"Broda weiß mir keinen Dank"

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Am 20. September jährt sich der der Todestag von Simon Wiesenthal zum ersten Mal. Eine Furche-spezifische Erinnerung von Evelyn Adunka.

In den 13 Jahren seiner Regierung hatte Bundeskanzler Bruno Kreisky eine überaus gespannte Beziehung zu Israel und zu Teilen der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde, insbesondere zu einem ihrer prominentesten Mitglieder, Simon Wiesenthal, von 1964 bis 1983 Vorstandsmitglied der Kultusgemeinde. Der Konflikt zwischen Kreisky und Wiesenthal hatte eine lange und bittere Geschichte. Die österreichische Presse kommentierte ihn ausführlich und stand in der Regel auf der Seite Kreiskys. Die großen Ausnahmen waren das von Peter Michael Lingens herausgegebene profil und die Furche.

Streit um Detektei-Dienste

Im Oktober 1969 griffen Christian Broda (von 1960 bis 1966 und von 1970 bis 1983 Justizminister) und der FPÖ-Abgeordnete Gustav Zeillinger Wiesenthal dafür an, dass er für die Arbeit seines Anfang der sechziger Jahre in Wien etablierten Dokumentationszentrums die Dienste des ehemaligen Staatspolizisten und nachmaligen konzessionierten Privatdetektivs Johann Ableitinger in Anspruch genommen hatte. Broda sagte wörtlich: "Wir wollen keine Delegierung von Vollmachten auf staatspolizeilichem Gebiet an private Institutionen welcher Art immer. Das gilt auch für das Jüdische Dokumentationszentrum des Dipl.-Ing. Wiesenthal, weil auch das nur eine solche private Institution ist. Nach unseren Gesetzen können wir pseudo-und parastaatspolizeiliche Funktionen nicht weitergeben und ausüben lassen."

Die Furche stellte damals klar: "So wie andere Leute, zum Beispiel Geschäftsleute, haben sich die israelische Botschaft und auch Wiesenthal der Dienste der konzessionierten Detektei Ableitinger bedient. Die israelische Botschaft tat es, um nicht Visa an Leute auszugeben, die man lieber nicht in Israel sehen möchte. Wiesenthal hat es getan, um bei der Ausfindigmachung von Kriegsverbrechern mitzuhelfen. Das ist alles."

Im November 1969 nahm die Furche die Kontroverse zum Anlass, um in dem ungezeichneten Artikel "Arbeit für Wiesenthal" sowohl die Arbeit des Dokumentationszentrums zu verteidigen als auch auf die fragwürdigen politischen Überlegungen des österreichischen Justizministers hinzuweisen: "Wesentlich ist, daß Wiesenthal durch seine Tätigkeit eine echte Funktion erfüllt und zu einer Art Institution in Österreich geworden ist, und in die Bresche springt, die sowohl von der österreichischen Justiz wie von den Innendiensten bei der Ausforschung von NS-Verbrechen zu oft offengelassen wurde. [...]

Raub von Wählerstimmen

Deutsche und andere Staatsanwaltschaften sind, da sie vergeblich auf die Beantwortung von Anfragen an österreichische Behörden warteten, immer mehr dazu übergegangen, sich an Wiesenthal zu wenden. Dies ist jedoch nur einer der geringeren Gründe, weshalb Österreich in Sachen Kriegsverbrecherprozesse keinen guten Ruf im Ausland besitzt. Wenn uns etwas in dieser Beziehung gutgeschrieben worden ist, so, daß es Wiesenthal und sein Dokumentationszentrum hier gibt. [...] Dr. Broda hat jedoch dort (in der SPÖ; Anm.) immer zu jenen gehört, welche die Meinung ausgesprochen haben, daß ,endlich ein Strich unter die Vergangenheit gezogen werden' müsse. Woher er, ein Jurist, sich das Recht nimmt, für 90 000 ermordete jüdisch-österreichische Staatsbürger zu sprechen und auf die Verfolgung von deren Mördern zu verzichten, ist er ebenso wie andere Minister von Wiesenthal des öfteren gefragt worden. Er beantwortete die Frage zwar nicht Wiesenthal, wohl aber einmal in privatem Kreise: ,Jeder Kriegsverbrecherprozeß kostet unserer Partei hunderte Mitglieder und tausende Wählerstimmen.'"

In einer auch in der Furche abgedruckten Stellungnahme dementierte Broda in der Folge den ihm zugeschriebenen Ausspruch über die Wählerstimmen. Er hielt aber daran fest: "Der demokratische Rechtsstaat kann jedoch aus grundsätzlichen Erwägungen ... keine parapolizeiliche Tätigkeit - mit welcher Absicht immer - dulden." Ebenfalls in der Furche veröffentlichte Wiesenthal daraufhin eine ausführliche "Antwort an Dr. Broda", in der er dessen Praxis seit seinem Amtsantritt als Justizminister näher beleuchtete: Nachdem Wiesenthal ihn darauf hingewiesen hatte, dass die ein bis zwei für die NS-Frage eingesetzten Staatsanwälte völlig überfordert waren und Broda ihm Abhilfe versprochen hatte, sei nichts unternommen worden. Das Resultat war: "Die deutschen Angeklagten wurden in Koblenz verurteilt und sitzen indessen ihre Strafen ab. Die Österreicher blieben unbehelligt und gehen in allen Teilen Österreichs frei herum."

Ein jüdischer Faschist?

