Das frisch gemünzte Wort l’intellectuel, welches zunächst einen weltfremden Taugenichts bezeichnete, wurde jedoch bald zum Synonym für all jene, die sich mit ihren Reden und Pamphleten gegen die Welle des modernen Judenhasses stemmten. Und so entstand in diesem Gefecht der Worte eine schier unüberbrückbare Kluft zwischen der „Republik der Professoren“ und der Republik des „Volkes“.

Die Geschichte des Anti-Intellektualismus beginnt mit diesem historischen Ereignis, und bis zum heutigen Tage gelten „die Intellektuellen“ oft als privilegierte Faulenzer, die wenig von der wirklichen Welt verstehen. Derselbe Anti-Intellektualismus stand auch auf dem Wahlprogramm des einstigen (und vielleicht künftigen) US-Präsidenten Donald Trump. Und er steht heute wieder im Mittelpunkt eines immer tieferen Abgrunds zwischen der Welt der Universitäten und der Welt der wirklichen Dinge.

Doch hat sich eine erstaunliche Umkehr vollzogen: Während die Intellektuellen der Dreyfus-Ära gegen die antisemitische Justiz pamphletierten, protestieren viele der Intellektuellen von heute gegen die bloße Existenz des jüdischen Staates. Und wer heute an amerikanischen Universitäten lehrt, wird sich manchmal fragen müssen, ob diese Universitäten noch etwas von der Welt verstehen.

Der Autor ist Professor für moderne jüdische Philosophie an der University of Virginia, USA.

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