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Ein „harmloser“ Zeitungstitel - und eine Gerichtsverhandlung

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ICH saß in einer jener winzigen Gerichtsverhandlungen, für die der kleinste Saal im Grauen Haus noch viel zu groß ist. Samt Beratung, Verkündung und Begründung des Urteils in wenig mehr als einer Stunde vorbei. Aber in dieser einen Stunde wurde deutlich, wurde fast zum Greifen fühlbar, wie tiefgreifend sich das Klima unseres Landes innerhalb eines knappen halben Jahres verändert hat.

Zehn Menschen waren im Saal, drei davon waren die sogenannte Öffentlichkeit. Die übrigen waren ein vierköpfiges Gericht, eine Schriftführerin, ein Staatsanwalt

und der Abgeordnete zum Nationalrat Tassilo Broesigke als Vertreter der „Deutschen Nationalzeitung“. Es war sozusagen das Minimum von einem Prozeß. Und er wurde mit einem Minimum an Emotion bewältigt.

Was mich betrifft, ich war einerseits ein Drittel der anwesenden Öffentlichkeit, anderseits hatte ich diesen Prozeß auf dem Gewissen. Ich hatte ihn mit dem Leitartikel „Der Testfall“ (FURCHE Nr. 38/1975) ausgelöst. Nun beobachtete ich interessiert die eigene Gefühllosigkeit, mit der ich der Verhandlung folgte, die Gewißheit, mit der ich den Frei-

spruch der „Deutschen Nationalzeitung“ erwartete, und den an Gleichgültigkeit grenzenden

Gleichmut, mit dem ich ihn als vollzogene Tatsache zur Kenntnis nahm.

Nicht, daß ich die Klärung der Frage, ob eine Zeitungsüberschrift wie „Wiesenthal, raus aus Wien!“ in der „Deutschen Nationalzeitung“ als ein Beispiel für latente Pogromhetze zu verstehen sei, nun plötzlich für unwichtig hielte. Sie wurde bloß in der Zwischenzeit durch politische Ereignisse so gründlich vorweggenommen, daß sie sich auf der strafprozessualen Ebene längst erübrigte.

Leicht möglich, daß der Freispruch der „Deutschen Nationalzeitung“ auch dann erfolgt wäre, wenn sich das politische Klima dieses Landes in der Zwischenzeit nicht verändert hätte. Nur meine ich, daß wir, so mancher andere ebenso wie ich, ihn dann nicht so fatalistisch zur Kenntnis genommen hätten. Dieser Freispruch war, darum komme ich nicht herum, eine logische Konsequenz des Paragraphenwortlautes im neuen Strafgesetz, der Verhetzung nur dort

zur Kenntnis nimmt, wo jemand ausdrücklich wegen seiner Zugehörigkeit zu einem Volk oder einer Religionsgemeinschaft angegriffen wird.

Der Testfall „Deutsche Nationalzeitung“ wurde zu einem Test des Verhetzungsparagraphen im neuen Strafgesetz. Das Ergebnis muß man wohl zur Kenntnis nehmen: Es ist künftig gesetzeskonform, jeden einzelnen Juden, in jeder Nummer der „Nationalzeitung“ einen anderen, verbal aus Wien hinauszuwerfen, wenn es nicht ausdrücklich deshalb geschieht, weil er Jude ist. Wenn etwa noch scheinheilig erklärt wird, er sei ja — wie Wiesenthal in den Augen nicht nur der „Nationalzeitung“ — ein Jude, der den Antisemitismus fördert. Sollte die „Nationalzeitung“ einst so weit gehen, sollten die Zeiten noch einmal derart sein — die Justiz hat kein Mittel mehr dagegen.

Womit wir wieder dort wären, wo die Gesetze formuliert und beschlossen werden, nämlich auf der politischen Ebene. Tassilo Broesigke, Abgeordneter der Freiheitlichen Partei und Rechtsvertreter der „Deutschen Natio-

nalzeitung“, hielt ein sehr interessantes Plädoyer, ein Plädoyer mit einer politischen Dimension. Ich bin davon überzeugt, daß die politischen Wendungen in diesem Plädoyer ein unabhängiges österreichisches Gericht weder beeinflussen sollten noch konnten.

Der keineswegs neue Grundgedanke dieses Plädoyers war, der von der „Nationalzeitung“ verbal aus Wien hinausgeworfene Wiesenthal sei kein Opfer des Antisemitismus, sondern selbst geeignet, Antisemitismus zu wecken. Das System ist alt: „Der Jud' ist schuld!“ Am Ende seiner Ausführungen, die mit dem Artikel der „Nationalzeitung“, um den es ging, jedenfalls das gemeinsam hatten, daß sie nicht antisemitisch, aber bestens geeignet waren, weitere Stimmung gegen Wiesenthal zu machen, erklärte Broesigke, er sehe sich in guter Gesellschaft. Denn wenn der Herr Bundeskanzler im Fernsehen (im Zusammenhang mit Wiesenthal) von einer Mafia gesprochen habe, sei „dieser Artikel harmlos“.

Es ist schwer, ihm darin zu widersprechen. Ich kann es nicht.

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