Zu Brodas Angriff auf seine Arbeit im Parlament sagte Wiesenthal: "Die Gerichts-und Polizeibehörden verschiedener Länder haben meine Hilfe in Anspruch genommen und mir zahlreiche Dankschreiben geschickt. Nicht Dr. Broda. Er weiß mir keinen Dank. Im Gegenteil." Dem Vorwurf der parapolizeilichen Tätigkeit entgegnete er: "Wenn es nach der Broda'schen Auffassung ginge, könnte es überhaupt keine Mitarbeit und Hilfe der Bevölkerung für das Funktionieren der Justiz und bei der Ausforschung von Verbrechen geben."

In ihrem redaktionellen Kommentar zu diesem Artikel schrieb die Furche prophetisch, es scheine, "daß wir, ohne es zu wissen, ins Schwarze oder richtiger gesagt ins Rotbraune getroffen haben. [...] Man will im Grunde für eine SPÖ-FPÖ-Koalition die Tür offenlassen - und braucht zeitgerecht Äußerungen, die dem Koalitionspartner zu Gesicht stehen."

Im März 1970 wurde Bruno Kreisky Bundeskanzler. Wiesenthal griff ihn dafür an, dass er sich nicht gescheut hatte, in sein Kabinett nicht weniger als vier ehemalige Mitglieder der NSDAP aufzunehmen. Landwirtschaftsminister war Hans Öllinger, Mitglied der NSDAP und der SS, der schließlich nach heftigen Protesten in der Öffentlichkeit aus "gesundheitlichen Gründen" zurücktrat. Die Furche war dabei die erste österreichische Zeitschrift, die auf Öllingers Untragbarkeit hingewiesen hatte.

Im August 1970 gab Kreisky dem niederländischen Journalisten Martin van Amerongen von der linkssozialistischen Zeitung Vrij Nederland ein Interview. Er nannte Wiesenthal einen jüdischen Faschisten und stellte die Frage, wie man es vereinbaren könne, "daß eine Privatorganisation die Menschen so belauern kann? Hier kann man nicht zuschauen."

Die Furche publizierte aus Anlass des Interviews einen ungezeichneten Kommentar über den ungewöhnlichen Antisemitismus des Dr. Kreisky, der mit den Worten endete: "Schade eigentlich, daß Dr. Kreisky Österreich mit Problemen beschäftigt, die man rechtens als bewältigt betrachten durfte. Schade weiters, daß er diese Auseinandersetzung auf dem Rücken seiner Partei und nun als Bundeskanzler auch auf dem Rücken Österreichs austragen will. Sehr schade schließlich, daß damit Bundeskanzler Dr. Kreisky Österreich vor allem in der westlichen Welt keinen allzu guten Dienst zu erweisen scheint."

Kreisky-Peter-Affäre

Im Oktober 1975 enthüllte Wiesenthal, daß Kreiskys geplanter - durch die absolute Mehrheit der SPÖ dann nicht notwendig gewordener - Koalitionspartner, der FPÖ-Vorsitzende Friedrich Peter, in einer SS-Infanteriebrigade, die für Erschießungen von Zivilisten bekannt war, gedient hatte.

Im Zuge dieser Auseinandersetzung erfolgte der Höhepunkt der Attacken Kreiskys auf Wiesenthal. Am 10. November dieses Jahres entlud er seinen Zorn über Wiesenthal in einem langen, vom profil veröffentlichten Monolog, der die ungeheuerlichsten Formulierungen und Unterstellungen enthielt: "Wir kommen aus ganz verschiedenen Kulturkreisen, aus verschiedenen Religionsgemeinschaften überhaupt ... Es gibt keine Gemeinsamkeit mit dem Herrn Wiesenthal für mich. [...] Und der Herr Wiesenthal hat zur Gestapo, behaupte ich, eine andere Beziehung gehabt als ich, ja, nachweisbar. [...] Meine Beziehung zur Gestapo ist eindeutig: ich war ihr Gefangener, ihr Häftling, und ich war beim Verhör. Seine Beziehung ist eine andere, so glaube ich zu wissen, und das wird sich klarstellen lassen. [...] Der Mann muß verschwinden."

Drei Wochen später schrieb Hellmut Butterweck über die SPÖ: "Die vorherrschende Reaktion ist Schweigen. Bei vielen sozialistischen Intellektuellen: ein peinlich berührtes Schweigen." Im Februar 1976 kam es dann doch zur Reaktion eines namhaften sozialistischen Publizisten, als Paul Blau, der frühere Chefredakteur der AZ, in der SPÖ-Zeitschrift Zukunft einen Artikel mit der Überschrift "In der falschen Partei?" publizierte.

"Raus aus Wien!"

1975 veröffentlichte die Deutsche National-Zeitung ein Foto von Wiesenthal, das sie mit dem Satz kommentierte: "Wiesenthal raus aus Wien!" Hellmut Butterweck nannte dies in der Furche "die bisher unverblümteste Drohung gegen einen Juden" und "die direkteste Pogromaufforderung, die wir seit 1945 in Wien registrierten". Die Deutsche National-Zeitung wurde wegen dieses Artikels bei der Staatsanwaltschaft angezeigt, aber nicht verurteilt, da nach dem neuen Strafgesetz Verhetzung nur strafbar ist, "wo jemand ausdrücklich wegen seiner Zugehörigkeit zu einem Volk oder einer Religionsgemeinschaft angegriffen wird".

Die Historikerin und Publizistin ist u. a. Autorin von "Friedrich Heer. Eine intellektuelle Biographie" (Tyrolia 1995).

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