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Das Wörtchen „Paradejude”: Beleidigung und üble Nachrede

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Bundeskanzler Bruno Kreisky hat nun wegen des im Styria-Verlag erschienenen Buches „Kreisky und seine unbewältigte Gegenwart” durch seinen Anwalt beim Grazer Straflandesgericht Privatanklage erhoben. Die wegen Presse-Ehrenbeleidigung erhobene Anklage richtet sich gegen den. Verfasser des Buches, den holländischen Journalisten Martin van Ame- rongen, gegen den Übersetzer des holländischen Textes, den Styria-Ange- stellten Gerhard Hartmann, und gegen „unbekannte Täter”.

Und das sind die inkriminierten Stellen:

• Der Autor nimmt in einem Interview mit Kreisky Bezug auf die Wiesenthal-Jagd, worauf Kreisky meint: „… Sie sind in Holland über die Aktivitäten des Ing. Wiesenthal schlecht aufgeklärt. Es wird nur diskutiert über die Wichtigkeit der persönlichen Freiheit des Menschen; wie kann man es vereinbaren, daß eine Privatorganisation die Menschen so belauern kann? Hier kann man nicht zuschauen. Wiesenthal ist ein jüdischer Faschist…”

• Weiter, hinten ist die Rede von der Wahl Bruno Kreiskys zum Vorsitzenden der SPÖ, wobei er sich nach Angaben des Autors auch auf die Unterstützung der nationalen Kreise in der SPÖ verlassen konnte. Daraus folgert Martin van Amerongen: „Darum gab er dem Antisemitismus die Absolution, denn dieser machte ihn, den Paradejuden, zum ersten Mann in der Regierung.”

• Und schließlich schildert der Autor die vielfältigen Belästigungen, denen die Gattin Simon Wiesenthals, Cyla, am Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen Kreisky, Peter und Wiesenthal ausgesetzt war. Amerongen schreibt: „Man könnte sagen, wer Mauthausen überlebt hat, der wird auch imstande sein, Bruno Kreisky, zu überleben.” Dann zitiert er Wiesenthals Gattin: „Sicher”, so Cyla Wiesenthal, „aber damals waren wir noch jung!”

Die Privatanklage Kreiskys stützt sich auf die Paragraphen 111 (üble Nachrede) und 115 (Beleidigung) des Strafgesetzbuches.

Styria-Generaldirektor Hanns Sass- mann, dessen Verlag sich in letzter Zeit immer stärker in den Bereichen Zeitgeschichte und Zeitkritik präsentiert hat, erklärte dazu, Zweck des Buches sei es nicht gewesen, die Privatperson Bruno Kreisky oder den Vorsitzenden der SPÖ zu insultieren, sondern das politische Verhalten des Bundeskanzlers aufzuzeigen. Außerdem sei es ein sehr grundsätzlicher Anspruch eines katholischen Verlagshauses, jeden aufkeimenden oder vielleicht latent vorhandenen Rassismus — und darum handle es sich auch beim Antisemitismus - kritisch und warnend aufzuzeigen. Dies heiße keineswegs, daß sich der Verlag mit jedem einzelnen Punkt des Buches auch identifizieren müsse.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, daß der der SPÖ gewiß nicht ganz abgeneigte Politologe Anton Pelinka das grundsätzliche Anliegen des Kreisky-Buches in einer jüngst erschienenen Rezension nicht ablehnt. Eine weitere Pikanterie am Rande: Das Amerongen-Buch ist bereits in holländischer Sprache im sozialistischen Parteiverlag Hollands erschienen. Was auch ein bezeichnendes Licht auf die internationale Solidarität der Sozialisten wirft.

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