Bruno Kreisky und Golda Meir - © Foto: picturedesk.com / brandstaetter images / Votava

Bruno Kreisky und das Judentum

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Ein empfehlenswertes neues Buch beleuchtet das komplexe Verhältnis Bruno Kreiskys zu Israel, zu seinem eigenen Jüdischsein – sowie die Folgen für seine Politik.

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Ein empfehlenswertes neues Buch beleuchtet das komplexe Verhältnis Bruno Kreiskys zu Israel, zu seinem eigenen Jüdischsein – sowie die Folgen für seine Politik.

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Das persönliche und berufliche Leben von Bruno Kreisky (1911–1990), Österreichs sozialistischem Bundeskanzler von August 1970 bis Mai 1983, ist Gegenstand vieler Bücher und Artikel. Sein komplexes Verhältnis zu seinem Judentum, dem Staat Israel und dem Zionismus ist jedoch nur teilweise erforscht. Das Buch „Kreisky, Israel and Jewish Identity“ des israelischen Diplomaten Daniel Aschheim versucht, diese Situation durch systematische Forschung und nachhaltige Originalinterviews zu verbessern.

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Durch die Linse von Kreiskys Jüdischsein stellt dieses Buch die Paradoxien, Spannungen, Schwächen und Errungenschaften von Bruno Kreisky dar: österreichischer Patriot und engagierter Sozialist, der erste und einzige jüdische Regierungschef Österreichs, der zu den einflussreichsten Politikern Europas seit dem Zweiten Weltkrieg gehörte. Aschheim untersucht, wie Bruno Kreiskys Beziehung zu seinem Judentum seine Positionen gegenüber Israel, dem Zionismus, der arabischen Welt, Österreichs Vergangenheit sowie sein politisches Projekt und seine globalen Bestrebungen beeinflusste. Kreisky stammte nicht aus einem völlig „assimilierten“ jüdischen Elternhaus, denn er und seine Familie haben ihren jüdischen Hintergrund bzw. ihre Abstammung nie verleugnet. Kreisky war ein vollständig akkulturierter Österreicher, wenn auch einer, der bestimmte Identitätsmuster und familiäre Loyalitäten aufwies, die eindeutig jüdisch waren.

Die in diesem Buch hervorgehobenen Episoden veranschaulichen jedoch am besten die Dynamik und die Unklarheiten von Kreiskys Persönlichkeit und politischem Handeln, wenn es darum geht, wie seine jüdische Herkunft seine Entscheidungen beeinflusste. Zu diesen Episoden und Themen gehören unter anderem: Kreisky und die österreichische „Opfer-Doktrin“, die Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre sowie Kreisky, der Zionismus, Israel und die palästinensisch-arabische Welt.

Die legitimierte „Opfer-These“

Wegen seines radikalen Versöhnungsdiskurses im Umgang mit Österreichs Vergangenheit während der NS-Herrschaft war Kreisky eine Schlüsselfigur der österreichischen Identität in der Zweiten Republik. Er spielte eine bedeutende Rolle bei Verdrängung und Leugnung der österreichischen Mittäterschaft am Nationalsozialismus. Die Österreicher zeigten ihre Wertschätzung, indem sie Kreisky dreimal hintereinander die absolute Mehrheit gaben. Viele betrachteten ihn als Sonnenkönig und feierten, dass er offen aussprach, was andere hinter verschlossenen Türen sagten. Kreisky lieferte Legitimation aus erster Hand, um Erinnerung und Verantwortung abzuwehren. Obwohl er wusste, dass dieses Narrativ des ersten Opfers leider unwahr war, zögerte er dennoch nicht, sich aus politischen Gründen darauf zu berufen. Aufgrund seiner persönlichen, familiären und politischen Erfahrung wusste Kreisky sehr genau, wie zynisch Politik funktionieren kann, als nach 1945 die örtlichen österreichischen Sozialdemokraten kein Interesse an einer Rückkehr ihrer Exilanten hatten.

