Nicht Hass, aber immer und immer wieder: Recht!

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In seiner Erzählung "Die Sonnenblume" (1969) hat Simon Wiesenthal den Schlüssel seines lebenslangen Ringens niedergeschrieben. Wiesenthal beschreibt darin einen im Todeskampf liegenden SS-Offizier, der ihm, dem kz-Häftling, seine Verbrechen an den Juden gesteht und ihn um Vergebung bittet. Wiesenthal verweigert diese, denn wie kann er das, was anderen angetan wurde, vergeben?

"Recht, nicht Rache": Der Titel seiner Erinnerungen (1988) formuliert eine zweite Lebens-Programmatik: nicht den Hass zu schüren oder aus Hass zu handeln, sondern die Erinnerung wach zu halten und einen Kampf gegen das Vergessen zu führen: Dazu gehörte auch, Täter nicht entkommen zu lassen. 1100 Fälle konnte Wiesenthal durch sein Dokumentationszentrum vor Gericht bringen, spektakulär die Auffindung des kz-Kommandanten von Treblinka, Franz Stangl (1967), oder des Getto-Chefs von Przemysl, Josef Schwammberger (1987). Der Erfolg aber war das Aufspüren von Adolf Eichmann 1954 in Buenos Aires: 1960 entführten israelische Geheimdienstler den "Endlöser", 1961/62 wurde Eichmann in Jerusalem der Prozess, der mit einem Todesurteil endete, gemacht.

Am 31. Dezember 1908 wurde Wiesenthal im damals österreichischen Galizen geboren, er kam über Lemberg und Wien nach Prag, wo er bis 1932 Architektur studierte. 1941 fiel er in der Ukraine den Deutschen in die Hände, eine Odyssee durch 12 kzs begann, bis ihn die Amerikaner in Mauthausen befreiten. Seit Kriegsende machte Wiesenthal Jagd auf Kriegsverbrecher, zuerst von Linz, ab 1961 von Wien aus, mittlerweile gibt es in Los Angeles, New York, Toronto, Jerusalem und anderen Orten "Simon-Wiesenthal-Centers", die sich der Erinnerung an die Schoa verschrieben haben. 2000 erhielt Wiesenthal als erster Nicht-us-Bürger die "Medal of Freedom", zwei Weltfilme gibt es über ihn: 1989 wurde sein Leben ("Die Mörder sind unter uns") mit Ben Kingsley in der Hauptrolle verfilmt, in den 70-er Jahren setzte ihm der Frederick-Forsyth-Thriller "Die Akte Odessa" ein erstes filmisches Denkmal.

In Österreich wurden Wiesenthal erst spät jene Ehren zuteil, die er weltweit längst erfuhr: In den 1960-ern polemisierte unter anderem der sp-Justizpolitiker Christian Broda gegen ihn, ein politisches Trauma stellt Bruno Kreiskys unfairer Kampf gegen ihn dar, weil Wiesenthal die ss-Verstrickungen des damaligen fp-Obmanns Friedrich Peter öffentlich machte. Kreisky rückte Wiesenthal in die Nähe einer Kollaboration mit der Gestapo, was auch auf Desinformationen östlicher Geheimdienste beruhte. Die Furche engagierte sich in den Broda- wie in den Kreisky-Attacken stets auf Wiesenthals Seite.

Wiesenthal letzter großer Auftritt in Wien - die Eröffnung des Schoa-Mahnmals am Judenplatz - liegt schon fünf Jahre zurück. Er war in seiner letzten Heimatstadt nur mehr ganz leise präsent. Hier ist er in den Morgenstunden des 20. September verstorben. ofri

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