6781003-1969_44_02.jpg
Digital In Arbeit

Arbeit für Wiesenthal

Werbung
Werbung
Werbung

Zwei Abgeordnete — Dr. Broda von der SPÖ und Zeillinger von der FPÖ — haben in seltsamer Geeint- heit im Parlament ausgesetzt, daß der Leiter des jüdischen Dokumentationszentrums, Ing. Simon Wiesenthal, Auskünfte sowohl eingeholt als auch gegeben hat, die der Ausforschung und Verfolgung von Massenmördern der NS-Zeit dienten. Daß sich Wiesenthal dabei auch des konzessionierten Privatdetektivs und ehemaligen Staatspolizisten Ablei- tinger bediente, war sein gutes Recht und ist daher trotz anderer Aktivitäten des Detektivs nicht von Bedeutung. Wesentlich ist, daß Wiesenthal durch seine Tätigkeit eine echte Funktion erfüllt und zu einer Art Institution in Österreich geworden ist, und in die Bresche springt, die sowohl von der österreichischen Justiz wie von den Innendiensten bei der Ausforschung von NS-Verbre- chen zu oft offengelassen wurde. Als Dr. Danziger, der neue Leiter, die Abteilung 18 (NS-Gewaitverbrechen) im Innenministerium übernahm, zeigte sich, daß dort in den Ären Olah und Czettel der Einlauf von rund 500 Eingaben und Dokumenten, welche zur Aufklärung hunderter Mordfälle geführt hätten, nicht einmal registriert worden war. Nicht davon zu reden, daß auf diese Weise ihre Bearbeitung nie in Angriff genommen wurde. Deutsche und andere Staatsanwaltschaften sind, da sie vergeblich auf die Beantwortung von Anfragen an österreichische Behörden warteten, immer mehr dazu übergegangen, sich an

Wiesenthal zu wenden. Dies ist jedoch nur einer der geringeren Gründe, weshalb Österreich in Sachen Kriegsverbrecherprozesse keinen guten Ruf im Ausland besitzt. Wenn uns etwas in dieser Beziehung gutgeschrieben worden ist, so, daß es Wiesenthal und sein Dokumentationszentrum hier gibt.

Daß dem Abgeordneten Zeillinger und seiner Partei die Tätigkeit Wiesenthals nicht paßt, wird niemand verwundern. Etwas ambitiöser ist die Situation in der SPÖ. Dr. Broda hat jedoch dort iifimer zu jenen gehört, welche die Meinung ausgesprochen haben, daß „endlich ein Strich unter die Vergangenheit gezogen werden“ müsse. Woher er, ein Jurist, sich das Recht nimmt, für 90.000 ermordete jüdisch-österreichische Staatsbürger zu sprechen und auf die Verfolgung von deren Mördern zu verzichten, ist er ebenso wie andere Minister von Wiesenthal des öfteren gefragt worden. Er beantwortete die Frage zwar nicht Wiesenthal, wohl aber einmal in privatem Kreise: „Jeder Kriegsverbrecherprozeß kostet unserer Partei hunderte Mitglieder und tausende Wählerstimmen.“ Wenn jedoch Doktor Brodas Partei mit Recht nicht davor zurückschreckt, aus grundsätzlichen Gründen auf die Wahlstimmen von Kommunisten zu verzichten, dann müßte von ihr auch erwartet werden, daß sie keinen Wert darauf legt, etwas mit jenen zu tun zu haben, die sich mit Massenmördern solidarisieren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung