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Von Simon Wiesenthal die furche 8. 11. 1969

Ich danke der Furche für ihre Glosse "Arbeit für Wiesenthal"; sie drückt in wenigen Zeilen das aus, worüber ein ganzes Buch geschrieben werden müsste: Dr. Brodas Amtszeit als Justizminister. [...] Als Dr. Broda sein Amt antrat, haben manche Leute gehofft, daß sich nun etwas an der, in der österreichischen Justiz herrschenden Passivität bei der Verfolgung der großen ns-Verbrechen ändern werde.

Ich habe damals Dr. Broda aufgesucht und ihm dargelegt, daß meiner Meinung nach die Crux darin bestehe, daß die ein bis zwei für den ns-Komplex eingesetzten Staatsanwälte völlig überfordert seien. Riesenschuldblöcke ... werden hierzulande von einem Staatsanwalt bearbeitet. Ein Zeichen, welche Bedeutung dem eingeräumt wird, wenn andererseits in der deutschen Bundesrepublik für einen solchen Block bis zu 15 Staatsanwälte bestellt werden. Die Folge: dort gibt es fortlaufend Prozesse über die großen ns-Verbrechenskomplexe und in Österreich nicht. Hier wirft man - eher der internationalen als der österreichischen - Öffentlichkeit alle zwei, drei Jahre einen Prozeß gegen einzeln herausgegriffene Leute wie Novak in den Rachen, um zu zeigen, daß "was g'schicht". Die großen Schuldblöcke bleiben unbehandelt. Dr. Broda hat damals Abhilfe versprochen. Es ist nichts geschehen; an der vordem geübten Praxis - oder vielmehr Nichtpraxis - hat sich auch in seiner Amtszeit nichts geändert. [...]

Wie steht es mit seiner Tätigkeit als Abgeordneter? Seine letzte diesbezügliche Manifestation ist sein Auftreten gegen mich im Parlament. Ihm, wie aller Welt, ist bekannt, daß ich mir zu Lebensaufgabe gemacht habe, dabei mitzuhelfen, daß die Schuldigen an der Ermordung von sechs Millionen Juden zu Gericht gebracht werden. Zu diesem Zwecke liefere ich den Behörden in meinem Dokumentationszentrum gesammelte Unterlagen über Opfer, Schuldige, Zeugen und Dokumente. Die Gerichts- und Polizeibehörden verschiedener Länder haben meine Hilfe in Anspruch genommen und mir zahlreiche Dankschreiben geschickt. Nicht Dr. Broda. Er weiß mir keinen Dank. Im Gegenteil.

Mit - man kann es gar nicht anders nennen - autoritärem Hochmut erklärt Dr. Broda in der Aussendung der Sozialistischen Korrespondenz: "Der demokratische Rechtsstaat kann jedoch aus grundsätzlichen Erwägungen neben der Tätigkeit seiner Behörden, für die der Minister im Parlament verantwortlich ist, keine parapolizeiliche Tätigkeit - mit welcher Absicht immer - dulden. Das gilt auch für das Dokumentationszentrum von Diplomingenieur Wiesenthal."

Das ist mehr als Hochmut, es ist Unkenntnis. Die Behörden der ns-Prozesse führenden Länder wenden sich nicht nur an mich, sondern auch an andere Personen und Organisationen um Angaben und Unterlagen - an Vereinigungen von ns-Verfolgten, Widerstandskämpfern und so weiter. Wenn Dr. Broda das im Namen des demokratischen Rechtsstaates nicht geduldet haben möchte, dann heißt das, daß er eine wesentlich für die Verfolgung von ns-Verbrechen nötige Tätigkeit verhindern will. Mit dem Ausdruck "parapolizeilich" versucht Dr. Broda diese Tätigkeit zu verteufeln, eine Tätigkeit, die angesichts seiner und seiner Vorgänger Einstellung und Praxis auf keinen Fall entbehrlich erscheint. Im Übrigen: Wenn es nach der Broda'schen Auffassung ginge, könnte es überhaupt keine Mitarbeit und Hilfe der Bevölkerung für das Funktionieren der Justiz und bei der Ausforschung von Verbrechen geben.

Noch etwas ist mir an dem parlamentarischen Minderheitsbericht aufgefallen: die seltsame Abwendung vom eigentlichen Hauptziel der Untersuchung - der von Oststaaten in Österreich betriebenen Spionage. Statt dessen erblickten Dr. Broda und seine Kollegen ihre Hauptaufgabe darin, denen eins auszuwischen, die an der Verfolgung oder Klarstellung von ns-Sachverhalten mitwirken oder sonstwie interessiert sind. Hoffen wir, daß diese Abwendung nicht absichtlich, sondern nur zufällig war.

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