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Erinnerungen

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„Wiesenthal hat auf Grund seines eigenen Erlebens, das ihn unfähig zur Gleichgültigkeit macht, auch vielen anderen Menschen die Fähigkeit zur Gleichgültigkeit genommen.“ So charakterisiert der einstige Bundespräsident Rudolf Kirchschläger den Leiter des jüdischen Dokumentationszentrums in Wien.

In wenigen Tagen, am 31. Dezember, feiert Simon Wiesenthal seinen 80. Geburtstag (siehe auch Seite 5). Er ist viel geehrt worden in den letzten Wochen, und viele Berichte sind über ihn erschienen. In einem Interview machte er sich Gedanken über seinen Tod: .JSines Tages, wenn ich sterbe, werde ich die Opfer des Holokaust treffen. Sie werden mir erzählen, welche Berufe sie auf Erden hatten, und sich erkundigen, was ich getan habe. Dann werde ich antworten: Jch habe euch niemals vergessen.'“

Sein Beruf ist das Erinnern.

In Österreich wollte man ihn vor zehn Jahren noch ausbürgern. Und wie ist es heute? Simon Wiesenthal gibt eine klare Antwort: „Nicht daß die Dinge gut wären — aber sie werden besser.“

Man kann das nachlesen in seinen Erinnerungen, die rechtzeitig zum 80er unter dem Titel „Recht, nicht Rache“ im Ullstein-Verlag erschienen sind. Da zieht Simon Wiesenthal Bilanz: über seine Arbeit, über Bruno Kreisky, über den Fall Waldheim, über Erfahrungen, die er gemacht hat.

Zum Beispiel: „Gegen einen professionellen Mörder gibt einem eine Pistole keine Chance, und gegen einen Amateur braucht man sie nicht — denen sieht man besser ins Gesicht und spricht mit ihnen.“

Er warnt vor der Verbindung von Haß und Technologie als einer Gefahr der Zukunft. Und da meint er nicht nur die Atombombe, sondern die kleinen Technologien des täglichen Lebens: .Manchmal habe ich die erschrek-kende Vision, es könnten irgendwann die Computer ohne Menschen miteinander sprechen.“

Simon Wiesenthal fordert Mut und Zivilcourage im kleinen: zur Einübung für den Kampf gegen das große Unrecht. Und er hat Angst, daß die grassierende Sinnlosigkeit ebenso sehr Voraussetzung für eine Diktatur sein könne wie Not, Hunger und Arbeitslosigkeit.

Wahn-Sinn statt Sinn. Die Neigung junger Menschen, vor der Sinnlosigkeit in den Tod zu fliehen - und die Tatsache, daß Diktaturen dieser Neigung Raum schaffen. Davor warnt Simon Wiesenthal. Sein Beruf ist das Erinnern. Und ganz am Schluß seiner Erinnerungen erinnert er die Demokratien daran, daß sie lernen müssen, Sinn zu geben.

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