Aschheim hatte Zugang zu bisher geschlossenen israelischen Archiven und konnte feststellen, dass der Konflikt Kreisky-Wiesenthal in Jerusalem am Anfang als ein innerösterreichischer gesehen wurde, der Israel nicht betraf. Schließlich gab Kreisky am 21. Oktober 1975 eine Presseerklärung zur Kreisky-Peter-Wiesenthal-­Affäre. Aus heiterem Himmel und ohne ersichtlichen Zusammenhang erklärte er, dass „die Existenz des jüdischen Volkes wissenschaftlich nicht bewiesen ist“. Kreisky fügte hinzu, dass Wiesenthal ihn seit 1970 „im Dienste Israels“ angegriffen habe. Am nächsten Tag revidierte Israels Botschafter in Wien, Avigdor Dagan, seine Meinung, dass die Affäre nichts mit Israel zu tun habe. Israel war allerdings interessiert an der Fortsetzung der jüdischen Auswanderung aus der Sowjetunion über Österreich und wollte keineswegs den Konflikt verschärfen.

Kreisky pflegte einen Doppelstandard: Er unterschied zwar zwischen ,kleinen und großen Nazis‘, weigerte sich aber, Österreicher für Holocaust-Verbrechen anzuklagen.

Dagan berichtete in einer geheimen Depesche an Ministerpräsident Rabin und Außenminister Allon: „Kreisky rief mich an, während ich zu Hause war, und 20 Minuten lang brach er in einer Art und Weise aus, die nur am Rande des Wahnsinns beschrieben werden kann.“ Dagan schildert Kreiskys Kommunikationsweise als einen „ununterbrochenen Strom von Angriffen und Verleumdungen“. Kreisky wollte den israelischen Botschafter im privaten Gespräch überzeugen, dass es kein jüdisches Volk gibt, doch dieser machte den Kanzler darauf aufmerksam, dass ideologische

Diskussionen nicht zu seinem Aufgabenbereich gehören. Dagan fand Kreiskys Handeln in der ganzen Affäre höchst rätselhaft und fragt: Was hat Kreisky überhaupt dazu bewogen, sich so intensiv zu engagieren, zumal wenn es ihn nur indirekt betraf? Hätte Kreisky ähnlich reagiert, wenn die Vorwürfe von jemand anderem als Wiesenthal öffentlich gemacht worden wären? Und schließlich: Warum hat Kreisky Israel in die Affäre verwickelt?

Kreisky pflegte einen Doppelstandard, er unterschied zwar oft zwischen „kleinen und großen Nazis“, aber er weigerte sich, Österreicher für die Verbrechen des Holocausts anzuklagen. Hingegen machte er alle Israelis für die Handlungen ihrer Regierung verantwortlich. „Die Schuld liegt nicht bei drei oder vier führenden Personen, sondern alle, die sich an dem Unrecht beteiligen, sind schuldig“, sagte Kreisky. „Ich sehe natürlich, dass es Menschen in Israel gibt, die das nicht wollen, aber solange sie nicht in der Lage sind, den Kurs zu ändern, sind auch sie schuldig.“ Das hinderte ihn nicht, sich mit all seinen Kräften für israelische Kriegsgefangene einzusetzen.

Kreiskys bahnbrechende Anerkennung der PLO, die Israel als gefährlich feindlich gegenüber seinen Interessen einschätzte, wird von vielen als Teil seines Engagements für Israel und der Erkenntnis gesehen, dass es ohne eine Friedensvereinbarung keine Zukunft für den Staat geben würde.

Kreisky war ein Staatsmodernisierer und ein einzigartiger Visionär des Friedens. Möglicherweise haben seine Schwächen, aber auch die Widersprüche, Ambivalenzen und Konflikte, die in diesem Buch von Aschheim skizziert wurden, beigetragen zu seinen nicht unbedeutenden Leistungen. Das 240 Seiten umfassende Buch verdient jedenfalls, ins Deutsche übersetzt zu werden.

Der Autor flüchtete 1938 mit seinen Eltern nach Ungarn. Er war von 1982 bis 1995 Redakteur des offiziellen Organs der Israelitischen Kultusgemeinde Wien.

Kreisky, Israel and Jewish Identity - © University of New Orleans
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BUCH

Kreisky, Israel and Jewish Identity

Von Daniel Aschheim
University of New Orleans 2022
240 S., kart., $ 18,95

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